Eine Publikation des Jüdischen Museums Wien stellt kaum bekannte Fotos aus den Displaced Persons Camps in Österreich vor…
Die Herausgeber und Autoren des „Wiener Jahrbuchs für jüdische Geschichte, Kultur und Museumswesen“ haben sich auf Spurensuche begeben. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten sich auch in Österreich Zehntausende von jüdische Überlebende der Konzentrationslager und sogenannte „infiltrees“, Juden, die vor pogromartigen Übergriffen aus Osteuropa geflohen waren, als Displaced Persons in zahlreichen Auffanglagern gesammelt. Doch bleiben wollten sie dort nicht – Ziel der heimatlosen Menschen war Erez Israel oder eines der klassischen Emigrationsländer in Übersee. Dieses Leben im Transit steht im Mittelpunkt der neuen Publikation. Neben dem Fokus auf kaum bekannte fotografische und schriftliche Zeugnisse, etwa aus den Lagern Rothschild-Spital (Wien), der Kaserne Riedenburg (Salzburg) sowie aus dem Camp Givat Avoda (Saalfelden), beschreiben renommierte Autoren auch die Situation jüdischer Flüchtlinge, die 1956 aus Ungarn nach Österreich kamen, und zeichnen die Geschichte der sowjetischen Juden, die in den 1970er und 1980er Jahren über Wien nach Israel oder in die USA ausreisten, in neun Überblicksbeiträgen nach.
Besonders wertvoll machen den Band jedoch die vielen neu entdeckten historischen Fotos aus den jüdischen „Wartesälen“, wie etwa die Sammlung von Kurt Bergmann, die das Museum 2013 als Nachlass geschenkt bekommen hatte – insgesamt 130 Lichtbilder. „Zu Beginn wusste das Museum nicht viel, weder über die Fotos, noch über deren Besitzer“, schreibt Christine Oertel in ihrem Beitrag. Bergmann wurde 1919 in Wien geboren, flüchtete 1938 nach Palästina und kehrte 1947 in seine Heimatstadt zurück. Es ist nicht bekannt, wie Bergmann in den Besitz der Fotos kam, die in der Zeit zwischen Herbst 1945 und Ende der 1940er Jahre entstanden sind. Die Bilder ermöglichen einen tiefen Einblick in die Welt der jüdischen Displaced Persons, sie zeigen die Enge und fehlende Privatsphäre in den Massenunterkünften, aber auch fröhliche Kinder beim Spielen und Lernen in den Lagerkindergärten und -schulen. Sie dokumentieren den kulturellen und sozialen Neubeginn, den Aufbau einer politischen Selbstverwaltung und die Renaissance einer wieder offen und frei gelebten Religiosität.
Ein weiterer Beitrag befasst sich mit den Fotografien des deutsch-jüdischen Fotografen Henry Ries, der im Auftrag einer US-Zeitung über die Situation im Transitlager Rothschild-Spital berichtete. Auch die Fotos aus der Sammlung von Wolf Schärf zeigen Szenen aus dem Rothschild-Spital. Schärf hatte diese Aufnahmen im Auftrag des Joints angefertigt. Mehr als 100 Schwarz-Weiß Fotos liegen im Archiv der jüdisch-amerikanischen Wohlfahrtsorganisation in New York, darunter auch die vom Wiener Museum erworbenen Abzüge. Wolf Schärf lichtete fast drei Jahre lang mit viel Einfühlungsvermögen das ganz normale Lagerleben ab – im Spannungsfeld von Schicksalsergebenheit, Tristesse und Hoffnung. Intime Fotos ohne voyeuristisch Note, denn Wolf Schärf war „einer von ihnen, er gehörte genauso wie sie zur Scheerit Hapletah, den letzten Überlebenden“, wie die Museumsarchivarin Christa Prokisch schreibt.
In ihren Texten (deutsch/englisch) machen die Autoren zudem deutlich, wie die Geschichte der jüdischen Flüchtlinge in Österreich nach 1945 bis in die heutigen Tage hineinreicht. Ein interessanter Band, der Schlaglichter auf das immer wieder aktuelle Thema Heimat, Flucht und Neuanfang wirft. – (jgt)
Danielle Spera, Werner Hanak-Lettner (Hg.), Displaced in Österreich/Displaced in Austria. Jüdische Flüchtlinge seit 1945/Jewish Refugees since 1945, Innsbruck 2017, 176 Seiten, 29,90 €, Bestellen?
Bild oben: Schulklasse im DP-Camp Rothschild-Spital, Foto: Wolf Schärf (Jüdisches Museum Wien)