Die Schabbat-Shopping-Schlacht

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Das neue Supermarktgesetz sorgt bei vielen Israelis für Unmut. Von Netanyahu durchgeboxt, um den Koalitionsfrieden im Kabinett wiederherzustellen, beschert es ihm nur weiteren Ärger…

Von Ralf Balke

Ladenöffnungszeiten können in Israel schnell zu einem Politikum werden, so dass sie selbst die Regierung in die Bredouille bringen können. Diese Erfahrung darf derzeit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu machen. Denn um seine Koalitionspartner von der sephardisch-orthodoxen Schass-Partei sowie der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Torah Judentum bei der Stange zu halten, boxte er am 9. Januar das sogenannte „Supermarkt-Gesetz“ durch die Knesset. Selbst Kritik aus den eigenen Reihen ließ ihn unberührt und so stimmte das israelische Parlament denkbar knapp mit 58 gegen 57 in dritter Lesung für die umstrittene Gesetzesinitiative.

Vorangegangen war eine heftige Auseinandersetzung sowohl in der Politik als auch in den Medien, weil die neue Regelung dem Innenminister, aktuell Arye Deri von Schass, damit die gesetzlichen Mittel in die Hand gibt, alle Geschäfte am Schabbat dicht zu machen, wenn es ihm beliebt. Für viele Israelis ist das „Supermarkt-Gesetz“ eine massive Einschränkung ihrer Freiheiten und nur ein weiterer Beweis für die Ambitionen der Religiösen, allen Israelis ihre Lebensweise aufzuzwingen. Doch mit der Abstimmung in der Knesset ist der Krach noch lange nicht beigelegt. Und Netanyahu droht weiteres Ungemach, diesmal von seinem Koalitionspartner Israel Beitenu, weshalb der Streit um die Schließung von Geschäften am Schabbat gerade in die nächste Runde geht. Ein zentraler Schauplatz ist die rund 35 Kilometer südlich von Tel Aviv gelegene Hafenstadt Ashdod, mit über 220.000 Einwohnern immerhin Israels sechstgrößte Stadt.

Denn in Ashdod meinte plötzlich Bürgermeister Yehiel Lasri im Anschluss an die Entscheidung vom 9. Januar das neue Gesetz auch in der von ihm regierten Stadt anwenden zu müssen. Anders als seine Kollegen etwa in Petach Tikwa, Ashkelon oder Haifa schickte er sofort Inspektoren in die großen Einkaufszentren Big Fashion Center und Star Center, die natürlich wie immer am Schabbat offen hatten, und verdonnerte jeden einzelnen Ladenbesitzer zu einer saftigen Geldstrafe. Das wiederum verärgerte nicht nur die Geschäftsleute, sondern auch viele Bewohner von Ashdod, die zu einem großen Teil aus der Ex-Sowjetunion stammen und mit Religion im Regelfall eher wenig am Hut haben. Über zweitausend machten in einer ersten Demonstration vor der Stadtverwaltung ihrem Unmut über das Vorgehen Luft. „Das Ganze ist völlig absurd“, erklärte der Angestellte eines Elektrogeschäfts gegenüber der israelischen Presse und verwies auf die Tatsache, dass es bald Neuwahlen geben könnte, falls Netanyahu wegen der zahlreichen gegen ihn erhobenen Vorwürfe wirklich von einem Gericht verurteilt werden könnte. Die Chancen dazu stehen gar nicht schlecht – bereits seit Monaten ermittelt die Sondereinheit Lahav 433, auch als Israels FBI bekannt, gegen ihn wegen Betrugs in zwei separaten Fällen. „Es geht um nicht anderes als Politik.“ Um bereits im Vorfeld die eigenen Anhänger zu mobilisieren, fuhren sowohl Vertreter der Regierungskoalition als auch der Opposition eigens nach Ashdod, um vor laufender Kamera demonstrativ zu shoppen.

Den Anfang machten niemand Geringeres als Avigdor Lieberman, seines Zeichens Verteidigungsminister im Kabinett Netanyahu und damit Netanyahu Koalitionspartner, sowie Yair Lapid von der oppositionellen Yesh Atid-Partei. „Diejenigen, die behaupten, das Supermarkt-Gesetz würde nichts ändern, liegen absolut falsch und wollen uns nur täuschen“, so Lieberman. „Die Auswirkungen sehen wir aktuell in Ashdod, wo bis vor kurzem noch alle in Harmonie miteinander zusammengelebt hatten. Nun ist die Stadt gespalten und ich hoffe sehr, dass das Gleiche nicht in anderen Metropolen passieren wird.“ Ferner forderte er die Haredim auf, sich zu endlich beruhigen. „Genauso wie ich jeden respektiere, der am Schabbat in die Synagoge geht, erwarte ich von den Religiösen Respekt gegenüber denjenigen, die am Schabbat einen Kaffee trinken wollen.“ Und Yair Lapid, dessen Partei das Supermarkt-Gesetz im Vorfeld bekämpft hatte, sagte: „Wir kamen nach Ashdod, weil diese uns alle beleidigende neue Regelung wieder verschwunden muss.“ Zugleich versprach er, das Supermarkt-Gesetz sofort zu kippen, falls Yesh Atid als Sieger aus den nächsten Wahlen hervorgehen sollte.

Innenminister Deri jedenfalls wollte sich nicht beruhigen und schoß verbal zurück. „Mit Avigdor Lieberman bin ich fertig. Er trampelt auf dem Schabbat rum und hat jede rote Linie überschritten. Sogar Tommy Lapid, einer der größten Religionshasser, hätte es damals nicht gewagt, so etwas zu sagen.“ Und Vertreter der Partei Vereinigtes Torah Judentum forderten Netanyahu auf, seinen Verteidigungsminister zur Räson zu bringen. Der jedoch legte nach. Im Armee-Radio meinte Lieberman: „Unglücklicherweise wollen manche hier einen Kulturkrieg. Angesichts der zahlreichen Bedrohungsszenarien, denen Israel ausgesetzt ist, scheint es mir das Letzte zu sein, was unser Land noch braucht.“ Damit sollte allen klar sein: Mit dem Koalitionsfrieden ist es wieder einmal dahin. Und ganz offensichtlich hat Netanyahu gerade keinerlei Mittel zur Hand, um die religiösen Parteien sowie Israel Beitenu irgendwie zur Disziplin zu bringen, wodurch sich seine innenpolitische Schwäche weiter manifestiert. „Wenn wir wollen, dass diese Regierung weiterhin großartige Sachen für Israels Öffentlichkeit leistet, dann müssen wir uns beruhigen und zusammenarbeiten“, appellierte er an die Streithähne. Genutzt hatte es bis dato wenig. Denn nun fühlten auch weitere Minister sich dazu beflissen, ihre Meinung zu äußern und Position dafür oder dagegen zu beziehen. Und Lieberman legte noch einen drauf. So untersagte er vor wenigen Tagen dem sephardischen Oberrabbiner Yitzhak Yosef, dem obersten Rabbiner der Stadt Safed, Shmuel Eliyahu, sowie dem nationalreligiösen Rabbiner Shlomo Aviner jegliche weitere Teilnahme an Zeremonien bei den Streitkräften. Der Anlass: Sie hatten die Anwesenheit von Frauen in der israelischen Armee zum Problem erklärt.

Und in Ashdod? Dort reißen die Demonstrationen nicht ab. Regelmäßig gehen die Bewohner auf die Straße. Mittlerweile wurden auch Forderungen nach dem Rücktritt von Bürgermeister Yehiel Lasri laut. Ihr Vorwurf: Er diskriminiere die säkularen Bewohner der Stadt. Ihre Slogans lauten unter anderem: „Wir sind nicht gegen die Haredim, aber wir sagen den ultraorthodoxen Mitglieder der Knesset: Hände weg von Ashdod!“ Dabei sind die Spannungen nicht wirklich neu. Zwar ist die Mehrheit der Bewohner eher säkular eingestellt, aber in den vergangenen Jahren kam es zu einem verstärkten Zuzug von Ultraorthodoxen in die Hafenstadt, die dort ihre ganz eigenen Enklaven geschaffen. Sie leben eher separiert von den weniger Religiösen, besser wird die Situation deshalb aber auch nicht. Vor zwei Jahren bereits kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, weil sie gegen die Ausweitung der Wehrpflicht auf ultraorthodoxe Männer protestiert hatten. Auch hatten sie in der Vergangenheit mehrfach gegen die Öffnung der Einkaufszentren am Schabbat demonstriert – unter anderem im Mai 2015 mit einem Massengebet von rund 10.000 ihrer Anhänger.

Zudem blamierte sich Ashdods Bürgermeister Yehiel Lasri mit der Entsendung von jüdischen Inspektoren, die darauf achten sollen, dass zu Schabbat die Geschäfte nicht öffnen und gegebenenfalls ihren Besitzern Geldbußen aufbrummen, bis auf die Knochen. Zwar sucht die Stadt in einer Ausschreibung explizit nach nichtjüdischen Inspektoren, doch sind diese einfach nicht zur Hand, weswegen die aktuellen Juden sind, was sich anhand der Namen leicht nachweisen lässt. „Die Verwaltung von Ashdod schickt jüdische Inspektoren am Schabbat los, um einem Gesetz Nachdruck zu verschaffen, das besagt, dass am Schabbat nicht gearbeitet werden darf“, lästerten manche auf Twitter. „Wenn man die Dummheit der aktuellen israelischen Regierung auf den Punkt bringen will, dann ist dieses Beispiel einfach perfekt.“

Bild oben: Tiv Tam ist nur einer von vielen Supermärkten, die bis auf Jom Kippur jeden Tag rund um die Uhr geöffnet haben, (c) haGalil