Paraschat haSchawua: Vaetchanan

0
24

Ein zentraler Kultpunkt der Religion war die Stiftshütte, die in der Wüste gebaut wurde. Später war es im Lande Israel der Tempel in Jerusalem. Mose …. gab den Leviten, die den Dienst versahen an der Wohnung des HERRN, wie der HERR es Mose geboten hatte (4. Moses 31, 47). Gott wohnte also in der Stiftshütte bzw. im Tempel. Das weiß jeder, der die Bibel studiert hat…

Wochenabschnitt Vaetchanan; 5. Moses, Kap. 3, 23 – 7,11 Schabbat, 1. August 2020

Und nun geschieht das Unglaubliche. Eine Revolution im Glauben und in der Religion der Israeliten. Diese Revolution, die König Josia (regierte Judäa von -639 bis -609 v.d.Z.) einleitete, bestand aus folgenden Maßnahmen: Eine radikale Abschaffung des Götzendienstes, also des Dienstes für fremde Götter; Zerstörung aller Altäre und Gotteshäuser außerhalb von Jerusalem; Festlegung eines einzigen Ortes, wo der Gottesdienst für den Gott Israels ausgeübt werden durfte, und zwar im Tempel zu Jerusalem. Dies hat zu dem Prozess geführt, der nach und nach Gott aus dem Tempel entfernt hat.

Bereits im 5. M. 26,15 heißt es: Sieh nun herab von deiner heiligen Wohnung, vom Himmel, und segne dein Volk Israel und das Land… Demnach hat Gott seinen Wohnsitz nicht im Tempel zu Jerusalem. Im Tempel selbst ist lediglich der Name Gottes anwesend, so im 5. M. 12, 11: Wenn nun der HERR, dein Gott, eine Stätte erwählt, dass sein Name daselbst wohne…-. Man könnte das so verstehen, Gott habe seine Heiligkeit auf die sogenannte Wohnstätte ausgestrahlt und lediglich sein Name war da anwesend.

Was immer sich der Autor bei dieser Formulierung gedacht hat, so ist das ein Schritt in dem Prozess der Abstraktion Gottes und der Entfernung von der Gegenständlichkeit. Es war ein langer Prozess (der möglicherweise noch nicht abgeschlossen ist), worüber man sich nicht wundern sollte. Die Ablegung des heidnischen Glaubens war äußerst schwierig. Der Mensch brauchte einen gegenständlichen Gott, zu dem er beten, den er anflehen konnte, dem er seine Sicherheit und sein Leben anvertraute. Sich einen nicht sichtbaren, nicht gegenständlichen Gott vorzustellen musste erst erlernt werden; und das in Jahrhunderte dauernden kleinen Schritten.

Einer dieser Schritte wurde von König Salomo bei der Einweihung des von ihm gebauten Tempels gemacht. Er erklärt in einer langen Rede vor dem versammelten Volk, dass der Tempel für die Anbetung Gottes, Gottesdienste etc. dienen soll, gleichzeitig deutet er eine gewisse abstrakte Vorstellung von Gott an: Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? (1. Könige 8). Demnach ist der Tempel bloß ein Symbol der Anwesenheit Gottes; denn, wenn alle Himmel der Himmel ihn nicht fassen können, muss er sich wohl außerhalb der physischen Wirklichkeit, außerhalb des Kosmos befinden.

Man kann sich kaum vorstellen, dass König Salomo, der drei Jahrhunderte vor König Josia gelebt hat, seinem Volk solche Gedanken zumuten konnte (selbst wenn er sie selbst gehabt hätte). Vermutlich ist die Rede Salomos ein Anachronismus, wurde von einem späteren Autor (etwa 3. Jhd. vor) verfasst und dahin platziert. Immerhin gab es solch philosophischen Betrachtungen im 3. und 2. Jhd. v.d.Z. (z.B. die bibl. Bücher der Prediger, Sprüche, Hiob, Psalmen etc.) verfasst.

Die Idee vom universalen Gott konnte zunächst in der babylonischen Gefangenschaft vertieft werden, was zum Überleben der Gemeinschaft verhalf. Das setzte sich auch später in den vielen Wanderungen durch die Diaspora fort. Ob diese Wirkung sich auch in der Zukunft erhalten wird?

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.deheraus.

Zu den Wochenabschnitten