Paraschat haSchawua: Bahar – Bechukotai

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Die Welt verändert sich. Diesen weisen Spruch hört man immer wieder; er ist sozusagen abgedroschen. Aber es ist nun mal eine Tatsache, die Verhaltensweisen, das Denken, die Ansichten verändern sich nicht nur von Generation zu Generation (was jedem Menschen erfahrbar ist), sondern in mancher Hinsicht innerhalb weniger Jahre. Und das war schon immer so, nicht erst mit dem technischen Fortschritt unserer Tage (Handy, Computer etc.)…

Wochenabschnitt Bahar, Bechukotai; Schabbat, 16. Mai 2020

Dr. Gabriel Miller

Veränderungen im gesellschaftlichen Leben erfordern auch Anpassungen in den normativen Regeln (Gesetze, Verordnungen etc.), was in der üblichen Staatsform auch regelmäßig stattfindet. Wie ist es aber in monotheistisch-religiösen Gesellschaften, die sich nach der Religion, nach Gesetzen, die gottgegeben sind, richten. Man kann ja Gottes Wort nicht einfach abändern. Was Gott verordnet hat, kann nur Gott allein ändern. SEIN Wort gilt für alle Zeiten und ist unantastbar.

Jüdische Gelehrte haben in unserer Parascha einen Hinweis gefunden, der die Ergänzungen göttlichen Gesetzes nicht nur gestattet, sondern geradezu erzwingt. Kapitel 25 im 3. Moses fängt mit den Worten an: Der HERR sprach zu Mose auf dem Berg Sinai…. Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, so soll das Land dem HERRN ein Sabbatjahr feiern. Es werden im Folgenden alle Regeln, die mit dem Sabbatjahr zusammenhängen, ausführlich angeordnet.

Warum, fragten sich die Gelehrten, wird bei der Anordnung des Sabbatjahrgesetzes ausdrücklich betont, dass dieses Gesetz von Gott auf dem Berg Sinai Moses verkündet wurde? Es heißt ja, dass alle göttlichen Gesetze in der Tora am Sinai übergeben wurden. Auffallend beim Sabbatjahrgesetz ist, dass die Ausführungsbestimmungen, im Gegensatz zu den übrigen Gesetzen, ausdrücklich schriftlich niedergelegt wurden. Das bedeutet, so die Gelehrten, dass alle Gesetze, die Moses in der Tora verkündet hatte, von Gott mit allen Einzelheiten der Ausführung Moses übergeben worden waren. Moses hat demnach die Gesetze mit all ihren einzelnen Ausführungen und Deutungen erhalten, jedoch die meisten nur in Kurzfassung niedergeschrieben; und das, was er nicht in der Tora mitgeteilt hatte, hat er mündlich weitergegeben. So entstanden die Schriftliche Tora und die Mündliche Tora. Die Schriftliche liegt uns vor und die Mündliche hat Moses seinem Jünger Josua übergeben und dieser hat es den Ältesten weitergegeben, und so wurde sie von Generation zu Generation weitergeleitet und wird immer noch weitergegeben.

In Kurzfassung: Jede Generation und jeder autorisierte Rabbiner darf die Tora neu interpretieren und zwar im Namen Moses und als Kenner der Überlieferung. Die Mündliche Tora umfasst die gesamte religiös-gesetzliche Literatur, einschließlich Maimonides und anderer Sammelwerke, die in den letzten zweitausendfünhundert Jahren entstanden sind.

Allein diese unermessliche Literatur zeigt schon, dass nicht immer alle Gelehrte mit den Kommentaren einverstanden waren und dass andererseits nach Ort und Zeit Ergänzungen nötig waren. Diese geniale Konstruktion konnte das viele tausende Jahre alte Wort Gottes immer wieder auf den aktuellen Stand bringen. Und wenn manche Nichtjuden behaupten, der jüdische Glaube und insbesondere das jüdisch-biblische Gesetz sei stur und grausam und ermangle der Liebe, zeugt dies von Ignoranz oder purer Boshaftigkeit.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.de heraus.

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