Verstößt der Iran gegen den Nukleardeal?

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Angesichts der unaufhörlichen Angriffe des amtierenden US-Präsidenten gegen das Atomabkommen haben sich iranische Offizielle zu fatalen Äußerungen hinreißen lassen. Damit nähren sie selbst die Zweifel daran, ob der Iran das Abkommen überhaupt einhält…

Von Detlef zum Winkel
Eine leicht gekürzte Version erschien zuerst bei: Jungle World v. 18.01.2018

Donald Trump hat seine Feindschaft gegen den Mitte 2015 vereinbarten und Anfang 2016 in Kraft getretenen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) nie verhehlt. Aus seiner Sicht hat die Aufhebung der Sanktionen nur Nachteile bewirkt. Das Regime nutzte die Beruhigung der Nuklear-Kontroverse, um seine Interventionen in Syrien zu verdoppeln, die Aufrüstung der Hizbollah zu intensivieren, ein Bündnis mit Russland zu schließen und den Bürgerkrieg zu Gunsten Assads zu entscheiden. Hinzu kommen die Fortschritte des iranischen Raketenprogramms. Trumps Wut geht also nicht auf „Iranophobie“ zurück, wie es der eloquente Außenminister Mohammad Javad Zarif nennt, der mit solchen Wortschöpfungen den Unschuldigen mimt.

Alle diese Themen waren jedoch nicht Gegenstand der Verhandlungen in Genf, Lausanne und Wien. Man kann darüber streiten, ob die Diplomaten der P 5+1 Länder (USA, Russland, China, GB, Frankreich, Deutschland sowie EU) gut beraten waren, sich darauf einzulassen. Andererseits scheint das Ziel einer zehnjährigen Einfrierung des iranischen Atomprogramms wichtig genug zu sein, um ein solches Vorgehen zu rechtfertigen. So ist die bis heute andauernde Situation entstanden, dass die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) dem Iran regelmäßig bescheinigt, sich an das Abkommen zu halten, während der US-Präsident seine Angriffe fortsetzt. Im Oktober 2017 weigerte sich Trump zum ersten Mal, die Vertragstreue der Iraner zu bestätigen, verbunden mit der Aufforderung an den Kongress, über neue Sanktionen zu beschliessen oder die früheren wieder einzusetzen. Der Kongress folgte ihm bisher nicht. Im Januar 2018 verneinte Trump erneut, dass der Iran mit dem JCPoA konform handele. Jetzt versicherte er, dass sein nächster turnusmäßiger Bericht an den Kongress Strafmaßnahmen enthalten werde. Beweise für iranische Verstöße gegen das Abkommen legte er nicht vor; das Thema ist auch zu komplex für sein populistisches Handwerk.

Die europäische Politik reagiert darauf zunehmend nervös. Allen voran bekräftigen Frankreich, GB, Deutschland und die EU-Kommission ihr Festhalten am JCPoA. Doch die Überredungskünste der vier M (Mogherini, Macron, May, Merkel) haben ebenso wenig bewirkt wie die Appelle amerikanischer Prominenter, das wichtige Abkommen nicht mutwillig zu zerreißen. Sie haben Recht: Trumps Vorgehen verheißt nichts Gutes für die internationalen Beziehungen im Allgemeinen und für den Nahen Osten im Besonderen. Aber sie haben Unrecht und handeln leichtfertig, wenn sie sich aus Bequemlichkeit mit den Statements der IAEA zufrieden geben und dem iranischen Atomprogramm keine weitere Aufmerksamkeit widmen.

Iran antwortet mit einer Mischung aus Drohung und Genugtuung auf Trumps Attacken. Die Genugtuung besteht darin, dass es ihnen gelungen ist, einen Keil zwischen die USA und die EU zu treiben. Während Zarif die Europäer umwirbt, sie möchten, ja sie müssten endlich aus der amerikanischen Abhängigkeit heraustreten, ist sein Stellvertreter Aragchi schon einen Schritt weiter. Teheran sei es gelungen, sagte er im iranischen Staatsfernsehen, die USA von ihren Alliierten zu isolieren. Das sei ein einmaliger diplomatischer Sieg der Islamischen Republik[1].

Die Drohung liegt in diversen Ankündigungen, eine erneute Verhängung von Sanktionen nicht tatenlos hinzunehmen. Eine passende und harte Antwort werde umgehend erfolgen; die USA würden ihr Handeln bald bereuen; der Iran werde bei einem Scheitern des Abkommens sein Atomprogramm in vollem Umfang wieder aufnehmen. Um die Ernsthaftigkeit dieser Ankündigungen zu unterstreichen, telefonierte der Chef der iranischen Atomenergiebehörde (AEOI), Ali Akbar Salehi, am 8. Januar mit dem Generaldirektor der IAEA Yukiya Amano. Bei einem Bruch des JCPoA durch die USA werde man die Zusammenarbeit mit der IAEA und damit das Ausmaß ihrer Inspektionen im Iran auf das frühere Niveau zurückfahren.

Auch in diesem Fall ging der Stellvertreter ein paar Schritte weiter als sein Vorgesetzter. Behrouz Kamalvandi erklärte namens der AEOI, die Kommission könne das Atomprogramm auf verschiedenen Feldern beschleunigen und insbesondere die Urananreicherung im Vergleich zum Niveau vor dem Abkommen um ein Vielfaches steigern („enrichment can be increased several times more than in the period before the nuclear agreement“)[2]. Dies habe seine Organisation den höchsten Autoritäten des Landes kürzlich berichtet. Natürlich würden Tempo, Umfang und Anreicherungsgrad von den Entscheidungen der politischen Führung abhängen, sagte Kamalvandi. Ihm gehe es nur darum festzuhalten, was die AEOI gegebenenfalls leisten könne[3].

Diese Aussage aus berufenem Munde kann nicht einfach als Kraftmeierei abgetan werden, da sie den Kern des Nuklearabkommens berührt. Den Westmächten geht es beim JCPoA darum, die sogenannte breakout time für die Dauer eines Jahrzehnts auf mindestens 12 Monate zu begrenzen. Die Anreicherung sollte – unter Kontrolle der IAEA – so weit reduziert werden, dass der Iran mindestens ein Jahr benötigt, um den für eine Atombombe erforderlichen Spaltstoff zu produzieren. Im krassen Gegensatz dazu behauptet Kamalvandi, Iran besitze jetzt schon die technische Fähigkeit, die festgelegte breakout time zu unterbieten. Dazu sollte das Land nach der westlichen Auslegung des JCPoA erst in ca. 12 Jahren in der Lage sein!

Mit seinem Trommelfeuer hat Trump bewirkt, dass die kritische Beobachtung der Umsetzung des JCPoA geschwächt worden ist. Kamalvandis Aussage muss die IAEA auf den Plan rufen. Die Qualität ihrer Konformitätsbescheinigungen steht in Frage. Von der EU sollte erwartet werden, dass sie die gleiche Energie, mit der sie sich zum JCPoA bekennt, aufwendet, um den Iran zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu nötigen. Die Bundesrepublik trägt in diesem Kontext eine besondere Verantwortung. Kamalvandis Behauptungen können nur zutreffen, wenn der Iran in den letzten zwei Jahren bedeutende Fortschritte bei der Forschung und Entwicklung fortgeschrittener Zentrifugen gemacht hat. Das wäre nur möglich, wenn das Regime technologische Unterstützung erhalten hätte. Mit solchen Anliegen wandte es sich bislang immer gern an deutsche Unternehmen.

[1] http://ifpnews.com/exclusive/eus-support-iran-nuclear-deal-not-economic-reasons/

[2] http://kayhan.ir/en/news/48745/iran-ready-to-greatly-increase-enrichment

[3] http://ifpnews.com/wired/iran-warns-can-immediately-speed-nuclear-activities/