Auf dem Kiez-Sofa – in Köln

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Ein harmonischer Talkabend…

Von Uri Degania

„Übrigens, in ein paar Tagen mache ich mit meiner Kollegin in Köln die Talkshow „Kiez-Sofa“. Komm doch vorbei, es sind doch nur etwa 50 km für Dich.“ Das motivierte mich. Ich hatte mit Simon Akstinat in seiner Funktion als Redakteur der „Jüdischen Rundschau“ etwas Kontakt. Und ich wusste von seinem Fotoband „Jewish Girls“, den er 2014 herausgegeben hat. Das machte mich neugierig. 2009 war der junge Fotograf erstmals nach Israel gereist, um sein lange im Kopf gewälztes Foto-Projekt über israelische Soldatinnen endlich in Angriff zu nehmen. Es dauerte etwa, aber dann klappte es mit dem schönen Fotoband. In seinem Vorwort betont Akstinat, dass er sich „bewusst dem politischen Standpunkt des Nahostkonfliktes“ entzogen habe. Vielmehr interessierten ihn Persönlichkeiten, individuelle Kommunikation.

Cafe Goldmund

„Habt Ihr reserviert“? Die Frage wird im Cafe Goldmund noch mehrfach wiederholt. Das gemütliche Cafe in Köln-Ehrenfeld mit seinen bis zum obersten Rand gefüllten Bücherregalen, darunter auch die Brockhaus-Reihe, und den kleinen Tischen, ist ausverkauft. Gemischtes Publikum, darunter auch Gruppen von jüngeren Leuten. KIEZ SOFA. Die lokale Talkshow steht auf einer kleinen weißen Leinwand. Zwei Tage nach dem grauenhaften Massenmord in Paris fühle ich mich angespannt. Doch das Thema wird von keinem der vier Diskutanten auch nur berührt.

Nacheinander stellen sich die vier Protagonisten des Abends vor. Für Köln ist es beinahe eine Premiere – vor einem Jahr fand der Event schon einmal statt. In Berlin hingegen routieren Nadine Kleifges und Simon Akstinat monatlich durch verschiedene Berliner Stadtviertel: „Wir beiden haben keinen konfrontativen Stil“, betont der großgewachsene, kahlköpfige, gemütlich wirkende 35-Jährige. „Wir möchten heute vier verschiedene, öffentlich nicht bekannte Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft vorstellen, zu Wort kommen lassen, um so die Vielfalt, das kreative Potential unserer unmittelbaren Umgebung kennen zu lernen.“ Und: „Ja, eigentlich komme ich aus dem Rheinland, meine Eltern und Nadines Eltern leben hier, deshalb verbinden wir diesen Abend in Köln mit einem Besuch bei ihnen.“
Der erste Gast des Abends betritt die Bühne, erhält ein Mikro, dessen Handhabung gelingt nicht jedem. „Ich weiß, eigentlich müssten wir unseren heuten Talkabend eigentlich Veedel-Sofa nennen, kommentiert Akstinat seinem rheinländischen Publikum. „Aber wir belassen es mal bei unserem eingespielten Berliner Titel“. Der Kölner zeigt außergewöhnliche Toleranz und nimmt dies hin.

Der erste Gast: Gut gelaunt, noch etwas zurückhaltend, längere Haare: „Er heißt Thomas, und er hat einen außergewöhnlichen Beruf.“ Thomas ist Lampenbauer, jede seiner Lampen ist selbst gebaut, sehr individuell gestaltet. Seine Lampen verkauft Thomas er im bürgerlichen Lindenthal, unmittelbar mit seinem Laden verbunden ist seine Werkstatt. „Anfangs hab ich meine Lampen zu billig angeboten, ich war bescheiden. Aber niemand hat sie gekauft. Irgendwann hab ich den Preis verdoppelt, bei einer Lampe dann verdreifacht. Dann fand sie einen Käufer. Es tut mir leid, aber nur so funktioniert es.“ Thomas lächelt. Na, sein Laden laufe leidlich, aber er sei spannend. Leider sei er kein guter Geschäftsmann, aber er sei innerlich begeistert von seiner Tätigkeit. Eigentlich sei er Elektriker. Da habe er unkompliziert Geld verdienen können, Nachfrage gab es immer. Aber das habe ihn nicht ausgefüllt, innerlich, auf Dauer. Nun sei er auch ein wenig ein Künstler, aber vor allem ein Tüftler. Das sei er schon als Kind gewesen, daher wohl sein Interesse, seine Begeisterung. Es gelinge ihm, nahezu jeden Gegenstand in eine Lampe einzubauen. Stolz präsentiert er eine robuste, großformatige Lampe. Nadine Kleifges möchte das Objekt dem Publikum präsentieren, es gelingt ihr nur mit Mühe, wegen ihres beachtlichen Gewichts. „Diese Lampe besteht aus 24 Teilen.“ Einige Teile habe er auch bei einem Schrottplatz entdeckt. Ja, diese Lampe habe schon einen sehr individuellen Charakter, da stecke viel Arbeit und Ideen drinnen. Eigentlich passend für die Weihnachtszeit, mit seinen 24 Komponenten. Obwohl er eigentlich ein „Traditionalist“ sei stehe er heute auch modernem Lichtdesign wie der LED-Technik offen gegenüber. Da habe sich viel getan, in der letzten Zeit.

Dann betritt Erich die Bühne, ein Deutsch-Chilene, Sozialarbeiter, in seinem Outfit sowie seiner überzeugenden Körperlichkeit strahlt er Sympathie aus. Er sei zweisprachig aufgewachsen, und heute arbeite er als Leiter eines Jugendzentrums mit Jugendlichen in einem Kölner Vorwort zusammen, die vor allem aus türkischen und arabischen Ländern stammten. Er habe alles selbst aufgebaut, seit 2008, zusammen mit den Jugendlichen. Einmal, nach einem persönlichen Brief seiner Jugendlichen, sei der Kölner Oberbürgermeister persönlich erschienen, einschließlich einiger Mitarbeiter. Danach hätten sie größere, angemessenere Räumlichkeiten im Stadtteil bekommen. Die wichtigsten Fähigkeiten für seinen Job: Gespräche führen, wirklich zuhören können, die Jugendlichen in ihrer Lebenswirklichkeit und in ihren Wünschen ernst nehmen. Er habe noch Erinnerungen an Chile, auch wenn Chile mit seinen Eltern mit drei Jahren gen Deutschland verlassen habe. Aber das Erbe stecke noch tief in ihm. Kürzlich habe er in Köln ein chilenisches Restaurant entdeckt, da gehe er heute gerne hin, da könne er wieder an orale Erfahrungen und frühere familiäre Freundschaften anknüpfen. Angefangen habe er als Streetworker, danach habe er eine winzige Arbeitsstätte bekommen: 75 Qm, Büro und Küche seien in einem Raum gewesen. Entscheidend für den Erfolg seiner Arbeit sei eine gute, respektierende Elternarbeit, auch wenn er gelegentlich auch mal sehr schwierige Themen ansprechen müsse. Man müsse in seiner Arbeit immer die „multikulturelle Brille“ aufsetzen. Und man dürfe innerlich keine Tabus haben, müsse mit den Kindern und Jugendlichen auch über seine eigenen Kindheitserfahrungen sprechen, wenn es angebracht sei. Heute mache er alles: Er trete auch gerne als Weihnachtsmann auf. Oder als Clown. Ein sehr sympathischer Typ.

Danach in einer gewissen Weise ein Kontrastprogramm: David. Er sei ein Versicherungsmakler, aber ein besonderer: Er versichere nur noch Fußballprofis, von der ersten bis zur dritten Liga. Da sei er durch Zufall reingewachsen, nein, eigentlich sei er bis heute kein Fan einer speziellen Mannschaft. Fußballer stehen unter großen Belastungen, müssen sich tagtäglich durchsetzen, sich bewähren, auch nach Rückschlägen wie schwereren Verletzungen. Die seien sehr froh, wenn sie einen Vertrauten wie ihn haben, der alle Versicherungsangelegenheiten für sie erledige. Heute sei er mit vielen Spielern wirklich befreundet, und er müsse kaum noch arbeiten. Und, so fügt er hinzu: Einen Versicherungsfall wie Invalidität habe er in seinem Berufsleben noch nie erlebt. Das gäbe es eigentlich nicht mehr, wegen der medizinischen Betreuung. Und richtig glücklich, ja, das sei er im FC-Stadion, obwohl er kein wirklicher FC-Fan sei.

Den Abschluss bildet eine neue, aufstrebende Kölner Karnevalsgruppe: La Mäng, drei junge Frauen, Alina, Irina und Julia. 2006 haben sie gemeinsam im bekannten Jugendchor St. Stephan angefangen, teils auch als Solostimmen. Der Spaß an der neuen Lebenswelt ist ihnen anzumerken, auch – oder weil – sie davon noch nicht leben können. Ihre Band gäbe es eigentlich erst ein Jahr, aber inzwischen seien sie sogar schon mit einem Soloprogramm aufgetreten, und nicht „nur“ bei großen Karnevalevents, als Füller für 25 Minuten. Nur eine von ihnen sei eine „echte“ Kölnerin, bemerken sie schmunzelnd. Aber deren Oma habe auf dem Sterbebett Willi Ostermanns Klassiker „Ich möch zo Foß noh Kölle jon“ gesungen – der schwerst melancholische Klassiker der Kölner Heimatliebe, verfasst in den 30er Jahren und heute die inoffizielle Kölner Stadthymne. Auch in Tel Aviv, so sei angemerkt, wurde er von aus Köln gebürtigen Jeckes immer wieder gesungen.

Ein netter Abend.