Kamerad App

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Keine geheime Kommandosache mehr. Israel macht die Existenz seiner Einheit 3060 offiziell bekannt. Ihre Aufgabe: die digitale Kriegsführung…

Von Ralf Balke

Apps sind eine feine Sache. Nicht zuletzt dank vieler tausend mobiler Anwendungen, die mittlerweile auf dem Markt zu finden sind, ist für die meisten Menschen das Smartphone zum unentbehrlichen Lebensbegleiter geworden. Im Durchschnitt befinden sich 30 Apps auf jedem Gerät. Sie helfen ihren Besitzern, sich in fremden Städten zurechtzufinden, ein gutes Restaurant zu entdecken und sogar bei der Suche nach einem Partner für die Nacht. Aber auch im nichtzivilen Bereich hat man ihr Potenzial entdeckt. So wie das israelische Militär, das unter der Bezeichnung >Einheit 3060< eigens eine Abteilung auf die Beine gestellt hat, die sich ausschließlich mit den Aufgaben der digitalen Kriegsführung beschäftigt und an entsprechenden Konzepten tüftelt. Vor wenigen Tagen nun wurde das Geheimnis rund um diese ganz besondere Truppe, die bereits 2014 ins Leben gerufen wurde, gelüftet und ihre Existenz sowie Arbeitsweise publik gemacht

„Sie funktioniert ein wenig wie ein Start-up“, erklärte ein anonym gebliebener Offizier der israelischen Presse gegenüber. Was er damit sagen will: Nicht Drill und Disziplin zählen hier. Vielmehr stehen Kreativität und Experimentierfreudigkeit im Vordergrund sowie die Möglichkeit, auch unkonventionelle Wege bei der Suche nach Lösungen gehen zu dürfen. Ebenso wie in der hoch kompetitiven Arbeitswelt der IT-Branche sollen die Soldaten, die in der >Einheit 3060< ihren Militärdienst leisten, lernen, blitzschnell auf abrupte Veränderungen reagieren zu können – nur stehen diesmal nicht ein volatiler Markt oder spezielle Kundenwünsche im Vordergrund, sondern die ganz konkreten Gefahren für Israels Sicherheit. Genau deshalb will man die Skills der zumeist jungen Computer-Nerds fördern und ihr Know-how anzapfen. Auf diese Weise erhoffen sich die Verantwortlichen einen technologischen Vorsprung auf den Kriegsschauplätzen der Zukunft. Und der kann überlebenswichtig sein für den jüdischen Staat mit seiner aus verteidigungspolitischer Perspektive ziemlich problematischen geographischen Lage und gerade einmal acht Millionen Einwohnern.

„Allein schon aufgrund der vielfältigen Bedrohungsszenarien, mit denen Israel ständig konfrontiert wird, muss die Einheit äußerst dynamisch sein“, bringt es der Offizier in der Präsentation auf den Punkt. „Schließlich kann sich die politische und militärische Situation hier in der Region immer wieder schlagartig ändern, was ganz konkrete Auswirkungen auf unsere Arbeit und ihre Zielvorgaben hat.“ Im Vordergrund steht vor allem die Entwicklung von Apps, die relevante und aktuelle Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zugänglich machen und es militärischen Entscheidern so erleichtern, ihr Vorgehen vor Ort in Konfliktsituationen zu koordinieren. Auf diese Weise können Soldaten und Material gezielter zum Einsatz kommen, was Ressourcen schont und womöglich auch unnütze Opfer auf allen Seiten vermeidet. Kurzum, Algorithmen, künstliche Intelligenz und Big Data kommt beim Schutz der Grenzen Israels und der Bekämpfung des Terrors zunehmend eine Schlüsselrolle zu.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine App empfiehlt den Planern eines Militäreinsatzes die Route zu seinem Ziel – vielleicht eine Raketenstellung der Hamas oder des Islamischen Jihad in einem bewohnten Gebiet in Gaza – und liefert aus der Vogelperspektive dazu detaillierte Bilder der Umgebung von einer Drohne in real-time auf ihr Tablet oder Smartphone. Das Programm kalkuliert die verschiedenen zur Option stehenden Strecken, nennt die Zeiten, die beispielsweise ein gepanzertes Kampffahrzeug dorthin jeweils braucht, und klärt über die meteorologische Situation sowie den Zustand der Straßen auf. Zugleich weist es auf mögliche Gefahren durch feindliche Observationsposten, mögliche Sprengfallen oder unübersichtliche und damit potenziell gefährliche Areale hin. >Königsweg< heißt das System passenderweise. Ein Vorläufer davon kam 2014 bereits im Gaza-Konflikt zum Einsatz und warnte unter anderem die Nahal- sowie die 401. Bewaffnete Brigade bei ihrem Vorrücken in al-Atatra im nördlichen Gazastreifen vor Heckenschützen und versteckten Sprengsätzen. „Probleme sollen identifiziert werden, bevor sie im Aktionsgebiet real werden“, umreisst der Offizier die Anforderungen an eine solche Technik. Apps dieser Art „haben bereits einige Leben gerettet“ – und die Art der Kriegsführung grundlegend verändert. „Heute packt ein Offizier am Einsatzort keine Landkarten mehr aus.“ Das Bildmaterial muss von hochauflösender Qualität sein und in real-time abrufbar. „Dabei sollte alles für den User möglichst einfach zu beherrschen sein.“

Und wie Apps für das zivile Smartphone oder den Tablet entwickeln die Angehörigen der >Einheit 3060< ihre Produkte kontinuierlich weiter, um sie zu optimieren oder eventuelle Bugs zu beseitigen. Rund 400 Soldaten gehören ihr an, drei Viertel davon sind Männer, ein Viertel Frauen. Das Verhältnis zwischen Wehrpflichtigen und Berufssoldaten beträgt rund Fifty-Fifty. Was auf den ersten Blick ungewöhnlich ist: Zehn der Soldaten sind Autisten. Denn sie haben einen ausgeprägten Hang zu Details und bemerken selbst kleinste Veränderungen sofort, weshalb sie gerne auch von den israelischen Nachrichtendiensten eingesetzt werden. Ihre Defizite im sozialen Umgang werden oftmals durch akribisches Arbeiten, ein hohes technisches Verständnis und den für Autisten unproblematischen Umgang mit nervtötenden Routineaufgaben und häufigen Wiederholungen ausgeglichen. Deshalb sind sie mit von der Partie.

>Einheit 3060< verfügt ferner über ein Data Science Labor und kann auf das Wissen von Spezialisten anderer Hightech-Programme wie Mamram, Psagot oder Talpiot zurückgreifen. Vernetzt ist man darüber hinaus mit Experten aus der ganzen IT-Branche, die dann bei der Ausbildung mit Rat und Tat zur Seite stehen. Eine von ihnen ist eBay Israel Chef-Forscherin Dr. Kira Radinsky, vom Wirtschaftsblatt Globes 2016 zur „Frau des Jahres“ ernannt. „Sie haben bereits Beeindruckendes geleistet“, so Radinskys Urteil über die Angehörigen der >Einheit 3060<. Die Daten, auf die ihre Apps und Software zurückgreifen, sind übrigens vielfältiger Natur: Es können konventionelle Fotos ebenso sein wie Videoaufnahmen aus Drohnen, altes Archivmaterial oder abgefangene Textnachrichten aus den sozialen Netzwerken und Sprachaufzeichnungen. Die eigentliche Herausforderung aber besteht darin, Systeme zu entwickeln, die all das weiterverarbeiten, analysieren und dann Handlungsempfehlungen formulieren, also Daten erst >smart< machen. Vieles funktioniert so wie in der digitalisierten Welt von Industrie 4.0, auch bekannt unter dem Schlagwort >Das Internet der Dinge<.

Dabei lernen die Systeme ständig hinzu und werden kontinuierlich intelligenter. Dennoch sind sie nur in der Lage Bilder aufzuarbeiten, das Terrain zu sondieren und Informationen über den Feind zu vermitteln. „Selbst wenn die Programme bei der Auswahl von möglichen Zielen zunehmend unverzichtbar werden, so können sie die klassische nachrichtendienstliche Arbeit niemals ersetzen, sondern nur ergänzen“, so der Offizier. „Und auch die Entscheidungen darüber, welche Maßnahmen in bestimmten Situationen ergriffen werden, fällt immer noch ein Mensch.“

Bild oben: IDF