Die „Judensau“ – Zeugnis des christlichen Antisemitismus

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Das Schmähbild an der Wittenberger Stadtkirche darf hängenbleiben…

Von Jim G. Tobias

Das früheste Beispiel der „Judensau“ lässt sich im Säulenkapitell des Brandenburger Doms belegen. Es entstand um 1230. Auch im Chorgestühl des Doms zu Köln, an der ehrwürdigen Sebalduskirche in Nürnberg, an der Stadtkirche in Bayreuth, wie am Regensburger Dom oder an der Predigtkirche Martin Luthers in Wittenberg ist das Schmährelief angebracht. Ziel war es, die jüdische Religion zu verhöhnen. Alle diese Plastiken zeigen Schweine, an deren Zitzen Juden saugen. Diese Darstellungen sind in Deutschland weit verbreitet und im europäischen Ausland eher unbekannt.

Manche dieser Abbildungen lassen sich an Schamlosigkeit und Bosheit kaum überbieten. Da findet man sogar Darstellungen, wie Juden dem Tier den After küssen oder seinen Kot essen. Diese Schandbilder haben die Jahrhunderte zumeist kritiklos überstanden. Erst die Klage von Michael Düllmann, einem Mitglied der jüdischen Gemeinde Berlins, der sich und seine Glaubensgenossen durch die Wittenberger „Judensau“ beleidigt und erniedrigt sah, brachte dieses antisemitische Relikt der christlichen Kultur in die öffentliche Diskussion.

Denn im Unterschied zu früheren Zeiten, in denen die „Judensau“-Darstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt und beliebt waren, weiß heute kaum ein Zeitgenosse mehr von diesem Jahrhunderte überdauernden christlichen Vorurteil. „Zweifellos hat das Bewusstsein, dass den Juden eine Berührung mit dem Schwein oder gar der Genuss von Schweinefleisch ein besonderer Gräuel war, zur Popularität der Judensau beigetragen“, so stellen Stefan Rohrbacher und Michael Schmidt in ihrer kulturgeschichtlichen Abhandlung „Judenbilder – antijüdische Mythen und antisemitische Vorurteile“ fest.

Kürzlich hat das Landgericht Dessau die Beleidigungsklage von Michael Düllmann abgewiesen, da nach Auffassung der Richter die Skulptur nicht als Missachtung der Juden in Deutschland verstanden werden kann. Auch die Kirchengemeinde sowie der Stadtrat von Wittenberg hatten zuvor eine Abnahme der Plastik abgelehnt. Nach ihrer Ansicht handele es sich um ein Zeitzeugnis, das sich nicht einfach entsorgen lasse.

Auch wenn die Juden heutzutage nicht mehr wirtschaftlich ausgeplündert, gesellschaftlich diskriminiert oder gleich erschlagen werden: Gelacht werden darf oder durfte über die Minderheit allemal. Das Stadtmuseum München besitzt z. B. ein außergewöhnliches Exemplar einer Judensau, das früher auf den Jahrmärkten nicht nur den Kindern im Handumdrehen das gesellschaftlich vorherrschende Bild der Juden vermittelte: Der Schacherer – die Judensau! Es handelt sich um eine Marionette. Auf der einen Seite stellt die Puppe ein Schwein dar; durch einen Mechanismus und eine Drehung am Fadenkreuz verwandelt sich das Tier in einen bärtigen „Schacherjuden“. Dieses antisemitische Judenbild zur Volksbelustigung wird freilich heutzutage auf den Kirchweihen nicht mehr präsentiert. Die Judensau, als in Stein gehauenes Schmähbild, behält allerdings ihren angestammten Platz an etwa 20 Kirchen in Deutschland.

Das soll sich aber nach den Vorstellungen des Klägers Michael Düllmann bald ändern – zumindest in Wittenberg. Er will in die nächste Gerichtsinstanz gehen und fordert weiterhin die sofortige Entfernung der antisemitischen Skulptur.

Bild oben: Die erst in jüngster Zeit restaurierte „Judensau“ an der Stadtkirche der Lutherstadt Wittenberg. Foto: Posi66

1 Kommentar

  1. Ich bin der Auffassung, dass solche Zeugnisse – und es gibt mehr davon – unbedingt zu erhalten sind. Wären die nicht mehr da, würde sofort erzählt, dass Juden in früheren Zeiten nie verfolgt wurden und quasi im Paradies lebten. Was man tun kann, ist z.B. einen Infokasten aufstellen, in dem Betrachter lesen können, wie der Zusammenhang ist und was das bedeutet. Natürlich sehen wir da ein Zeugnis früheren Antisemitismus‘ – gern als Antijudaimus beschönigt – und das ist nicht zu vergessen!

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