Habsburger und andere Juden – eine Welt vor 1914…
Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems:
25. März bis 5. Oktober 2014
100 Jahre nach dem Beginn des ersten Weltkriegs steckt Europa erneut in einer tiefen Krise. Die Entwicklung gemeinsamer Institutionen und Werte erscheint umstrittener denn je. Der politische und wirtschaftliche Rahmen wird als äußerlich und von oben herab verordnet empfunden. Auf welche gemeinsamen Erfahrungen will man in Zukunft zurückgreifen? Die Idee Europa wurde seit der frühen Neuzeit durch die Realität und Lebenswelt der Juden in Europa vorweggenommen. Aufgrund der spezifischen und unterschiedlichen Rechtssituationen war ihre Existenz von einem protoeuropäischen Netzwerk abhängig. Die Ausstellung (und das damit verbundene umfangreiche Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm) nimmt Mitteleuropa als Ausgangspunkt für die Beleuchtung dieses Ansatzes einer europäischen Gemeinschaft.
Dies führt uns zurück in die Kultur-, Wirtschafts- und Geistesgeschichte der Juden in der Habsburgermonarchie, mit Fokus auf die österreichische Linie der Habsburger, d.h. zeitlich ab ca. Mitte des 16. Jhs. bis zum Untergang der Monarchie. Zu dieser Zeit existierten mehr als 400 jüdische Gemeinden auf dem Gebiet der Habsburger Monarchie, in denen sich die ganze Vielfalt des Reiches widerspiegelte. Lange Zeit war Hohenems freilich die einzige öffentlich anerkannte jüdische Gemeinde auf dem Gebiet des heutigen Österreichs westlich des Burgenlandes.
Die Angehörigen dieser Gemeinden waren alles andere als homogen. Sie bestanden aus Monarchisten und Revolutionären, aus Chassidim und Maskilim, Frommen und Aufgeklärten, ländlichen und urbanen Juden, Armen und Reichen, Traditionalisten und Kämpfern für Gleichheit und Recht, Feministinnen und Utopisten. Aber sie alle hatten einen europäischen Horizont. In der Ausstellung begegnet man den verschiedensten Charakteren. Manche von ihnen brachten ihre transnationalen, europäischen Hoffnungen (und Enttäuschungen) explizit zum Ausdruck wie Stefan Zweig. Andere wurden zur Mobilität gezwungen, wie der Hoffaktor und Oberrabbiner West-Ungarns Samson Wertheimer und der bibliophile Oberrabbiner von Prag, David Oppenheimer.
Die Ausstellung erzählt von jüdischen Hausierern, Erdölarbeitern und Opfern von Mädchenhandel. Menschen wie Simon Edler von Lämel feierten sowohl ihre Zugehörigkeit zum Wiener Judentum als auch zum österreichischen Adel, während andere ungewöhnliche Wege gehen mussten, wie der Isaac Bernard aus Prag, der sich 1706 den Engländern als Spion gegen Frankreich anbot, denn er verfügte über internationale europäische Sprachen: Jiddisch und Hebräisch. Und schließlich verfolgt die Ausstellung die unterschiedlichsten Migrationswege, wie die des katalanischen Gelehrten Levi Ben Gershon, dessen Suche nach Gott zur Erfindung der Camera Obscura und eines der lange Zeit wichtigsten Navigationsgeräte, des Jakobsstabes in Nürnberg führte. Oder Josel von Rosheims, der als „jüdischer Regierer“ auf den Augsburger Reichstag eingeladen wurde. Narrationsträger für die Ausstellung sind herausragende Objekte aus öffentlichen und privaten Sammlungen, von denen viele bislang nicht unter dem Aspekt ihrer spezifisch europäisch-jüdischen Dimension gesehen wurden.
Aus der Grundidee ergeben sich die zu bearbeitenden Spannungsfelder: Universalismus und Partikularismus; West und Ost; Migration und Kulturtransfer (spezifisch jüdisch − spezifisch mitteleuropäisch); Ausschluss und Integration; Juden, Christen und Muslime; Mystik und Aufklärung; Land und Stadt; Kunst und Kommerz; arm und reich; Aschkenasim und Sephardim; Europa und die Neuen Welten; Glaube und Wissen; Kaisertreue und Revolution; Vielvölkerstaat und Nationalstaat.
Aus all diesen Spannungen ergibt sich das facettenreiche Bild einer transnationalen Gesellschaft am Vorabend des 1. Weltkriegs, die als Realität an ihren Widersprüchen gescheitert ist und zugleich ein utopisches Potential in gegenwärtigen Debatten um die Zukunft Europas verkörpert. Der kritische Blick darauf soll keine falsche Nostalgie wecken sondern den „Möglichkeitssinn“ (Robert Musil) schärfen. Solche Dimensionen lassen sich insbesondere in der Betrachtung von Objekten aus der Geschichte der österreichischen Juden zwischen Bodensee und Bukowina, Süddeutschland und Südtirol entfalten. In der Geschichte ihrer Entstehung, ihres Gebrauchs und ihrer Deutung haben sich, hundert Jahre nach dem Beginn des „europäischen Bürgerkriegs“, alle Aspekte einer vergangenen, enttäuschten, missbrauchten und immer noch lebendigen europäischen Hoffnung verdichtet.
Eröffnung
Sonntag, 23. März 2014, 11 Uhr
Salomon Sulzer Saal, Schweizer Str. 21, Hohenems
Begrüßung
Dr. Hanno Loewy, Jüdisches Museum Hohenems
Grußworte
DI Richard Amann, Bürgermeister der Stadt Hohenems
Harald Sonderegger, Landesrat für Kultur, Bregenz
Eröffnungsrede
Univ. Prof. Dr. Anton Pelinka, Central European University, Budapest
Einführung
Dr. Felicitas Heimann-Jelinek, Kuratorin, Wien
Im Anschluss ist die Ausstellung im Museum zu besichtigen.
Weitere Informationen:
http://www.jm-hohenems.at/
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Mandelbaum-Verlag, Wien. Mit Beiträgen von Fritz Backhaus, Friedrich Battenberg, Michaela Feurstein-Prasser, Mark Gelber, Felicitas Heimann-Jelinek, Erik Petry, Diana Pinto, Joshua Teplitsky u.a.
Begleitprogramm:
Mi, 9. April 2014, 19.30 Uhr
Die Weisen von Aschkenas und Österreich: Rabbinische Netzwerke im Spätmittelalter
Vortrag von Martha Keil (Wien)
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Auch im Mittelalter saßen Rabbiner nicht im Elfenbeinturm. Da alle Lebensbereiche der Gemeinde, der Familie und des Individuums nach dem jüdischen Recht, der Halacha, geregelt und geordnet sind, gibt es keinen privaten oder öffentlichen Raum, der dem Rabbiner verschlossen wäre. Die Streitfragen und Gerichtsprozesse entschieden Gelehrte nicht im Alleingang, sondern in Beratung und im Konsortium mit Kollegen. Netzwerke über die territorialen Grenzen hinweg bildeten sich daher nicht nur durch Lehrer-Schüler-Verhältnisse und Verschwägerung. Die Rechtsfragen (Sche’elot) und Antworten (Teschuwot, Responsen) verbanden Aschkenas und Ostreich von Speyer bis Wien, von Erfurt bis Prag, von Mainz bis Wiener Neustadt.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
Do, 24. April 2014, 19.30 Uhr
Hohenems 1617 – ein europäischer Zwischenraum. Eine jüdische Gemeinde im Spannungsfeld von Reichskreis, Habsburg und Eidgenossenschaft
Vortrag von Wolfgang Scheffknecht (Lustenau)
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Das Gebiet um den Bodensee war während der frühen Neuzeit auch geprägt durch die vielzitierte, vor allem für Schwaben so typische ‚Kleinkammerung‘ oder ‚Vielherrigkeit‘, aber auch durch eine konfessionelle Vielfalt. In diesem Vortrag soll untersucht werden, wie sich die jüdische Gemeinde in Hohenems und andere jüdische Gemeinden in der Region auf diese Verhältnisse eingestellt haben, welche Chancen und Schwierigkeiten sich daraus für sie ergaben.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
So, 27. April 2014, 11.00 Uhr
Die ersten Europäer – Kuratorinnenführung
Ein Rundgang durch die Ausstellung mit Dr. Felicitas Heimann-Jelinek (Wien), Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Dr. Felicitas Heimann-Jelinek hat als Chefkuratorin des Jüdischen Museums Wien viele Jahre neue Standards der Ausstellungsdramaturgie und Gestaltung gesetzt. Seit drei Jahren ist sie als freie Kuratorin und Museologin tätig, u.a. für die Jüdischen Museen Berlin, München und Frankfurt am Main, wie auch für die Association of European Jewish Museums, in der Arbeitsgemeinschaft xhibit.at gemeinsam mit Michaela Feurstein-Prasser.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
Fr, 9. Mai 2014, 18.00 Uhr
Ein Kind im Wartezimmer der Polizei
oder
Die Filiale der Hölle auf Erden
Ernst Konarek liest Texte von Joseph Roth
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Joseph Roth wurde von einem Mitemigranten in Paris einmal „als der wahrscheinlich größte Dichter unter den anständigen Menschen“ bezeichnet. Der geniale Erzähler, der Journalist und glühende k.u.k. Österreicher, der aus Galizien stammende Jude, der „christliche Weihnachtsgrüße aus jüdischem Herzen“ versandte, der kompromisslose Antifaschist war freilich auch ein großer Polemiker.
Die „famosen“ Kleinbürger nahmen ihm nicht nur seine Heimat Österreich, oder besser das, was von seiner verzweifelt geliebten Monarchie übrig war, sondern auch seine Identität als Schriftsteller, sie warfen ihn aus der deutschen Sprache hinaus ins Exil. In seiner Phantasie blieb Roth der junge k.u.k. Leutnant Trotta, das alte Österreich mit seinem alten Kaiser, „die kalte Sonne der Habsburger, die aber Sonne war“, blieb sein zu Hause bis zu seinem Tod in Paris. Sein erzählerisches Werk ist heute Weltliteratur, seine wunderbaren journalistischen Feuilletons hingegen sind weniger bekannt. Ernst Konarek stellt sie in seinem Streifzug durch den literarischen Kosmos von Josef Roth den Romanen und Erzählungen des Autors gegenüber.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
Mi, 21. Mai 2014, 19.30 Uhr
„Dieser Grenzpfahl-Patriotismus erhielt (…) einen Stoss“ – Oder warum Juden die einzigen Europäer sind
Vortrag von Prof. Dr. Erik Petry (Basel)
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Keine Grenzpfähle, alle einig? War dies die Idee für das Judentum in der europäischen Juli-Revolution 1830? Gibt es also ein „Europäisches Zeitalter der Juden“? Oder bleibt die Analyse bei einem „Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa“ stehen? Muss man gar vom 20. Jahrhundert als dem „Jüdischen Jahrhundert“ reden? Schaut man auf das Selbstverständnis Europas im 19. Jahrhundert, scheint es nur eine radikale Antwort darauf zu geben: Das 19. Jahrhundert war das „Jüdische Jahrhundert“ und die Juden die einzigen Europäer. Der Vortrag unternimmt eine Reise durch das 19. Jahrhundert zur Erkundung dieser These.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
Mi, 11. Juni 2014, 19.30 Uhr
Die Rothschilds
Eine Europäische Familie und die Eisenbahn
Vortrag von Dr. Fritz Backhaus (Frankfurt am Main)
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Die berühmteste jüdische Familie des 19. Jahrhunderts waren die Rothschilds. Mit ihrem Namen verbindet sich bis heute der Mythos von Reichtum, Luxus und Macht. Weniger bekannt ist, dass sie zu den Eisenbahnpionieren in Europa gehörten und insbesondere in Österreich und Frankreich die ersten großen Strecken errichten ließen. Wie die Rothschilds in nur zwei Jahrzehnten die größte europäische Bank begründeten, welche Rolle sie bei der revolutionären Beschleunigung des Transports von Waren, Menschen und Nachrichten spielten, mit welchen Widerständen sie zu kämpfen hatten und welche Bedeutung jüdische Unternehmer und Bankiers für die Modernisierung Europas hatten – all diesen Fragen geht der Vortrag nach.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
Mi, 25. Juni 2014, 19.30 Uhr
Stefan Zweigs jüdische und europäische Sensibilität(en)
Vortrag von Prof. Dr. Mark Gelber (Jerusalem)
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Obwohl Stefan Zweig (1881-1942) schon während seines Lebens und über siebzig Jahre nach seinem Selbstmord als großer Europäer gefeiert wurde, haben die Biografen Zweigs sowie die Stefan Zweig-Forschung allgemein die jüdischen Aspekte seiner Karriere entweder vernachlässigt oder unterschätzt. Der jüdische Kontext seines Lebenslaufs ist kompliziert. Doch Mark Gelber zeigt in diesem Vortrag, wie Zweigs Judentum und seine jüdisch-thematischen Schriften und Tätigkeiten wichtige und zuweilen unentbehrliche Komponenten seines Weges sind. Er versucht, Stefan Zweigs jüdische Sensibilität zu bestimmen, und sie in Verbindung mit seiner europäischen Sensibilität zu bringen. Diese zwei Sensibilitäten erweisen sich schließlich, trotz gelegentlicher Ungereimtheiten, als höchst kompatibel.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
So, 14. September 2014, 11.00 Uhr
Die ersten Europäer – Kuratorinnenführung
Ein Rundgang durch die Ausstellung mit Dr. Michaela Feurstein-Prasser (Wien)
Begleitprogramm zur aktuellen Ausstellung
Dr. Michaela Feurstein-Prasser hat über französische Besatzungspolitik in Österreich nach 1945 promoviert und von 1993 bis 2011 beim Jüdischen Museum Wien in verschiedenen Funktionen, zunächst in der Vermittlung, dann als Kuratorin gearbeitet. Seit drei Jahren ist sie als freie Kuratorin und Kulturvermittlerin in Wien tätig, in der Arbeitsgemeinschaft xhibit.at gemeinsam mit Felicitas Heimann-Jelinek.
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Hohenems, Schweizer Str. 5
Information und Reservierung: Tel. 05576 73989 0, office@jm-hohenems.at
Eintritt: € 7,-/4,-
[…] Museum in Hohenems (Vorarlberg), in dem soeben eine neue Ausstellung eröffnet wurde (“Die ersten Europäer. Habsburger und andere Juden – eine Welt vor 1914“). Tomer Gardi war im September zu Besuch beim Literaturfestival […]
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