Mao in der bayerischen Provinz

0
59

Viele Menschen wurden in den siebziger Jahren in maoistischen K- Gruppen politisch sozialisiert. Nach der Forschung durchliefen rund 100.000 Personen in der BRD solche Gruppen. Besonders stark waren außerhalb der Großstädte in Bayern solche Organisationen in den tiefschwarzen Landkreisen Altötting und Mühldorf. Diese Geschichte, in der ich persönlich stark involviert war, arbeite ich in meinem neuen Buch auf…

Von Max Brym

Es geht um die SIK ( Sozialistisches Initiativkomitee Altötting- Mühldorf- Wasserburg), die KPD/ML und die „Arbeiter Basis Gruppen“ später „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“, sowie die nichtmaoistische DKP im ländlichen Raum. Das Buch behandelt die Gründung des Habermas Lesekreises in Altötting im Jahr 1968. Es geht um die Auseinandersetzung bezüglich des Jugendzentrums am Ort. Dann folgte 1972 die Spaltung der SIK, es entstanden die „ Arbeiter Basis Gruppen“ in Altötting. Die KPD/ML sorgte Anfang der siebziger Jahre für viel Aufsehen in Burghausen und insbesondere in Töging am Inn. Der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD war mit seiner Zeitung „ Der Rote Landbote“ besonders in Waldkraiburg und in Altötting aktiv.

Auch wenn die Gruppen aus heutiger Sicht klein erscheinen mögen erreichten sie in den genannten Landkreisen im Lauf der Jahre Hunderte von vor allem jugendlichen Menschen, die kürzere oder längere Zeit in einer oder mehreren der genannten Gruppen aktiv waren. Die Publikationen vor allem des Arbeiterbundes hatten durchaus Einfluss in bestimmten Betrieben, etwa dem Werk Gendorf in Burgkirchen oder der WASAG Chemie in Aschau am Inn, sowie dem Betriebswerk der DB in Mühldorf am Inn. Die DKP Zeitung „Im Chemie Dreieck“ brachte den einen oder anderen Kommunalpolitiker in Waldkraiburg und Burghausen ins schwitzen. Ähnliches gilt für den „ Roten Landboten“ des Arbeiterbundes in Altötting und der „Vertriebenenstadt“ Waldkraiburg. Bekannt wie bunte Hunde waren damals in den beiden Landkreisen der Altkommunist Georg Kellner ( DKP) aus Burghausen, Harald Haugwitz, wohnhaft in Neuötting ( Arbeiterbund), Dietmar von der Au aus Altötting ( SIK) und meine Person vor allem in Waldkraiburg (DKP dann Arbeiterbund). Die Jusos waren damals auch im südostoberbayerischen Chemiedreieck ziemlich weit links. In Altötting wurden sie von Walter Roßdeutscher repräsentiert. In Burghausen von dem jetzigen SPD Bürgermeister Hans Steindl. Er galt damals als „roter Rebell“ und bezichtigte auf einer DKP Veranstaltung in Burghausen, die DKP zu weit „rechts zu stehen“.

Das vorliegende Büchlein stellt eine Mischung aus persönlicher Erinnerung und realen zeitgeschichtlichen Ereignissen dar. Es soll gezeigt werden, dass es in dem Marienwallfahrtsort Altötting nicht nur bescheidene Arbeiter im Weingarten des Herrn gab, sondern auch Juden, Antifaschisten und rebellierende Jugendliche im Gefolge der Studentenbewegung von 1968. In der „Vertriebenenstadt“ Waldkraiburg hielten nicht nur gestrenge sudetendeutsche Revanchisten Hof, sondern eben so sehr sudetendeutsche Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Auch in Waldkraiburg entwickelten sich ab Anfang der siebziger Jahre oppositionelle kommunistische Gruppen. Natürlich verändert sich manches in der persönlichen Betrachtungsweise im Lauf der Zeit, aber das Ideal einer sozial gerechten Gesellschaft bleibt. Zudem ist jeder Mensch das Produkt seiner Umgebung und seiner Familie. Nach meiner Erfahrung haben ehemalige Freunde von mir in Altötting und Waldkraiburg eine nachhaltige Prägung erhalten. Wenn ich die heute angegrauten „Linksextremisten“ aus Waldkraiburg und Altötting in München treffe, fällt mir immer wieder auf: Keiner dieser linken Rebellen aus Waldkraiburg und Altötting ist politisch nach rechts gegangen. Sie sind in unterschiedlicher Form links geblieben. Offensichtlich hat die katholische Dogmatik aus Altötting in umgekehrter Form eine bestimmte Eigendynamik entwickelt. Auch der Katholizismus enthält soziale Elemente. Bei einigen Menschen führte diese Dynamik zu den Lehren von Karl Marx. Die Härte der Auseinandersetzung in den genannten Orten, härtete ab. Der neoliberale Zeitgeist hat bei Altlinken aus Altötting und Waldkraiburg schlechte Karten.

Max Brym, Mao in der bayerischen Provinz, Südwestbuch 2019, 300 S., Euro 15,00
Das Buch erscheint am 2. Dezember 2019. Bestellungen unter https://www.suedwestbuch.de/

LESEPROBE:

Erfolgreiche Aktionen: Mettenheim und WASAG

Das KZ Mettenheim in der Nähe von Mühldorf am Inn in einem Waldstück der Gemeinde Mettenheim war bis Mai 1945 Teil des Dachauer KZ-Außenlagers Mühldorf. Dort wurde getarnt unter Wald und Beton unterirdisch an Flugzeugteilen gearbeitet. Auf der Baustelle des Projektes Weingut 1, wo ein Rüstungsbunker für die Produktion der ME 262 entstehen sollte, stellten die KZ-Häftlinge die Hälfte der Zwangsarbeiter. Wie viele Häftlinge die Lager des Außenkommandos Mühldorf tatsächlich durchliefen, ist nicht mehr belegbar. Auf Wikipedia heißt es dazu: „Im sogenannten Mühldorf-Prozess wurde eine Zahl von etwa 8.300 Personen für den Zeitraum von Juli 1944 bis April 1945 angegeben. Die Zahl der Todesopfer schwankt je nach Quelle, liegt aber vermutlich bei etwa 4.000 Personen. Außer den KZ-Lagern gab es im Umkreis von Mühldorf mehrere Arbeitslager der Organisation Todt sowie Fremdarbeiterlager. Diese waren zwar nicht dem KZ in Dachau unterstellt, aber meist ähnlichen Bauprojekten zugeordnet.“ Letzteres bezieht sich auf das heutige Waldkraiburg. Der Mühldorf-Prozess belegte die Tatsache, dass im 134 KZ-Außenlager Dachau (Mühldorf) vermutlich Tausende von Menschen unter grausamsten Bedingungen vernichtet wurden. Der Verein KZ-Gedenkstätte Mühldorf Hart schreibt: „Wer am Rüstungsbunker arbeitete, hatte eine Lebenserwartung unter zwei Monaten, häufig kürzer. Die Häftlinge waren eine Mischung aus erfahrenen Häftlingen, die häufig schon in Auschwitz und im Warschauer Ghetto tätig waren und über Dachau in den Mühldorfer Hart kamen. Ein Großteil war aus Ungarn, kleinere Gruppen auch aus Litauen, Italien, Frankreich und Griechenland.“

All dies war im Fach Heimatkunde in der Region bis Mitte der 1980er Jahre kein Thema. An den Schulen in Waldkraiburg wurde über die allerletzte Straßenkreuzung im ehemaligen Gablonz gesprochen, aber kein Wort wurde über das KZ Mettenheim verloren. Am Wochenende wurden auf den Resten der von KZ-Häftlingen errichteten Flugzeugbunkeranlage im Wald bei Mettenheim Partys gefeiert. Nichts, aber auch wirklich gar nichts erinnerte an das ehemalige Konzentrationslager. Erst der „Rote Landbote“ begann dieses Tabuthema aufzubrechen. Wir berichteten in der Tat als erste über das ehemalige KZ und forderten eine würdige Gedenkstätte. Nach unseren Berichten stiegen auch die Jusos in Mühldorf sowie die gerade neu gegründete Partei der  Grünen auf das Thema ein. Selbst der Kreisheimatbund nahm sich plötzlich des Themas an und veröffentlichte ganze Broschüren nach der Devise: „Wir dürfen das Thema nicht der extremen Linken überlassen.“ Wer überhaupt nichts kapierte, war der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde Mettenheim, Norbert Spieske. Gegenüber einem ZDF-Team schlug er noch Mitte der 1980er Jahre vor, im Wald eine Straße der Versöhnung zwischen ehemaligen Häftlingen und KZWächtern zu errichten. Dieser perfide Vorschlag sorgte bundesweit für Wirbel. Heute gibt es im Heimatmuseum in Mühldorf am Inn eine Dokumentation zum KZ-Lager; auch der große Bunker im Wald wurde zur Gedenkstätte umgewandelt.

WASAG – Händler des Todes in Aschau am Inn

Einer der größten kapitalistischen Firmen im Landkreis Mühldorf war die WASAG Chemie in Aschau am Inn in der Nähe von Waldkraiburg. Die Firma gehörte damals mehrheitlich zur Krupp AG. Im späteren Waldkraiburg war dieser Betrieb die Fortsetzung des getarnten ehemaligen Bunkergeländes der Organisation Todt. Das Gelände der WASAG Chemie war durch Drähte gesichert. Mitten im Wald wurden in drei Schichten in alten Bunkern Sprengstoff und selbstverbrennende Panzerhülsen, die der damalige Hit auf dem chemischen Waffenmarkt waren, produziert. Auf dem Werksgelände hatte der militärische Abschirmdienst (MAD) ein eigenes Büro. Immer wieder kam es im Werk zu schweren, bisweilen tödlichen Arbeitsunfällen. Meist gingen dabei die Walzen hoch, auf denen die Sprengstoffe bearbeitet wurden. Für die Arbeit an diesen Geräten gab es folgende Arbeitsvorschriften: „Die Türen müssen geöffnet bleiben, vor der Explosion hört man ein kurzes Zischen, entfernen Sie sich schnellstens.“ Zur Arbeit an diesen hochgefährlichen Walzen wurden bevorzugt junge Arbeitsemigranten eingesetzt. Der „Rote Landbote“ thematisierte immer wieder die Arbeitsbedingungen im Werk und attackierte die korrupten Gewerkschaftsbonzen im Betrieb. Viele Arbeiter wohnten in Waldkraiburg und konnten daher per Briefkasteneinwurf von uns erreicht werden. An das Betriebstor tief im Wald kamen wir hingegen nicht heran. Es war Firmengelände. Doch hatten wir im Werk viele Sympathisanten. Mit einigen traf ich mich öfter unter konspirativen Umständen an verschiedenen Orten – wie in tiefster Illegalität. Die Sympathisanten und Informanten aus dem Werk kamen zu keiner einzigen Veranstaltung in Waldkraiburg. Niemand durfte erfahren, wer uns informierte. Die Informanten und Genossen hätten durch ihr öffentliches Auftreten beim Arbeiterbund ihre Existenzgrundlage verloren.

Prozess der WASAG gegen den „Roten Landboten“ oder David gegen Goliath

Von 1981 bis 1988 tobte der blutige Krieg zwischen dem Irak und dem Iran. Unsere Kollegen und Genossen im Betrieb lieferten uns dazu hochbrisantes Material und Informationen, aus denen hervorging, dass die WASAG über Italien an beide Kriegsparteien chemische Waffen lieferte. Umgehend publizierten wir mehrere Sonderausgaben des „Roten Landboten“ und deckten die Waffengeschäfte auf. Ab diesem Moment war in Waldkraiburg und Aschau die Hölle los. Die Firma WASAG stellte alles in Abrede und klagte mich 1986 wegen Verleumdung an. Als verantwortlicher Redakteur sollte ich 80.000 Mark Schadenersatz zahlen oder ersatzweise ins Gefängnis. Der Prozess fand in München statt. Die Firma war überzeugt, dass ich meine Vorwürfe nicht belegen könnte. Dennoch gewann ich den Prozess und wurde freigesprochen. Verteidigt hatte mich auch diesmal der Münchner Anwalt Hartmut Wächtler. Immer wieder wollten die Anwälte der WASAG Chemie wissen, wer meine Informanten seien. Selbstverständlich gab es von mir dazu keine Antwort. Ich berief mich auf das Pressegesetz, wonach eine Zeitung nicht gezwungen werden kann, ihre Informanten bekanntzugeben. Daraufhin ereiferte sich der Firmenjustiziar der Firma WASAG aus Frankfurt am Main und stellte in Abrede, dass ich ein normaler Journalist sei. Um dies zu belegen, hielt er plötzlich ein 86 Seiten starkes Dossier des Verfassungsschutzes in die Luft. Mein Anwalt reagierte sofort, erklärte das Beweisstück für illegal und stellte die Frage, wie eine Akte des Verfassungsschutzes in die Hände einer privaten Firma gelangen könne. Das Gericht zog die Akte ein. Um Waffengleichheit herzustellen wurde allerdings der Antrag abgelehnt, dass ich das Dossier lesen dürfe. Nur mein Rechtsanwalt konnte in der Verhandlungspause Einsicht in das Dossier nehmen. Hinterher sagte er mir: „Das Schriftstück ist dreigeteilt. Zuerst wurde eine psychologische Einschätzung deiner Person vorgenommen, dann ging es um deine persönlichen Verhältnisse. Erst im dritten Teil wurden deine politischen Aktivitäten aufgelistet.“ Ich verließ ziemlich gelöst den Gerichtssaal. Der Kaffee schmeckte und die Zigarette auch. Nebenbei dachte ich mir: „86 Seiten im Jahr 1986 im Verfassungsschutzdossier, reife Leistung. Da sage noch einer, dass nur in der DDR die Leute ausspioniert werden“.

In Waldkraiburg herrschte nach den Enthüllungen über die WASAG Chemie eine regelrechte Pogromstimmung gegen mich. Die WASAG Chemie hetzte mir obrigkeitshörige Arbeiter auf den Hals, die mich 139 in Wirtshäusern als arbeitsscheuen, roten Lumpen, der ihre Arbeitsplätze gefährde, attackierten. Durch den Wirbel, den die WASAG Chemie veranstaltete, wurden andere Medien auf die Sache aufmerksam. Im Juni 1987 drehte der damalige Fernsehjournalist Jürgen Roth eine Dokumentation über die Händler des Todes aus Aschau am Inn. Die Sendung kam zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Der komplette Landkreis hockte vor dem Bildschirm. Jürgen Roth vom ZDF enthüllte die Methoden und die Tarnmanöver der WASAG Chemie bei den Waffenlieferungen. Der Redakteur der „Waldkraiburger Nachrichten“, Klaus Hallmann, sagte zu mir in der Gaststätte Rübezahl: „Mein Gott, waren die blöd von der WASAG Chemie. Nur durch den Prozess gegen dich wurden die Medien aufmerksam.“ Die meisten Leute gaben nun dem „Rote Landboten“ recht.

Das Buch erscheint am 2. Dezember 2019. Bestellungen unter https://www.suedwestbuch.de/