Paraschat haSchawua: Chukat

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Man begegnet in der Bibel immer wieder Stellen, die die menschliche Existenz berühren und zu neuen Interpretationen Anlass geben. Eine dieser Probleme beschäftigt die Menschheit seit jeher: Die Frage nach Lohn und Strafe…

Wochenabschnitt Chukat; 4. Moses Kap. 19 – 21 Schabbat, 04. Juli 2020

Exemplarisch hierfür ist die Strafe, die über Moses verhängt wurde: Und die Gemeinde hatte kein Wasser…. Und das Volk haderte mit Mose…. Und der HERR redete mit Mose und sprach: Nimm den Stab und versammle die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron, und redet zu dem Felsen vor ihren Augen; der wird sein Wasser geben. Da nahm Mose den Stab, der vor dem HERRN lag…. Und Mose und Aaron versammelten die Gemeinde vor dem Felsen…. Mose erhob seine Hand und schlug den Felsen mit dem Stab zweimal. Da kam viel Wasser heraus…. Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron: Weil ihr nicht an mich geglaubt habt und mich nicht geheiligt habt vor den Israeliten, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht ins Land bringen, das ich ihnen geben werde (4. Moses 20).

Beim Lesen des Textes denkt man als erstes, dass die Strafe über Moses verhängt wurde, weil er auf den Felsen einschlug, anstatt mit ihm wie befohlen zu reden. Bei kritischer Überlegung gibt es viele Einwände, weshalb diese Erklärung unbefriedigend ist. Hier ist der Platz zu eng, um auf die Diskussionen und Erklärungen, die seit den Anfängen des Talmud und bis zur Gegenwart geführt wurden, ausführlich einzugehen.

Kurz gesagt geht es darum: Moses, der sein Leben in den Dienst der Aufgabe gestellt hat, die Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten mach Kanaan zu führen und der wegen der Sünden dieser Menschen vierzig Jahre mit ihnen in der Wüste herumwandern und ihre Aufmüpfigkeit und Widerspenstigkeit ertragen musste, sollte nun wegen einer scheinbaren Geringfügigkeit nicht in das gelobte Land dürfen und es lediglich aus der Ferne sehen und jenseits des Jordan versterben.

Das passt nicht in die Wertvorstellungen des Menschen, der seit seinem frühen Leben Maßstäbe für die Beurteilung des Erlaubten und des Verbotenen anerzogen bekommt und dementsprechend auch für die Strafe und die Belohnung. Das Problem, das anfangs erwähnt wurde, dass es im Leben nicht immer gerecht zugeht, ist beunruhigend und schlecht hinnehmbar. Es kann im Extremfall zur seelischen Instabilität führen, wenn der Widerspruch eine unerträgliche Belastung bedeutet und die Lebensroutine aus der Bahn gerät.

Das Thema Lohn und Strafe findet an verschiedenen biblischen Stellen Erwähnung. Es gibt sogar ein ganzes Buch in der Bibel, das diesem Problem gewidmet ist: Hiob. In fast zweiundvierzig Kapiteln diskutiert Hiob mit seinen drei Freunden aus exotischen Ländern dieses Problem. Eine plausible Lösung bzw. Erklärung wird man da aber kaum finden.

Trotzdem hat Moses den größten Teil seiner fünf Bücher mit Geboten und Verboten ausgefüllt und mit entsprechender Bestrafung und auch Belohnung. Warum wohl? Moses Anliegen war nicht, den Israeliten einen Glauben an den monotheistischen Gott, den Gott Abrahams, zu verkünden. Das war nicht seine Aufgabe. Moses sollte hauptsächlich Verhaltensregeln, Gesetze und ethisch-moralische Werte vermitteln, die meistens nur durch Drohung und Belobigung durchzusetzen sind.

Und die ewige Frage, „warum ist der böse Mensch erfolgreich und der Gerechte arm“, bleibt unbeantwortet, da die menschliche Erfahrung kein Maßstab für die Beurteilung göttlicher Erwägungen sein darf und kann. Der Mensch soll glauben, dass Gottes Urteil gerecht ist und darf es nicht hinterfragen. Das ist auch letztlich das Ergebnis der Frage nach dem Grund von Lohn und Strafe, zu der auch das Buch Hiob führt.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.deheraus.

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