Globaler Antisemitismus – Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne

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Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn legt mit seinem neuen Buch eine Erörterung zur Judenfeindschaft als Teil einer Ambivalenz der Moderne vor. Insofern geht es ihm mehr  um eine geschichtsphilosophische Erörterung, weniger um einen empirischen Vergleich – gleichwohl liefert der Autor eine Fülle von diskussionswürdigen Interpretationen, auch und gerade bezogen auf den israelfeindlichen Antisemitismus….

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus war nie nur ein nationales Phänomen. Auch die ersten judenfeindlichen Organisationen im Wilhelminischen Kaiserreich hatten sich international vernetzt. Darüber hinaus gab es bereits im Mittelalter länderübergreifend ähnliche Vorurteile und Zerrbilder. Auch für die Gegenwart kann man von einem „Globalen Antisemitismus“ sprechen. Dies geschieht in einem gleichnamigen Buch, das der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn mit dem Untertitel „Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne“ vorgelegt hat. Der Haupttitel könnte indessen einen schiefen Eindruck vom Inhalt vermitteln. Es geht dem Autor nicht darum, die konkrete Entwicklung der Judenfeindschaft in verschiedenen Ländern vergleichend zu analysieren. Vielmehr fragt er nach dem Kontext von Antisemitismus und Moderne und insofern weist der Untertitel konkreter auf den Inhalt hin. Man hat es in der Gesamtschau sogar mit einem geschichtsphilosophisch geprägten Werk zu tun, wobei auch die Aktualität von Ansätzen aus der Kritischen Theorie deutlich wird.

Anknüpfend an frühere Forschungen geht Salzborn zunächst davon aus, „dass moderner Antisemitismus die Unfähigkeit und Unwilligkeit ist, abstrakt zu denken und konkret zu fühlen. Der Antisemitismus vertauscht beides, das Denken soll konkret, das Fühlen aber abstrakt sein, wobei die nicht ertragene Ambivalenz der Moderne auf das projiziert wird, was der/die Antisemit/in für jüdisch hält“ (S. 23). Der Autor geht gar von einem antisemitischen Weltkrieg aus, welcher als Hass auf die Aufklärung und damit einhergehende antisemitische Regression quer zu allen politischen Kategorialisierungen anzutreffen sei. Es gebe drei Phasen der Inter- und Transnationalisierung von Antisemitismus, die jeweils als Gegenentwicklung zu einem Demokratisierungsschub auch andere ideologische Orientierungen aufweisen würden. Am Beginn stand danach eine völkische Ausrichtung, dem dann eine antiimperialistische Orientierung und danach wiederum eine islamistische Prägung gefolgt sei. Dem folgend stehen die Ideologievarianten im Zentrum:

Zunächst geht der Autor auf den rechten Antisemitismus ein, von der Holocaust-Leugnung bis zur Täter-Opfer-Umkehr. Im judenfeindlichen Antiglobalismus sieht er dabei eine offene Tür des Antiimperialismus. Dieser sei auch beim linken Antisemitismus auszumachen, was anhand der Identitätspolitik und des Postmodernismus, aber eben auch des Antiimperialismus in diesem politischen Lager verdeutlicht wird. Und dann fällt der Blick auf den „islamischen Antisemitismus“ – Salzborn formuliert so und spricht nicht nur vom islamistischen Antisemitismus. Gleichwohl fällt auch hier der Blick auf Djihadismus, Okzidentalismus und Opferinszenierungen. „Antisemitismus“, so die Bilanz dazu, „ist als negative Leitidee der Moderne der integrale Kulminationspunkt, in dem der Hass auf Freiheit und Gleichheit projektiv formuliert und konkretisiert wird“ (S. 139) – und dies kulminiere in einer Integrationsideologie, nämlich dem Hass auf Israel. Den Abschluss des Bandes bilden dann noch Betrachtungen zu emotionalen Erbschaften und der Wiederkehr des Verdrängten.

Der Autor springt demnach in der Darstellung häufiger von konkreten Beispielen und abstrakten Reflexionen hin und her, was den Erörterungen einen besonderen intellektuellen Reiz gibt. Gleichwohl lösen Ausführungen immer wieder das Bedürfnis zum kritischen Nachfragen aus. So konzentriert sich die Darstellung auf die rechte, linke und islamische Variante des Antisemitismus. Doch wie schaut es mit den weitaus größeren Anteilen judenfeindlicher Ressentiments als Einstellungen in der Gesamtbevölkerung aus? Besondere Beachtung verdienen die kritischen Ausführungen zum linken Antisemitismus, die in dem damit gemeinten politischen Lager sicherlich nicht auf Begeisterung stoßen werden. Salzborn macht aber gerade beim Blick auf den „Antiimperialismus“ deutlich, dass sich dahinter sehr wohl ein reaktionärer Kollektivismus verbergen kann. Man muss nicht allen Einschätzungen zustimmen, gleichwohl laden sie zu kritischen Reflexionen ein. Dazu hat Salzborn erneut wichtige Anstöße geliefert – welche gerade im linken Lager thematisiert werden sollten.

Samuel Salzborn, Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne, Weinheim 2018 (Beltz Juventa), 257 S., Euro 24,95, Bestellen?

Aus dem Vorwort von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland:

„Wichtig ist, dass man Antisemitismus nicht nur einer Seite zuordnen darf. Ob es sich nun um Rechtsextreme oder Teile einer im Bundestag sitzenden rechten Fraktion handelt; ob es um Islamisten geht, die ihren Judenhass entweder hier kultiviert oder aber importiert haben; oder ob es um Linksextreme geht, die glauben sich in ihrer Israel-Obsession in legitimer Weise antisemitischer Stereotype bedienen zu können – ein umfassendes Bild und eine langfristige Strategie sind erforderlich.

Vor allem müssen wir feststellen: Antisemitismus ist kein Phänomen der Extremen mehr: Er ist unter uns. Antisemitismus ist auch nicht nur eine Frage der Quantität. Es ist die Qualität, die ihn ausmacht. Schulen, Ausbildungsstätten und gerade auch die Medien müssen dahingehend sensibilisiert werden.

Dieses Buch von Samuel Salzborn liefert dafür eine exzellente Vorlage. Ich hoffe, dass es viele Leserinnen und Leser finden wird und wünsche zugleich inständig, dass die Lektüre irgendwann nicht mehr von Nöten sein wird. Denn dies würde bedeuten, wir hätten den Antisemitismus ein für alle Mal besiegt.“