Der allgegenwärtige Antisemit

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„Antisemitismus“ kann auch politisch instrumentalisiert werden, um Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu diskreditieren. Gleichzeitig artikuliert sich der Antisemitismus aber auch häufig im Gewand einer Kritik an der israelischen Regierungspolitik. Was dann jeweils wie eingeordnet werden sollte, ist nicht selten Gegenstand emotionaler und polarisierter Kontroversen. Dabei fehlt es häufig an Differenzierungsvermögen und Sachlichkeit. Beides sollte auch sozialwissenschaftlichen Betrachtern eigen sein, was aber auch eher selten der Fall ist…

Von Armin Pfahl-Traughber

Der israelische Historiker und Soziologe Moshe Zuckermann trägt dazu leider auch nicht bei. Er betont nur den ersten Aspekt, ignoriert dafür aber den zweiten Gesichtspunkt. Anders formuliert: Antisemitismusdiskurse in Deutschland dienen für ihn primär der Diskreditierung von „Israelkritik“. Deutlich wird dies wieder in seinem neuen Buch „Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“, das eine „widersinnige Gleichstellung von Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik“ (S. 7) beklagt.

Der Autor will darin eine „Kritik der Instrumentalisierung von historischer Vergangenheit zur Verfolgung fremdbestimmter Interessen in aktuellen Zusammenhängen“ (S. 22) formulieren. Dies geschieht indessen nicht in strukturierter und systematischer Form. Leider werden diverse Texte von Zuckermann primär aneinander gereiht. Er schreibt mal über den Holocaust und die Holocaust-Erinnerung, dann geht es um Israel anhand der Jahreszahlen 1897, 1945, 1948, 1967 und 2018 zu einschneidenden historischen Ereignissen, und dem folgend steht  Deutschland zwischen „Israelsolidarität und ideologisiertem Antisemitismus-Vorwurf“ (S. 123) im Zentrum. Dazwischen geschaltet ist der Nachdruck einer älteren Veröffentlichung von 2005. In ihr heißt es gar: „Der Aufschrei gegen den Antisemitismus kann durchaus Spuren dessen aufweisen, was der Struktur nach als antisemitismusfördernd zu werten wäre“ (S. 69). Demnach folgt der Antisemitismus aus zu viel Anti-Antisemitismus? Derartige Deutungen wären jedenfalls ein möglicher Schluss aus solchen Zitaten.

Und dann folgen noch einige Miszellen, wo es um antisemitische Karikaturen in der deutschen Presse ebenso wie um einen angeblichen linken Antisemitismus, um das Engagement der Schauspielerin Natalie Portman ebenso wie um das Verhältnis von Antisemitismus und Zionismus gehen soll. Man merkt spätestens hier, dass der Autor diverse Texte einfach zusammengeworfen hat. So besteht zwar ein „roter Faden“, aber er ist – um im Bild zu bleiben – zu einem absonderlichen Knäuel verwickelt. Zuckermann schrieb offenbar jeweils einfach drauf los, ohne sich um die Begründbarkeit, Klarheit und Stringenz gesonderte Gedanken zu machen. An Belegen fehlt es häufig, bleibt er doch im Theoretischen. Oder es wird persönlich: „Was ist es, das den Intellektuellen Micha Brumlik sich lieber im Problem des ‚linken Antisemitismus‘ suhlen und über unzulängliche deutsche Befindlichkeiten echauffieren lässt, statt sich mit den realen Verbrechen Israels kritisch auseinanderzusetzen?“ (S. 162). Nur, das hat Brumlik sehr wohl getan, man muss seine Texte nur lesen.

Im Anhang findet man noch die Abhandlung „(Anti-)Deutsche Zustände“ von der Journalistin Susann Witt-Stahl. Bereits der erste Satz liefert dazu eine Zusammenfassung: „In den vergangenen Jahrzehnten ist in den Nahost- und Antisemitismus-Debatten der deutschen Linken eine dramatische Rechtsentwicklung zu beobachten“ (S. 197). Insbesondere die pro-israelischen „Antideutschen“ hätten die Demontage der antikapitalistischen Linken betrieben und somit letztendlich auch neokoloniale Unterdrückungspolitik mit gerechtfertigt. Die Autorin nennt dabei insbesondere die Zeitschrift „Konkret“. In der Gesamtschau handelt es sich demnach um ein polemisches Werk. Witt-Stahl argumentiert zumindest stringenter als Zuckermann. Beide liegen nicht in allen Fragen inhaltlich daneben, nur sind deren Einseitigkeiten und Polemiken nicht unbedingt zielführend. Zuckermann sollte sich außerdem einmal darüber Gedanken machen, wem seine schiefen Kommentierungen entgegen kommen. Denn Beifall von der „falschen Seite“ kann man auch vermeiden.

Moshe Zuckermann, Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit, Frankfurt/M. 2018 (Westend-Verlag), 255 S.

1 Kommentar

  1. Natürlich darf und kann man Israel kritisieren. Alle gegenteiligen Behauptungen sind lächerlich und durchgehend konstruiert. Aber darf man auch „Israelkritiker“ kritisieren? Wenn es nach Zuckermann, Witt-Stahl und Co. geht, lautet die Antwort: Nein. Denn wenn es um die eigene Art geht – die sie aberwitzigerweise als besonders bedroht hinstellen – plädieren die Herrschaften nämlich sehr gerne für einen weitreichenden Bestandsschutz.

    Die Rezension zu Zuckermann ist überwiegend kritisch. Allerdings verwundert mich die Stelle, wonach lt. W.-S. Micha Brumlik sich auch mit den ,israelischen Verbrechen‘ kritisch auseinandersetzen soll. An der Stelle kommt ihr der Rezensent entgegen: „Nur, das hat Brumlik sehr wohl getan, man muss seine Texte nur lesen.“

    Wenn ich das recht interpretiere sind es gleich mehrere, die Armin Pfahl-Traughber bereitwillig einräumt. Reden wir hier von Verbrechen oder von Einzelfällen bzw. Pflichtverletzungen, denen keine Systematik zugrunde liegt?

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