12 Gründe, warum Rohani kein Gemäßigter ist

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Der iranische Präsident Hassan Rohani verkündet wiederholt, seinem „konstruktiven Versprechen“ gegenüber der internationalen Gemeinschaft verpflichtet zu sein. Dies tut er insbesondere dann, wenn er ein umfassendes Atomabkommen verhandelt. Und doch dauern auch mit Aufnahme der Atomverhandlungen diese Woche die systematischen und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen im Iran unvermindert an und werden von der kurzsichtigen internationalen Fokussierung auf das Atomthema überschattet (…)…

Auszüge aus einem Artikel von Irwin Cotler, The Times of Israel, 08.05.2014
Übersetzung: Daniela Marcus

Es sollte daran erinnert werden, dass die USA in den 1970er Jahren während der SALT-Verhandlungen mit der Sowjetunion angesichts der Menschenrechtsverletzungen in der UdSSR kein Auge zudrückten. (…) Die Verhandlungen mit dem Iran sollten diese Haltung auch wiederspiegeln.

Der jüngste Bericht von Dr. Ahmed Shaheed –dem UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage im Iran− zeigt eine Bestandsaufnahme von fortdauernden Menschenrechtsverletzungen, denen auch unter Irans neuer „gemäßigter“ Führung nicht nachgegangen wird. (…)

Es folgt nun ein Überblick über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Iran und entsprechende Fragen, die als Lackmustest für die Echtheit von Rohanis Bekenntnis zu Gerechtigkeit und Menschenrechten für das iranische Volk dienen.

1. Hinrichtungen

Vor Rohanis Aufstieg zur Macht hatte der Iran die höchste Hinrichtungsrate weltweit. Unter Rohani sind die alarmierenden Zahlen von Hinrichtungen sogar noch gestiegen. Seit Rohanis Übernahme des Präsidentenamtes im August 2013 wurden mehr als 600 Hinrichtungen ausgeführt. Davon wurden 20 in der Woche von Rohanis „Charme-Offensive“ bei den Vereinten Nationen im vergangenen November ausgeführt – eine Tatsache, die größtenteils ignoriert wird. (…) Seit Beginn des Jahres 2014 wurden allein 250 Hinrichtungen ausgeführt.

In einer (…) Stellungnahme vom Januar 2014 riefen Dr. Shaheed und Sonderberichterstatter (…) Christof Heyns die iranische Regierung auf, „dringend den abrupten Anstieg von Hinrichtungen im Land seit Beginn des Jahres 2014 zu stoppen“. (…) Dieser jüngste „justizielle Blutrausch“ wurde auf höchster Regierungsebene organisiert und umgesetzt. Rohani selbst hat Hinrichtungen von 14 Menschenrechtsaktivisten bewilligt.

Frage:Wird Rohani einen sofortigen Stopp von Hinrichtungen erklären und alle gegenwärtigen Todesurteile aufheben?

2. Folter

Dr. Ahmed Shaheed (…) hat die grauenvolle Behandlung, die iranische Gefangene durchleiden, dokumentiert. Er stellte fest, dass in 100% der Fälle physische Folter wie Schlagen, Auspeitschen und andere tätliche Übergriffe vorkommen. Sexuelle Folter wie Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Gewaltanwendung im Bereich der Genitalien kommen in 60% der Fälle vor. Psychische (…) Folter wie Isolationshaft sind auch „stark vorherrschend“.

Ein schockierendes Beispiel für die ungezügelte Gewalt, die an iranischen Gefangenen verübt wird, ist der brutale Angriff von Gefängnisbeamten auf Insassen des Evin-Gefängnisses am 17. April diesen Jahres. Laut unabhängigen Untersuchungen (…) übten Dutzende von Sicherheitsbeamten, die Berichten zufolge von iranischen Revolutionsgarden und Geheimdienstagenten unterstützt wurden, bei Zellendurchsuchungen im berüchtigten Gefängnistrakt 350, in dem politische Häftlinge einsitzen, „extreme Gewalt“ aus. Mehr als 30 Gefängnisinsassen wurden schwer verletzt.

Rohani schwieg nicht nur zu den Verbrechen im Gefängnistrakt 350, er beförderte sogar den Leiter (…) der iranischen Gefängnisorganisation zum Generaldirektor des Justizministeriums für den Verwaltungsbezirk Teheran.

Frage:Wird Rohani diesen Angriff gegen Insassen des Evin-Gefängnisses öffentlich verurteilen und der weit verbreiteten Anwendung von Folter (…) ein Ende setzen?

3. Politische Gefangene

Laut Dr. Shaheed (…) gibt es mindestens 895 politische Häftlinge im Iran. Unter ihnen (…) sind politische Aktivisten, religiös Praktizierende, Menschenrechtsaktivisten, Bürgeraktivisten, studentische Aktivisten, Journalisten und weitere Führungspersonen der Zivilgesellschaft. (…)

Obwohl Rohani vor seinem UNO-Auftritt im September 2013 eine Anzahl von politischen Gefangenen frei ließ (…), sollte diese kosmetische Freilassung von einzelnen Gefangenen nicht die fortdauernde schmerzliche Realität der Kriminalisierung von Unschuldigen überschatten. (…)

In diesem Zusammenhang sei gesagt, dass die iranische Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotudeh zwar frei gelassen wurde. Doch das Regime fährt fort, sie und andere (…) zu schikanieren und einzuschüchtern. (…)

Frage:Wird Rohani die verbliebenen politischen Gefangenen freilassen und wird er die Kriminalisierung von Unschuldigen beenden (…)?

4. Verfolgung der Baha’i

Die Baha’i werden wegen der Ausübung ihres Glaubens regelmäßig inhaftiert. (…) Trotz Präsident Rohanis erklärtem Zugeständnis, religiösen Minderheiten mehr Toleranz entgegen zu bringen, erließ der Oberste Führer Ajatollah Chamenei eine Fatwa, die die Iraner dazu aufruft, jegliche Interaktionen mit Baha’i-Anhängern, die er als „abartige und irreführende Sekte“ bezeichnete, zu vermeiden. (…)

Die systematische Verfolgung der Baha’i durch das iranische Regime führte auch zu weitverbreiteten, religiös motivierten Hassverbrechen gegen sie, wobei die Angreifer bislang nicht (…) vor Gericht gestellt wurden.

Frage:Wird Rohani die Verfolgung der Baha’i beenden? Wird er sie als Vollmitglieder der iranischen Gesellschaft akzeptieren und diejenigen zur Verantwortung ziehen, die Gewalt gegen die Baha’i ausüben? (…)

5. Verfolgung anderer religiöser und ethnischer Minderheiten

Das iranische Regime hetzt auch zum Hass und zur Gewalt gegen andere religiöse und ethnische Minderheiten auf und verletzt deren politische, soziale, religiöse, wirtschaftliche, kulturelle, sprachliche und erzieherische Rechte. Unter anderem wurden Schulen und Gebetshäuser von Minderheiten geschlossen oder zerstört. Der Gebrauch der Sprachen von Minderheiten wurde in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich beschränkt, Mitglieder von Minderheiten-Gruppen −unter ihnen Christen (…)− wurden unter fadenscheinigen Vorwürfen (…) inhaftiert. Der jüngste Bericht von Human Rights Watch besagt, dass mindestens 40 kurdische Gefangene wegen Verbrechen gegen die „nationale Sicherheit“, wie z. B. (…) Feindschaft gegen Gott, zum Tode verurteilt wurden. (…)

Frage:Wird Rohani die Unterdrückung von Minderheiten beenden (…)?

6. Verfolgung von Frauen

Während Rohani wortgewandt von der Gleichstellung der Geschlechter sprach –Artikel 20 der iranischen Verfassung erweckt den Anschein, diese zu schützen−, erfahren Frauen breit gefächerte und systematische Diskriminierung im Bereich von Bildung, Arbeit, Sozialhilfe, familiären Beziehungen und dem Zugang zur Justiz.

Das iranische Zivilgesetzbuch verpflichtet Frauen dazu, ihren Ehemännern zu gehorchen. Verheiratete Frauen dürfen das Land nicht ohne Zustimmung des Mannes verlassen. Manche Vergehen werden entsprechend dem angeklagten Geschlecht unterschiedlich schwer bestraft. „Ehrenmorde“ (…) sind straffrei. (…)

Frage:Wird Rohani seinen Versprechen nachkommen und die Rechte der Frauen verbessern und die Gleichstellung der Geschlechter sichern (…) ?

7. Verfolgung von Schwulen und Lesben

Das iranische Gesetz kriminalisiert gleichgeschlechtliche Beziehungen und erlaubt den Gerichten einen breiten Ermessensspielraum bei der Festlegung der Strafen. Diese beinhalten auch körperliche Züchtigung und sogar die Todesstrafe. Wie Dr. Shaheed berichtete, sind viele homo-, bi- und transsexuelle Iraner Opfer von Diskriminierung und Gewalt. Doch aus Angst, sie selbst könnten wegen strafbarer Handlungen angeklagt werden, melden sie diese Schikanen nicht den Behörden.

Frage:Wird Rohani gleichgeschlechtliche Beziehungen entkriminalisieren und die Diskriminierung (…) beenden?

8. Verfolgung von Journalisten und der Angriff auf die Redefreiheit

Auch unter Rohani fährt der Iran damit fort, mehr Journalisten als fast jedes andere Land der Welt zu inhaftieren. Das Regime verhaftet regelmäßig Journalisten und Blogger. Sie werden ohne Anklage oder Prozess oder unter Scheinbelastungen wie „Propaganda gegen das System“ oder „Beleidigung des Präsidenten“ inhaftiert. Darüber hinaus berichten viele Journalisten, dass das Regime ihre Familien bedroht und schikaniert, um die Journalisten dadurch zu zwingen, ihre Arbeit zu beenden. Die letztjährigen Wahlen waren geprägt von Überwachung und Zensur von Internet-Aktivitäten und vom Blockieren von Oppositions-Webseiten und Email-Konten. (…)

Darüber hinaus sind Dutzende von Journalisten, die während Razzien (…) nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 verhaftet wurden, immer noch eingesperrt. (…)

Frage:Wird Rohani die systematische Schikane, Einschüchterung und Inhaftierung von Journalisten beenden und Meinungs- und Pressefreiheit, zu denen auch die Kritik am Regime gehört, zulassen?

9. Angriff auf Rechtsgrundsätze und die Unabhängigkeit der Justiz

Im Iran gibt es keine Unabhängigkeit der Justiz und keine Rechtsgrundsätze. Das gesamte Justizsystem ist dazu gedacht, die massive Unterdrückung der Menschenrechte durch das Regime zu ermöglichen und umzusetzen. (…) Es ist empörend, dass Rohani Mostafa Pour-Mohammadi zum Justizminister ernannte. Denn dieser Mann ist in zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verwickelt. Hierzu gehört auch das Massaker an 5.000 politischen Gefangenen im Jahr 1988. (…)

Dr. Shaheed schätzt, dass seit 2009 etwa 40 Anwälte verhaftet wurden. Jede Hoffnung, die Zustände würden sich unter Rohani verbessern, wurde durch die Ernennung von Pour-Mohammadi zum Justizminister zerstört. (…)

Frage: Wird Rohani (…) Rechtsgrundsätze und die Unabhängigkeit der iranischen Justiz sicherstellen? Wird er die Anwälte, die noch inhaftiert sind, freilassen? Wird er für das Recht iranischer Abgeordneter auf freie Rede im Parlament einstehen? (…)

10. Verweigerung politischer Rechte

Letztes Jahr im Juni gewann Rohani gegen fünf andere Kandidaten die iranischen Präsidentschaftswahlen. Doch 680 potentielle Kandidaten –darunter Frauen− durften sich gar nicht für die Wahlen aufstellen lassen. Gemäß der iranischen Verfassung muss der Präsident ein Mann sein, der an „das Fundament der Islamischen Republik Iran und an die offizielle Religion des Landes“ glaubt.

Darüber hinaus versuchte das Regime vor den Wahlen Oppositionsführer und Aktivisten durch Verhaftungen und massive Unterbindung von politischen Reden einzuschüchtern.

Ohne eine freie Zivilgesellschaft und angesichts der starken Unterdrückung von Bürgerrechten im Iran kann nicht behauptet werden, dass die Wahlen (…) frei und gerecht waren (…).

Frage: Wird Rohani zu seinen Wahlversprechen, dass künftige Wahlen wirklich frei und gerecht sein werden, stehen?

11. Anstiftung zum Hass

Nur wenige Tage vor seiner Rede vor der UNO im September 2013 sprach Rohani bei einer Parade in Teheran, während der auch Shahab-3-Raketen zur Schau gestellt wurden. Dabei wurden Botschaften wie „Tod den USA“ und „Israel sollte aufhören zu existieren“ vermittelt.

Während Rohanis Rhetorik für den internationalen Konsum zugegebenermaßen weniger agitatorisch ist als diejenige seines Vorgängers Ahmadinejad, bleibt doch die zerstörerische Hetze des Obersten Führers Chamenei. Und Rohani ist in sie verwickelt. Ein klares Beispiel für staatlich sanktionierte Anstiftung zum Hass stellt eine Ausstrahlung im iranischen Staatsfernsehen vom Februar diesen Jahres dar: eine Computersimulation von iranischen Raketen, die Tel Aviv, Haifa und den Ben-Gurion-Flughafen bombardieren während iranische Führer drohen, Israel von der Landkarte zu wischen.

Als Rohani und seine Diplomaten das vorläufige Atomabkommen vom November 2013 feierten, war der Oberste Führer mit einer öffentlichen Kampagne beschäftigt. Diese wiegelte zum Hass auf und nannte Israel den „tollwütigen Hund in der Region“ und seine Staatsführer „Bestien“, die „nicht als menschlich bezeichnet werden können“. (…)

Frage: Wird sich Rohani bemühen, die staatlich sanktionierte Hasskultur im Iran und im Ausland ausdrücklich und bedingungslos zu ändern?

12. Kultur der Straflosigkeit

(…) Die Ernennung von Pour-Mohammadi zum Justizminister ist nicht das einzige enthüllende und skandalöse Beispiel für die Fortdauer der Kultur der Straflosigkeit unter Rohani. Auch die Ernennung von Hossein Dehghan zum Verteidigungsminister ist ein Beispiel dafür. Dehghan hat Verbindungen zur Hisbollah und ist in einen Anschlag auf einen US-Stützpunkt in Beirut im Jahr 1983 verwickelt. Darüber hinaus haben mehrere Mitglieder des neuen Kabinetts –unter ihnen Rohani selbst− im Ministerium für Geheimdienst und Sicherheit gearbeitet. Dieses unterdrückt Dissidenten, spioniert iranische Exilanten im Ausland aus, unterstützt die Hisbollah und führt außergerichtliche Hinrichtungen und Entführungen aus.

Frage: Wird Rohani diese Kultur der Straflosigkeit im Iran beenden? (…) Wird Rohani Pour-Mohammadi aus seinem Amt als Justizminister abberufen und dafür sorgen, dass er für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird?

Schlussfolgerung: Die Tatsache, dass Rohanis Rhetorik weniger aufhetzend ist als die seines Vorgängers Ahmadinejad, ist begrüßenswert. Doch sie kann nicht Grund für Wohlbehagen, geschweige denn für das Feiern seiner „Charme-Offensive“ sein. Darüber hinaus sollten die Atomverhandlungen nicht die fortdauernden Menschenrechtsverletzungen im Iran überschatten.

Nicht an Rohanis Worten, sondern an seinen Taten –und denen des Obersten Führers− muss die Zusicherung des Regimes, ein „gemäßigter“ Iran zu sein, gemessen werden.

1 Kommentar

  1. Coincidence – der WDR5 brachte gerade heute einen vom NDR übernommenen Bericht zum Thema Iran, Schwerpunkt „brain-drain“.

    Um die 150.000 junge IranerInnen verlassen derzeit Jahr für Jahr ihr Land, die meisten mit akademischer Ausbildung, hervorragend geschult, wie überhaupt der Iran einen guten Ruf in Bezug auf das Bildungsniveau zu genießen scheint.

    Nachzuhören (erster Beitrag, ca. 7 Minuten) hier :

    http://podcast-ww.wdr.de/medstdp/fsk0/42/420132/wdr5echoderwelt_2014-05-11_13-30.mp3

    Als Gründe für den „Aderlass“ werden von den Ausgereisten und Ausreisewilligen genannt: die Arbeitslosigkeit von etwa 30 %, fehlende Weiterbildungschancen – nichts Politisches. Das dürfte unausgesprochen dennoch eine bedeutende Rolle spielen, wie der oben stehende Artikel es indirekt suggeriert.

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