Antifa-Demo zerstückelt, FN mit russischem Auftritt und ohne definitiven Richtungsentscheid…
Von Bernard Schmid, Paris
Kann man im Jahr 2014 ungehindert gegen einen Kongress des rechtsextremen Front National (FN) demonstrieren? Die Antwort auf die Frage schien selbstverständlich, doch im Nachhinein ist sie offensichtlich aufgeworfen. Am vergangenen Samstag, den 29. November 14 kam die Protestdemonstration, zu der die „Frankreichweite Koordination gegen die extreme Rechte“ (CONEX, Coordination nationale contre l’extrême droite) – eine seit 2012 bestehende, lockere Bündnisstruktur – aus Anlass des FN-Parteitags in Lyon aufgerufen hatte, nie an ihr Ziel. Kurz nach Überschreiten der Rhône wurde die Demonstration bei einem Polizeieinsatz in zwei, kurz darauf in drei Teile zerlegt. Nur verstreute Kleingruppen von Teilnehmer/inne/n kamen schließlich, unter die samstäglichen Passantinnen und flanierenden Konsumenten auf den umgebenden Einkaufstraßen gemischt, bis auf den Platz vor dem Lyoner Rathaus, wo ursprünglich die Abschlusskundgebung hätte stattfinden sollen. Unter ihnen der Verfasser dieser Zeilen. Das Gros des Protestzugs war zu dem Zeitpunkt in alle Winde verstreut worden.
Dieses Ergebnis eines Polizeieinsatzes war dadurch erheblich erleichert worden, dass die Mobilisierung zahlenmäßig nicht sehr stark ausfiel. Zwischen 2.000 und 3.000 Menschen waren insgesamt zusammengekommen[1], etwas höhere liegende Veranstalterangaben sind objektiv geschönt. Alle waren sich jedenfalls darüber einig, dass die Situation weit entfernt war von jener vor siebzehn Jahren: Gegen einen FN-Parteitag im elsässischen Strasbourg/Straßburg am Ostersamstag 1997 hatten, je nach Angaben, zwischen 60.000 und 100.000 Menschen demonstriert. Damals konnte die Devise „Die Stadt gehört ihnen nicht“ effektiv durchgesetzt werden, drei Tage lang blieben die Delegierten der rechtsextremen Partei auf ihrem Kongressgelände quasi eingeschlossen und konnten sich maximal bis zu ihren umliegenden Hotels bewegen.
Dieses Jahr ist der Einfluss des FN ungleich größer als damals: Bei der Europaparlamentswahl von Ende Mai wurden die französischen Neofaschisten erstmals zur stimmenstärksten Partei im Land mit 25 Prozent der abgegeben Voten, allerdings bei einer Enthaltung von 57 Prozent. Und sämtliche Umfragen sagen ihrer Chefin Marine Le Pen derzeit voraus, dass sie bei der nächsten Präsidentschaftswahl als eine der beiden Kandidat/inn/en mit dem höchsten Wähler/innen/anteil in die Stichwahl einziehen wird. Doch der Protest war ungefähr so stark wie beim letzten Kongress des im Januar 2011 in Tours, wo gut 2.000 Personen gegen ihn demonstrieren. Damals hatte ein Gutteil der Linken noch behauptet, vom FN gehe keine Gefahr mehr aus, die Partei befinde sich im Niedergang – der FN hatte etwa bei den Europawahlen 2009 nur noch 6,3 Prozent erhalten -, und das „wahre“ politische Problem sei Nicolas Sarkozy. Heute würde das wohl niemand wiederholen wollen.
Konjunkturelle und strukturelle Gründe
Dass der Protest in Lyon so vergleichsweise schwach ausfiel, hat auch mit mehr oder minder zufälligen Erklärungsfaktoren zu tun: Die französische KP, als noch immer mitgliederstärkste Kraft links von der regierenden Sozialdemokratie, hielt am selben Wochenende in der Lyoner Vorstadt Vénissieux ihr Pressefes ab – den regionalen Ableger der bekannten Fête de l’Humanité, die in ihrer Pariser Ausgabe Hunderttausende, im Raum Lyon Zehntausende Menschen anzieht. Eine örtliche KP-Kommunalparlamentarierin Josiane dazu gegenüber dem Autor dieser Zeilen: „Nein, das kann man nicht einfach so verschieben, den Saal dafür muss ein Jahr im Vorhinein mieten. Und wir wussten erst im September dieses Jahres, dass der FN-Parteitag und eine Gegendemo dazu stattfinden.“ Zwar waren eine Delegation von KP-Stadtverordneten und Parteijugend bei der Demo mit dabei, aber in geringer Zahl, und auch der Ordnerdienst von Linkskräften und Gewerkschaften blieb relativ schwach ausgeprägt.
Dies verstärkte die Auswirkung eines weiteren Problems, das sich unter dem Titel VV zusammenfassen lässt: „VV“ wie „vermummte Vollidioten“. Seit über einem Jahr, seit den Demonstrationen nach dem Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric, werden Demonstrationen gegen die extreme Rechte oft iN Teilbereichen von einer bestimmten Szene optisch dominiert, die sich durch Kapuzen und andere Formen von Vermummung zu erkennen gibt. Die Szene, die sich als „autonom“ bezeichnet – aber sich deutlich von dem unterscheidet, was etwa in Deutschland auf diesen Namen hört, erheblich gewaltaffiner und marginaler ist (vgl. ausführlicher unter Anm[2].) -, nutzt solche Demonstrationen wie im Juni 2013 in Paris und zuletzt am Wochenende in Lyon für ihre Zwecke. (Gerüchte in Lyon erwähnten i.Ü. auch eine Präsenz von deutschen oder deutschschweizerischen Autonomen, diese Behauptungen konnten jedoch zu keinem Zeitpunkt verifiziert werden.)
Es handelt sich bei den praktizierten „Aktionsformen“ im Wesentlichen um Hammerangriffe auf Geldautomaten von Banken, Schauflächen für Werbeplakate, Schaufenster und Schnellrestaurants. Attacken, die diese Szene für besonders radikal hält, auch wenn ihre positiven politischen Auswirkungen kaum auszumachen sind[3]. Und auch wenn die Dämlichkeit der vorgetragenen Aktionsformen auch noch im Konkreten kaum zu überbieten war: So konnte man in Lyon am 29. November beobachten, wie nicht etwa eine Person einmal gegen eine gläserne Schautafel für kommerzielle Werbung trat – wodurch deren Glasscheibe zerstört wurde -, sondern fünf verschiedene Personen im Demozug fünf mal hintereinander gegen ein und dieselbe, bereits zerstörte Werbeschautafel treten „mussten“. Geradezu heldenhaft, und welchen Mut dies erforderte!
Politische Forderungen irgendwelcher Art zu stellen, ist hingegen aus Sicht von Protagonisten dieser Szene von vornherein ein schwerer Fehler und verwerflich: Wer Forderungen stellt, läuft ernsthaft Gefahr, dass diese Forderungen auch vom System verwirklicht werden könnten, womit man automatisch unter seine Kontrolle zu geraten droht – eine schlimme Sache. Revolutionäre Reinheit garantiert also nur die Abwesenheit jedweder artikulierter Forderung(en), was das kleine Problem aufwirft, dass ein solches Bilderverbot auch jegliche Vorstellung einer irgendwie gesellschaftlich (gar demokratisch) diskutierten Vision von einem anderen System schlicht unmöglich werden lässt. Stattdessen legt man Wert darauf, dank Bilderverbot bzw. der Abwesenheit jeglicher artikulierter Forderungen sei man „unkontrollierbar“ (incontrôlables), wie einer der Wortfetische dieses Milieus lautet. Wie man in Lyon an diesem 29. November 14 beobachten konnte, ist diese Szene allerdings in Wirklichkeit äußerst kontrollierbar, weil nämlich das vermeintlich bekämpfte System ihr de facto zerstörerisches Wirken längst in seine Taktik einkalkuliert und eingeplant hat.
In Lyon stellte dieses Milieu, das zuvor eigene Aufrufe verfasst hatte (in denen idiotischerweise „der Faschismus“ mit der Polizei des aktuellen bürgerlichen Staats gleichgesetzt wurde[4]) zwischen einem Viertel und einem Drittel der Demonstrant/inn/en; zwischen 600 und 900 vermummte Teilnehmer/innen waren gekommen. Ganz zufällig – oder eben nicht – hatte die Polizei diesem Milieu beste Voraussetzungen zum Agieren gegeben. Zwar wurden alle Teilnehmer/innen vor Beginn der Demo Körperkontrollen unterzogen, und mehrere Busse trafen mit über einstündiger Verspätung ein wie der Pariser Aktivistenbus, weil die Passagiere und ihr Gepäck gefilzt worden waren. Und plötzlich tauchten dann doch Feuerwerkskörper, Chinaböller und Schlagwerkzeuge mitten in der Demo auf. Und auf der Hälfte der Route waren mobile Absperrgitter, die sich leicht anheben und wegtragen oder verschieben lassen, platziert worden. Diese wurden dann auch alsbald benutzt, als es darum ging, auf Schaufenster und Geldautomaten loszugehen. Größere Gruppen von jeweils mehreren Dutzend Vermummten stürzten sich auf die Bürgersteige, nachdem sie gegen allen vorherigen Absprachen – denen zufolge sie am hinteren Rand der Demo hätten laufen sollen – sich in die Mitte des Zuges gesetzt hatten.
Die Polizei hatte anscheinend nur auf diese Gelegenheit gewartet, ging daraufhin gegen den gesamten Protestzug vor und deckte ihn mit Tränengas ein. Dieser wurde dadurch in der Mitte getrennt[5]. Ein dritter Teil, bestehend aus den Blöcken der linken Basisgewerkschaften SUD und der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ sowie der Anarchosyndikalist/inn/en (CNT), wurde durch die Polizei eingekesselt und musste zum Ausgangspunkt der Demo – dem Bahnhof von Lyon-Perrache – zurücklaufen. Sein Ordnerdienst hatte zuvor selbst die Vermummten aufzuhalten versucht, um die Demonstration zu retten. Letztere beschimpften wiederholt unflätig Menschen aus der Demo und zeigten sich auch sonst nicht unbedingt solidarisch. Deswegen hegen viele die Vermutung, dass zumindest ein Teil der vermummt Agierenden nicht aus radikalen Linken bestand, sondern aus Leuten von der anderen Seite, die sich darunter mischten. Lucile, eine SUD-Gewerkschafterin, die am Ordnerdienst beteiligt war, meint dazu: „Nicht alle, aber nach unseren Beobachtungen 10 bis 15 Prozent der Kapuzenträger bestanden aus Leuten, die wir auf der feindlichen Seite verorten.“
Tendenziell bestätigt wird diese Vermutung auch dadurch, dass am Montag und Dienstag, den 01. und 02. Dezember d.J. sehr detaillierte Videos von Zerstörungsaktionen auf rechtsextremen Webseiten wie Novopress und FdeSouche auftauchten, die offenbar aus nächster Nähe gefilmt wurden – und die Vermutung naheliegen, dass ihre Urheber die Vermummten aus nächster Nähe begleiteten. Entweder sind die Leute unter der Vermummung also wirklich dumm wie Stroh und ohne Hirn, und ließen organisierte Faschisten in ihrer Nähe walten – oder aber sie waren selbst im Auftrag von weiß-der-Kuckuck-wem tätig, aber jedenfalls nicht im Sinne des Fortschritts, der Revolution oder der Linken in welchem Sinne auch immer. Es kann natürlich auch eine ungute Mischung aus beidem bestehen.
Einige der genauen Hintergründe ihres Agierens werden sicherlich nicht so schnell verifiziert werden können. Bemerkenswert ist auf jeden Fall im Ergebnis, dass erstmals das Stattfinden einer Demonstration gegen die extreme Rechte bis zu ihrem Abschlussort definitiv verhindert werden konnte. (Aus anderen Anlässen waren jedoch in der Vergangenheit bereits Demonstrationen verhindert oder zerschlagen worden, unter dem Vorwand des Agierens vermummter Gestalten – die sich in manchen Fällen hinterher dezidiert als maskierte Polizisten herausstellten, wie insbesondere beim „Marsch der Stahlarbeiter auf Paris“ 1979, als ein beträchtlicher Teil der lothringischen Stahlindustrie um Longwy eingemottet wurden und Massenentlassungen vorgenommen wurden.)
Ein vorläufiges Fazit: Offenkundig hat die Polizeitaktik inzwischen das Wirken solcher Kräfte, die da am Werk waren, erfolgreich in ihre Planung einbezogen. Ging eine solche „Strategie der Spannung“ in Lyon, unter einer sozialdemokratischen französischen Regierung und einer sozialdemokratischen Rathausführung, auf, dann darf man sich fragen, wie dies unter einer zu erwartenden künftigen Rechtsregierung erst sein wird.
Das Szenario, das nach den Antifademonstrationen von 2013 von vielen in Ansätzen erwartet worden war, hat sicherlich einige potenzielle Teilnehmer/innen abgeschreckt. Es erklärt nicht allein die Schwäche der Mobilisierung, die ihrerseits den Vermummten erst recht freies Feld geboten hat, denn in einem Protestzug von mehreren Zehntausend Menschen mit Ordnerdienst hätten sie so nicht agieren können. Hinzu kommt die Positionierung einiger etablierter Linkskräfte, die nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass die KP ihr regionales Fest abhielt. Pascal, 73jähriger CGT-Gewerkschafter und KP-Mitglied, sagte etwa zum Verfasser dieser Zeitung: „Ich bin dagegen, am Rande eines FN-Parteitags zu demonstrieren, denn das macht nur aufmerksam auf ihn. Erst müssen wir wieder eine linke Alternative finden, die für die Menschen attraktiv sein wird, um die von der sozialdemokratischen Regierung Enttäuschten wieder ansprechen zu können. Bis dahin wird jede Aufmerksamkeit eher Werbung für die Rechten darstellen.“ Der Klassenkampf soll es seiner Ansicht nach richten, wobei auch Pascal das Problem sieht, dass den im Augenblick vor allem das Kapital von oben führt.
Zwei Tage vor der Demonstration hatte die örtliche Linksfront in Lyon – ein Zusammenschluss aus KP und Linkssozialisten – am Donnerstag Abend (27.11.14) beschlossen, „in Anbetracht der allgemein angespannten sozialen Lage“ von einem Aufruf zu der Demonstration abzusehen. Aber man „fühle sich solidarisch“, fügte man gegenüber der Regionalpresse hinzu[6]. Auch wenn schließlich doch kleinere Delegationen aus ihren Reihen sowie regionale Abordnungen der Gewerkschaften CGT und CFDT am Samstag kamen, blieb doch das Gros der etablierten Linkskräfte der Demo fern. Auf überregionaler Ebene mobilisierten fast nur die radikale Linke, Solidaires (d.h. der Zusammenschluss der linken Basisgewerkschaften vom Typ SUD) und Antifakollektive.
Vom Parteitag: Russenkohle und Wilders-Auftritt
Auf dem Parteitag selbst, der von einem riesigen Polizeiaufgebot abgeschirmt war – Beamte und FN-Ordner kontrollierten nacheinander Presse- und Personalausweise der teilnehmenden Journalist/inn/en -, herrschte Triumphgefühl. Marine Le Pen schleuderte den etablierten Politikern, allen voran Staatspräsident François Hollande und der am Samstag gewählte Vorsitzende der konservativen UMP Nicolas Sarkoy, entgegen: „Sie sind gescheitert, bei allem, und bei der Präsidentschaftwahl 2017 kämpfen sie um den zweiten Platz – hinter mir!“
Auf dem Spiel stand konkret nicht sehr viel, da die Parteivorsitzende ohne konkurrierende Kandidatur zu ihrer Wiederwahl antrat und erwartbar mit 100 Prozent der Stimmen abschnitt. Allerdings offenbarte die Auszählung der Stimmen, dass die rechtsextreme Partei in den letzten Monaten einmal mehr gründlich gelogen hatte, als sie ihre Mitgliederzahl mit offiziell 83.000 angab. Rechnet man die Angaben der Parteiführung zur Stimmenzahl bei der innerparteilichen Urabstimmung zur Wiederwahl der Chefin und zur Wahlbeteiligung nach, ergeben sich rund halb so viele Mitglieder. Circa 42.000 Parteigänger/innen, die ihren Mitgliedsbeitrag bezahlt haben, zählt der FN demnach[7]. (Auf der Basis der parteioffiziellen Angaben: 23.000 Teilnehmer/innen bei der Urabstimmung zur Wahl der Ämter in der Parteiführung, und 52 oder 53 Prozent Wahlbeteiligung…) So viele hatte die Partei auf ihrem absoluten bisherigen Höhepunkt, kurz vor ihrer Spaltung im Winter 1998/99[8].
Gewählt wurde auch das „Zentralkomitee“ des FN, ein relativ einflussloses Gremium von 100 Mitgliedern. Beschlüsse fasst es kaum, aber die Wahlergebnisse unter der Mitgliedschaft stellen regelmäßig einen Barometer für die Popularität einzelner Führungspersönlichkeiten dar. Da auf FN-Kongress nie kontrovers debattiert wird und alle politischen oder ideologischen Richtungsentscheidungen ohne Diskussion getroffen werden, ist man darauf angewiesen, das Gewicht der innerparteilichen Strömungen anhand von Personalentscheiden abzulesen.
Polarisiert hatte sich die Wahl dabei zwischen der 24jährigen Abgeordneten Marion Maréchal-Le Pen, der Nicht der Chefin und Enkelin von Parteigründer Jean-Marie Le Pen, einerseits und dem 33jährigen Vizevorsitzenden Florian Philippot. Letzterer gilt vielen als Technokrat und hat eher einen nationalkonservativen denn einen genuin faschistischen Hintergrund. Allerdings steht Philippot seit zwei Jahren auch für einen Kurs, der vor allem auf sozial- und wirtschaftspolitische Themen abstellt und darauf zielt, die Kräfte der politischen Linken zu marginalisieren, indem man ihr Terrain besetzt und sich als entscheidende Opposition gegen den Neoliberalismus geriert. Philippot plädierte aus diesen Gründen etwa gegen eine Teilnehme an den reaktionären Demonstrationen gegen die Homosexuellenehe, um alle Kräfte auf eine Darstellung als angebliche soziale Protestpartei zu konzentrieren. Marion Maréchal-Le Pen und ihr Umfeld hingegen sind der Auffassung, es sei nun genug mit einer von ihnen als „faktisch links“ betrachteten Profilierung. Auch Unternehmerinteressen, vor allem „mittelständische“, müssten aus ihrer Sicht wieder viel stärker berücksichtigt werden, und die rechten Proteste gegen die Homoehe hätten explizit unterstützt werden müssen.
Vordergründig handelte es sich bei der Wahl zwischen den Protagonisten zwar um keine Richtungsentscheidung. Und Marion Maréchal-Le Pen erklärte gegenüber Journalist/inn/en neim Kongress, sie stehe für keine Richtung und werde gewählt, „weil ich jung und weiblich bin, und der Name Le Pen hilft mir dabei“. Hinter den Kulissen stehen die Namen dennoch für alle erkennbar für unterschiedliche Ausrichtungen. Nachdem Marione Maréchal-Le Pen mit 80 Prozent der abgegebenen Mitgliederstimmen auf den ersten und Philippot mit 69 Prozent auf den vierten Platz kam, blieb allerdings eine überdeutliche Zuspitzung aus. Viele hatten damit gerechnet, dass Philippot dramatisch schlechter abschneiden könnte. Insofern können beide Strömungen ihr Werk ungehindert fortsetzen.
Außenpolitisch stellte der Parteitag insofern Weichen, als vor allem das enge Bündnis mit den Machthabern in Russland sehr klar und ostentativ zur Schau gestellt wurde. Eine Woche vor Eröffnung des Parteitags hatte die Internetzeitung Mediapart enthüllt, eine russische Bank habe dem französischen FN einen Kredit über neun Millionen Euro gewährt, nachdem dieser bei den Banken des eigenen Landes kein Frischgeld vorgestreckt bekommen hatte. Dabei handelt es sich um alles Andere als ein unpolitisches Kreditgeschäft, denn Mediapart zufolge hatte Marine Le Pen es im Februar dieses Jahres mit Wladimir Putin persönlich ausgehandelt. Auf dem Kongress nun wurden die engen Kontakte zur Macht im Kreml gar nicht zu verbergen versucht. Mit Parlaments-Vizepräsident Andrej Issaev und mit Andrej Klimow, dem Vorsitzenden der Oberhauskommission für internationale Angelegenheiten, waren zwei Spitzenvertreter aus Russland zum Parteitag in Lyon angereist. Beide Andrejs gehören Putins Partei „Einiges Russland“ an.
Ein anderer internationaler Stargast war der Niederländer Geert Wilders, was insofern widersprüchlich wirkt, als er für eine eher pro-westlich ausgerichtete extreme Rechte steht. In der Versenkung verschwunden ist unterdessen der FN-Europaparlamentarier Aymeric Chauprade, der keinen Platz in einem der neugewählten Führungsorgane erhielt, nachdem ihm wenige Wochen zuvor noch eine Vize-Vorsitzendenschaft in Aussicht gestellt zu werden schien. Seine Plädoyers für ein offensives Bündnis mit Russland, aber auch mit der israelischen Rechten und für eine explizite Unterstützung der US-Bombardierungen gegen IS im Irak gingen vielen Parteifunktionären doch zu weit.
Mehrheitlich bleibt die rechtsextreme Partei einer Art National-Neutralismus verbunden, die die Verwicklung des „eigenen“ Landes in ferne Kriege tendenziell ablehnt. Und hinter der Frage des Verhältnisses zu Israel & Palästina verbirgt sich beim Front National, anders als bei anderen Parteien, immer auch die Frage nach der Gewichtung des Antisemitismus (in Abwägung mit dem anti-arabischen Rassismus).
[1] Die eigenen Beobachtungen des Verfassers dieser Zeilen – welcher zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten eine Zählung der Teilnehmer/innen vornahm – deckt sich an diesem Punkt u.a. mit folgendem Bericht: http://www.rue89lyon.fr/2014/11/29/a-lyon-manif-anti-fn-tourne-au-fiasco/
[2] Diese Szene ist politisch komplett marginalisiert, spätestens seitdem im Oktober 1994 zwei Angehörige dieses Milieus – Florence Rey und Audry Maupin – eine politisch völlig sinnlose Verfolgungsjagd mit nachfolgender Schießerei anzettelten, bei welcher fünf Menschen (unter ihnen drei Polizisten) ums Leben kamen; vgl. dazu http://www.lexpress.fr/actualite/societe/florence-rey-de-la-prison-au-cinema_1301880.html Außerhalb von und neben dem, was als „autonome“ Szene im engeren Sinne (französisch ,Les autonomes‘, abgekürzt gern auch ,Les totos‘) bezeichnet wird, bestehen strukturierte und rational funktionierende politische Organisationen anarcho-kommunistischer Ausrichtung wie Alternative Libertaire (AL) – eine der vernünftigen Organisationen auf der französischen radikalen Linken -, oder anarchistische Vereinigungen wie die Fédération Anarchiste. Diese Gruppen werden nicht zu „den Autonomen“ gerechnet, während man eine Gruppierung wie AL in Deutschland mutmaßlich im weitesten Sinne zur autonomen Szene zählen würde, welche im deutschsprachigen Raum weitaus breiter aufgefächert und politisch vielfältiger ist. Was in Frankreich unter diesem Label läuft, besteht heutzutage zu einem Gutteil aus politischen Abenteurern, Psychopathen und sonstigem Bodensatz der Gesellschaft, und zu einem nicht unerheblichen Anteil aus Polizeispitzeln und Agents provocateurs. Aus ihren Reihen ging auch u.a. der Amokläufer vom vergangenen Jahr, Abdelhakim Dekhar, hervor, vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd1213/t341213.html
[3] Bei der Pariser Demonstration vom 23. Juni 2013, aus Anlass des Todes von Clément Méric, zerstörten solche Schwachköpfe beispielsweise auch die Glasscheiben von Postämtern mit mitgebrachten Metallhammern, mit der Begründung, hinter ihren Scheiben stecke doch auch eine Bank, in Gestalt der bösen-bösen Postbank. Auch Bushaltestellen, Telefonzellen und ähnliche Einrichtungen wurden von Kleingruppen aus dieser Demonstration heraus bzw. an ihrem Rande angegriffen. Solcherlei Wirken dieses, pardon, asozialen Gesocks‘ sorgt natürlich für ausgesprochene Popularität seines Treibens in der „Normalbevölkerung“.
[4] Vgl. http://rebellyon.info/Pourquoi-la-police-ne-fera-pas-un-bon.html
[5] Vgl. zu manchen Einzelheiten, aus Sicht der bürgerlichen Lokalpresse, auch: http://www.leprogres.fr/rhone/2014/11/29/manifestation-contre-le-fn-apres-midi-a-haut-risque-a-lyon-dsag
[6] Vgl. dazu konkret http://www.leprogres.fr/actualite/2014/11/29/le-front-de-gauche-prefere-lutter-sur-le-terrain-des-idees
[7] Vgl. auch https://twitter.com/GrdJournal/status/539485646709350400/photo/1
[8] Vgl. zur Spaltung von 1999 : http://jungle-world.com/artikel/1998/51/33938.html und http://www.trend.infopartisan.net/trd0100/t200100.html, und zur seitherigen Mitgliederentwicklung beim FN auch: http://www.trend.infopartisan.net/trd1207/t341207.html