Terror als Wahlhelfer des „Front National“

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Sprungartiger Anstieg des FN bei Umfragen für die bevorstehenden Frankreich-weiten Regionalwahlen…

Von Danny Leder, Paris

Mein bevorzugter Zeitungshändler, der die Stimmung eines Teils meiner Nachbarschaft und dabei vor allem älterer Personen (die noch gedruckte Zeitungen kaufen, die Jüngeren Franzosen machen das kaum mehr) ziemlich gut einfängt, eröffnete mir gerade seine Wahlprognose: „Diesmal schafft es der Front National. Auch Leute, von denen ich es nicht erwartet hätte, sind bereit für Marine zu stimmen“.

Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National (FN), galt schon vor den Pariser Terror-Anschlägen als klare Favoritin bei den bevorstehenden Regionalwahlen im Großraum „Nord/Pas de Calais/Picardie“. In dieser nördlichsten Region Frankreichs, eine historische Bastion von SP und KP, konnte der Niedergang der traditionellen Schwerindustrie bisher nur mangelhaft durch High-Tech-Firmen und Dienstleistungsbetriebe wettgemacht werden.

Der FN gedieh rund um diese Industriebrachen, angespornt durch das stellenweise Absacken sozialistischer Lokalbosse in deftige Pfründe-Affären. Zuletzt trug das ausufernde Flüchtlingslager in Calais, am Eingang des Tunnels unter dem Ärmelkanal nach England, ebenfalls zum Höhenflug des FN bei.

Dammbruch im Norden und Südosten

Aber jetzt zeichnet sich ein Dammbruch zugunsten des FN ab, der über diese nördliche Region (immerhin sechs Millionen Einwohner) noch hinausgehen dürfte. Die Regionalwahlen in zwei Durchgängen, am 6. und 13.Dezember, finden landesweit statt. Wobei es, nach Zusammenlegung der ursprünglich kleineren Regionen Frankreichs, um Verwaltungseinheiten geht, die in ihrer Dimension mit kleinen europäischen Staaten durchaus vergleichbar sind. Mindestens eine weitere dieser neuen Großregionen, die  Provence/Alpes/Cote d’Azur (fünf Millionen Einwohner), könnte der FN anheimfallen. Dort verfügt der FN mit Marion Marechal-Le Pen, der 26 jährigen Nichte von Marine Le Pen, über eine geschickte und populäre Spitzenkandidatin.

Schon vor dem Sommer hatte Marine Le Pen eines der wesentlichsten Hindernisse für einen weiteren Wählerzustrom zur FN aus dem Weg geräumt, indem sie ihren Vater und Parteigründer, Jean-Marie Le Pen, politisch entsorgte. Der FN-Patriarch hatte wieder einmal einer rechtsradikalen Postille ein Interview gewährt, und darin auf seiner verharmlosenden Darstellung der Nazi-Okkupation Frankreichs und seiner Bagatellisierung des Holocausts beharrt. Marine Le Pen warf ihren Vater daraufhin aus der Partei. Das macht sich jetzt auch zweifellos für den FN bezahlt.

Dschihadisten drängen FN-Gegner in fast aussichtslose Position

In den beiden zuvor erwähnten Regionen, dem Norden und dem Südosten, das haben alle Umfragen seit den Pariser Anschlägen übereinstimmend erbracht, dürfte der FN (im ersten Wahlgang) von einem bereits zuvor sehr hohen Niveau von über 30 Prozent den Sprung auf voraussichtlich 40 Prozent der Stimmen schaffen. Alles deutet daraufhin, dass die Dschihadisten mit ihren Massakern der Nationalistenpartei den entscheidenden Anstoß zum Durchbruch verschafft haben. Und damit gleichzeitig, die der FN widerstehenden Kräfte so manchen Orts in eine fast aussichtslose Position gedrängt haben.

Auch in weiteren Regionen wird ein deutlicherer Vormarsch des FN als noch vor den Pariser Anschlägen erwartet. In der Region Ile de France (Paris und der ihn umgebende Vororgürtel) könnte  laut Umfrage der FN erstmals mit den Sozialisten gleichziehen: FN und SP halten dort demnach beide bei 22 Prozent. Die konservativen „Republikaner“ von Nicolas Sarkozy würden mit 33 Prozent den Platz eins im Pariser Großraum belegen.

Im gesamtfranzösischen Landesschnitt erbrachte eine Umfrage allerdings den Platz eins für den FN mit 29 Prozent, noch vor den „Republikanern“ (27 Prozent), gefolgt von den Sozialisten (22 Prozent). Bei den letzten landesweiten Wahlen, den Departement-Wahlen im vergangenen März, hielt der FN noch bei 25 Prozent im gesamtfranzösischen Schnitt.

Nationaler Notstand

Der sozialistische Staatschef Francois Hollande hat zwar all sofort nach den Anschlägen der Dschihadisten (parallel zu den französischen Luftangriffen auf den „Islamischen Staat“ in Syrien) in Frankreich eine radikale Verhärtung und Verstärkung der sicherheitspolitischen Maßnahmen gestartet: die Verhängung des nationalen Notstands für drei Monate, Massenfestnahmen unter radikalen Islamisten und provisorische Aussetzung des Schengener EU-Abkommens über den freien Personenverkehr. Dazu die geplante Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft (betrifft vor allem Franko-Algerier), die terroristischer Aktivitäten überführt wurden. Und schließlich die Aufstockung von Polizei und Armee sowie der Dienstwaffen-Gebrauch für Polizisten auch außerhalb ihrer Dienstzeiten.

Aber Marine Le Pen kann jetzt behaupten, Hollande habe sich damit einen Teil der Forderungen, den der FN seit langem erhob, zu Eigen machen müssen. Das ist aber eine höchst brüchige Argumentation: einmal weil der FN mit seinen zwei einzigen Parlamentsabgeordneten gegen die bereits vormalige Verstärkung der Anti-Terrorgesetzgebung der sozialistischen Regierung gestimmt hatte. Ausgerechnet die nationalpopulistische Partei, die einen Hang zu autoritären Lösungen hat, leistete sich damals die Frechheit, sich gegenüber den Sozialisten als Verteidigerin der angeblich bedrohten Bürgerrechte aufzuspielen. FN-Politiker dürften aber wohl auch eine potentielle zusätzliche staatliche Handhabe gegen rechtsrechte und rassistische Hetze gewittert haben.

Zum anderen ist es ja genau ein Zeichen der politischen Vernunft und der Angemessenheit von Reaktionen, dass die sozialistische Staatsführung nicht von vornherein die sicherheitspolitische Schraube bis an die Grenzen der bürgerrechtlichen Verträglichkeit angezogen hat. Die jüngsten Notstandsmaßnahmen wurden erst als Reaktion auf einen terroristischen Angriff sondergleichen ergriffen – und nicht als dauerhafte Form der Machtausübung, wie sie etwa Russlands Staatschef Wladimir Putin (den Marine Le Pen als „Vorbild“ bezeichnet) de facto praktiziert.

Dass die FN-Chefin zusätzlich einen kompletten Aufnahmestopp für Asylsuchende und die definitive Aufkündigung des Schengener Abkommens fordert, schockt nicht weiter Wähler, die in den letzten Monaten Ähnliches oder Härteres gelegentlich auch von Politikern der konservativen Opposition gehört hatten.