Paraschat haSchawua: waJelech

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Der Einzige und der Einsame

Rabbiner Dr. Jakob Teichman

«Ich aber werde an jenem Tage
mein Antlitz verbergen.»
(5. Mos. 31, 18)

Ein folgsames Kind ist glücklich, wenn es den Blick der Eltern auf sich gerichtet weiss, ein widerspenstiges versteckt sich, um der Kontrolle und der Bestrafung zu entgehen. Die Anteilnahme, die uns der Mitmensch allein dadurch bekundet, dass er uns sein Gesicht zuwendet, vermag uns Ansporn und Mut zu geben. Sie ist eine Bestätigung unserer Person, unserer Haltung, unserer Leistung. Nach bekannter Ansicht von Fachleuten merkt bereits der Säugling, wenn kleine Zeichen seiner spontanen Freude am Leben, sein Strampeln, sein Lachen, selbst nicht artikulierte Laute, die er von sich gibt, beachtet und entsprechend beantwortet werden. Das ihm zugewandte Gesicht der Mutter oder einer ständigen Pflegerin kann durch unpersönliche Fürsorge, und sei sie noch so tadellos, nicht ersetzt werden; bleibt die Suche nach Kontakt und Bestätigung – oder auch Tadel – erfolglos, wird das Kind kontaktarm und verwahrlost. Es weint nicht, lernt auch nicht zu lachen.

Diese Beobachtung über die kindliche Psyche mag verglichen werden mit dem tiefen Wunsch des Gläubigen, von seinem Gott beachtet zu werden. Die Idee der Gotteskindschaft des Menschen ist Basis und Gipfel, Ausgangs- und Höchstpunkt unserer Religion. Sie wird uns tief und stark eingeprägt vom ersten Kapitel der Tora an, in dem Adam als ein von Gott nach Seinem Ebenbild Erschaffener erscheint, bis zu der Feierstunde, in der wir unseren Schöpfer als «unseren Vater, unseren König» anrufen. Selbst die Idee der Auserwähltheit Israels, des «Erstgeborenen» des Ewigen (2. M. 4, 22) – zu vermehrtem Dienst und dafür zu vermehrter Belohnung aufgerufen – ist nur ein Teil der Lehre von der Gotteskindschaft aller Menschen. Wenn Adam von der verbotenen Frucht isst und sich versteckt, handelt er wie ein Kind, das der Bestrafung für seinen Ungehorsam entgehen möchte. Auch Kain meint, er müsse sich vor dem Angesichte des Ewigen verbergen, was aber zur Folge haben würde, dass jeder, der ihn findet, ihn töten darf.

Das dem Menschen zugewandte Antlitz des Ewigen ist sein Schutz, ja noch mehr: sein Segen selbst. So betet der Psalmist:

«Viele sagen: Wer wird uns Gutes schauen lassen? Erhebe über uns das Licht Deines Angesichts, Ewiger!» (Ps. 4, 7) – Im Priestersegen (4. Mos. 6, 24-26) ist dieser Gedanke zwiefach bestätigt:

«Er, der Ewige, lasse dir sein Antlitz entgegenleuchten. Er, der Ewige, erhebe sein Antlitz zu dir…» Unsere Frommen glauben fest daran, dass der Ewige sein Gesicht auch vom Sünder nicht endgültig abwendet.

Ein Schüler des Baal-Schem-Tow erzählt dazu ein Gleichnis in des Meisters Namen: Ein König sah sich gezwungen, seinen Sohn wegen seines Ungehorsams züchtigen zu lassen. Er befahl seinem Diener, es zu tun. Solange er selbst aber dabeistand, hob der Knecht kaum die Rute. Er wagte nicht, den Prinzen zu schlagen. Da entfernte sich der König, und in diesem Augenblick schlug der Knecht schadenfreudig mit aller Kraft zu. Als das Kind bitterlich zu weinen begann und seinen Vater um Hilfe rief erbarmte sich dieser, wandte ihm sein Gesicht wieder zu und rettete es vor dem Griff seines Peinigers.

Unsterblichkeit

Aus den ZEITNAHEN BETRACHTUNGEN ZU DEN FÜNF BÜCHERN MOSCHES
SEIN LICHT IN DEINER HAND
Rabbiner Dr. Jakob Teichman