Alles wie gehabt?

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In knapp zwei Wochen wird in Israel erneut gewählt. Doch ob der neue Urnengang die nun bald ein Jahr andauernde politische Paralyse beenden wird, scheint zweifelhaft. Auch der Wahlkampf verläuft reichlich schleppend. Bei den Themen sieht es gleichfalls mager aus. Sie lauten: Bibi, Bibi und nochmals Bibi…

Von Ralf Balke

Und täglich grüsst das Murmeltier. Nachdem sowohl die Wahlen zur Knesset im April als auch die im September zu keinen klaren Mehrheiten geführt hatten, steht am 2. März nun der dritte Urnengang innerhalb von zwölf Monaten an. Doch ob es danach endlich zur Bildung einer funktionsfähigen Regierung kommen kann, ist fragwürdig. Denn die aktuellen Meinungsumfragen deuten nicht darauf hin, dass der zurzeit noch regierende Likud mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu genug Stimmen erhält und Partner finden wird, um problemlos die erforderliche Mehrheit von mindestens 61 Abgeordneten in der Knesset auf sich vereinen zu können. Der Likud dümpelte in den vergangenen Wochen bei 30 bis 35 möglichen Sitzen, was ungefähr dem entsprechen würde, was die Partei bereits im September erhielt, nämlich 32. Gleiches gilt für seinen Herausforderer Benny Gantz. Je nach Umfrage-Institut käme sein Listenbündnis Blau-Weiß derzeit wohl auf 33 bis 36 Sitze in der Knesset, was eine minimale Verbesserung gegenüber dem Ergebnis von 33 im September wäre. Am Ende könnte also eine ähnliche Patt-Situation drohen, wie bereits bei den beiden Wahlgängen zuvor.

Trotzdem gibt es einige bemerkenswerte Tatsachen: So hat die Bekanntgabe des für Israel äußerst vorteilhaften neuen amerikanischen Friedensplans für den Nahen Osten so gut wie keinerlei Auswirkungen auf die Sympathiewerte für Netanyahu gezeigt. Der „Deal des Jahrhunderts“ sorgte weder für einen nennenswerten Stimmenzuwachs zugunsten des Likuds, noch ließen sich außergewöhnliche Verluste bei den anderen Parteien beobachten. Vielleicht lag es auch daran, dass Netanyahu mit seiner Ankündigung, sofort Teile des Westjordanlands annektieren zu wollen, eine Bauchlandung erlitt, weil David Friedman, Washingtons Mann in Jerusalem, den übereifrigen Ministerpräsidenten erst einmal zurückgepfiffen hatte und vor „einseitigen Aktionen“ warnte. Oder die Aussicht, das Jordantal oder andere Territorien dem Staatsgebiet Israel einzuverleiben, lässt die meisten israelischen Wähler eher ziemlich kalt. Aber auch bei den anderen Parteien geschieht nichts Dramatisches: Die Vereinte Arabische Liste könnte vielleicht einen Sitz mehr in der nächsten Knesset ergattern und womöglich mit vierzehn Abgeordneten erneut die drittstärkste politische Kraft werden. Bei den Mitte-Linkszionisten vom Bündnis Arbeitspartei-Gescher-Meretz hält der Abwärtstrend weiter an und sie kämen vielleicht auf nur noch acht bis neun Mandate – der Rest wie gehabt. Und Avigdor Lieberman, dessen Israeli Beitenu-Partei wohl wieder mit sieben oder acht Sitzen in die Knesset einziehen kann, bleibt weiterhin in der Rolle des Königsmachers, der nach eigenen Worten, auch keine Berührungsängste mehr hätte, sogar mit den Linkszionisten von Meretz zusammenzuarbeiten. Ob die wiederum sich auf Lieberman einlassen würden, das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Alles deutet also daraufhin, dass die Grundkoordinaten nach den 2. März die gleichen sein werden wie vor den Wahlen. Selbstverständlich gibt es die üblichen Planspiele, wie sich doch irgendwie eine Mehrheit aus dem Hut zaubern lässt, die nicht „Koalition der Nationalen Einheit“ heißt, also das Paktieren zwischen Blau-Weiß und Likud. Für Gantz bleibt das alte Problem bestehen, dass er sich keinesfalls mit Hilfe der Vereinten Arabischen Liste in den Sessel des Ministerpräsidenten hieven lassen möchte. Da bleiben ihm nur wenige Optionen. Entweder schafft er es, den moderateren Vertretern des rechtsnationalen Blocks Angebote zu machen, denen sie nicht widerstehen könnten – oder eben den politischen Vertretern der Orthodoxie, also der Partei Vereintes Torah Judentum und der misrachischen Shass.

Einen Köder könnte es für sie geben, und zwar die Finanzierung der Yeshivot, den von ihren betriebenen Religionsschulen. Diese ist noch nicht in trockenen Tüchern. Denn weil es seit bald einem Jahr keine richtige Regierung gibt, existiert derzeit auch kein vernünftig verabschiedeter Haushalt. Das Jahr zuvor hatte der Staat die Yeshivot noch mit satten 1,2 Milliarden Schekeln alimentiert, umgerechnet rund 400 Millionen Euro – viel Geld für ein Bildungssystem, das so gut wie keine weltlichen Fächer kennt und Absolventen hervorbringt, die für den Arbeitsmarkt völlig unqualifiziert sind. 960 Millionen Schekel davon, also rund 240 Millionen Euro, waren im letzten regulären Haushaltsjahr für sie vorgesehen, weitere 240 Millionen Schekel, ungefähr 60 Millionen Euro, gab es quasi als Bonus oben drauf, weil Vereintes Torah Judentum und Shass brav in Netanyahus Koalition mitmachten. Bereits im Januar hatte Gesundheitsminister Yaakov Litzmann, der zugleich Vorsitzender der Partei Vereintes Torah Judentum ist, Netanyahu gewarnt, dass ihm diese Situation der finanziellen Unsicherheit für die Yeshivot nicht gefällt. Falls sich nichts daran ändere, würde er die amtierende Regierung verlassen. Gantz könnte mit einem Angebot in die Bresche springen. Aber auf der anderen Seite wäre für die Haredim ein Zusammengehen mit ihren Intimfeinden Yair Lapid von Blau-Weiß oder gar Lieberman im Rahmen einer anderen Koalition auch keine Wunschvorstellung.

Rein inhaltlich hat der Wahlkampf kaum etwas zu bieten. Weder vertritt Herausforderer Gantz zu wesentlichen Fragen im Umgang mit den Palästinensern oder der Bedrohung durch den Iran und die im Gazastreifen regierenden Islamisten Positionen, die von denen des Likuds sonderlich abweichen. Und so dreht sich eigentlich alles nur erneut um die Frage, ob Netanyahu geeignet ist, weiterhin im Amt zu bleiben oder nicht. Die Nachricht, dass er nun am 17. März erstmalig aufgrund der Korruptionsvorwürfe und anderer Vergehen vor Gericht erscheinen muss, wo dann Richterin Rivka Friedman-Feldman die Anklageschrift gegen ihn verlesen wird, macht es Netanyahu nicht unbedingt einfacher. Zum einen steht für viele Wähler die Frage im Raum, ob ein Ministerpräsident durch das Verfahren in seiner Amtsausübung nicht eingeschränkt werde, zum anderen ist ebenfalls das Timing des Prozessbeginns aus seiner Sicht problematisch, weil es mitten in die Koalitionsverhandlungen fällt. Wenig überraschend verkündete Gantz die Bekanntgabe des Gerichtstermins „als einen traurigen Tag für den Staat Israel“, weil erstmals ein amtierender Ministerpräsident nun vor dem Kadi stehe. Netanyahu dagegen ging erst einmal in die Offensive und versucht nun seinerseits Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit zu diskreditieren. Justizminister Amir Ohana und er fordern plötzlich die Freigabe von Aufzeichnungen aus einer Affäre von vor zehn Jahren, um zu belegen, dass 2010 schon Mandelblit mit gefälschten Dokumenten gearbeitet hätte, um Yoav Gallant, heute ein Likud-Abgeordneter, als Nachfolger von Gabi Ashkenazi als Generalstabschef der Armee zu verhindern, weshalb Gantz dann diesen Posten erhielt. Ob ein solcher Schritt israelische Wähler dazu bringt, noch einmal für den Likud zu stimmen, oder inwieweit das Ganze, das frei nach der Devise „Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht“ funktioniert, als weitere Schlammschlacht betrachtet wird, die eher abschreckend wirkt, darüber kann man derzeit nur spekulieren.

Um irgendwie noch Schwung in den Wahlkampf zu bringen, legt Netanyahu derzeit gerade einen ausgesprochenen Aktionismus an den Tag. Am Dienstag lud er seinen Kontrahenten zu einem TV-Duell ein, was dieser jedoch dankend ablehnte. „Das ist ein armseliger Versuch, die Öffentlichkeit von dem Beginn des Gerichtsverfahrens abzulenken“, so die Begründung von Gantz. „Netanyahu hat sich zehn Jahre lang dieser Debatte verweigert. Aber nun, genau an dem Tag, an dem der Prozess gegen ihn angekündigt wird, will er sie auf einmal.“ Zudem versucht Netanyahu gerade auf dem Feld der Außenpolitik zu punkten. Als sensationellen Erfolg verkauft er gerade sein Treffen mit Abdel Fattah al-Bruhan, Chef des sudanesischen Souveränitätsrates, der in Karthum derzeit die Regierungsgeschäfte nach dem Sturz des Langzeitdiktators Omar al-Baschir leitet. Israelische Flugzeuge dürften künftig den sudanesischen Luftraum benutzen. Auch von einem Nicht-Angriffspakt zwischen Israel und den arabischen Staaten am Golf ist derzeit die Rede.

Und mit Nir Barkat, seinem Kandidat für das Amt als Finanzminister, trat er die Tage gemeinsam auf, um sechs Reformen zu präsentieren, mit denen die Lebenshaltungskosten gedeckelt werden sollen. „Das erste, was wir machen werden, ist dafür zu sorgen, dass die Preise für Nahrungsmittel drastisch gesenkt werden“, verkündete er auf einer Pressekonferenz, die interessanterweise in den Räumlichkeiten der Tel Aviver Börse stattfand. „Aktuell sind diese rund 30 Prozent höher als im Rest der Welt. Wir werden bestehende Monopole aufbrechen und den Markt dezentralisieren.“ Wie er das bewerkstelligen will und warum es Netanyahu erst jetzt auffällt, dass die Lebenshaltungskosten in Israel exorbitant sind – schließlich fanden die Steigerungsraten genau wie die Bildung der Monopole in seiner Regierungszeit statt – bleibt sein stilles Geheimnis. Darüber hinaus gab er sein persönliches Ok für die Einwanderung von 400 Juden aus Äthiopien, was angesichts der zahlreichen Einschränkungen, die es bei dem eher restriktiv behandelten Thema bis dato gab, als Trick gesehen werden kann, sich der Stimmen der äthiopischen Juden zu versichern. Selbstverständlich kann bis zum 2. März noch einiges Überraschendes passieren, was den Wahlausgang beeinflussen mag. Nichtsdestotrotz hat die Zentrale Wahlkommission für den Fall, dass es wieder nichts wird mit der Bildung einer funktionsfähigen Koalition, schon mal vorausschauend einen Termin für einen vierten Wahlgang verkündet. Der wäre dann wohl am 8. September.