Fast wie de Gaulle

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Das Leben von Ariel Sharon reflektiert in großem Maße die verschiedenen Umbrüche des Staates Israel. Aus Kfar Malal stammend wurde Sharon als junger Befehlshaber der vorstaatlichen Militärorganisation Haganah verehrt. Er war der Bulldozer des Siedlungsunternehmens. Und im Symbol israelischer Stärke −reflektiert in der Entscheidung, den Ersten Libanonkrieg im Jahr 1982 zu beginnen− zeigt sich, dass sich Israel vom David gegen Goliath in eine regionale Militärmacht verwandelt hat. Später erkannte Sharon –wie der Rest Israels− die Grenzen der Macht und die ihr innewohnenden Gefahren…

Kommentar von Shlomo Avineri, Ha’aretz, 11.01.2014
Übersetzung: Daniela Marcus

Als Sharon seine Likud-Genossen vor dem Abzug aus dem Gazastreifen und Teilen des Westjordanlandes im Jahr 2005 mit den Worten schockierte, die andauernde israelische Kontrolle der Gebiete sei nicht nur für die Araber sondern auch für die Juden schlecht, war klar, dass Realismus und die tatsächlichen Gegebenheiten nicht nur die Siedlungsideologie überwunden hatten, sondern auch den Rausch der Macht, der Israel nach 1967 charakterisiert hatte.

Es stellte sich heraus, dass die unbarmherzige Dialektik der Politik nur denjenigen, die der politischen Rechten angehörten, erlaubte, das auszuführen, was sich die politische Linke wünschte, jedoch nicht umsetzen konnte. Hier gibt es eine große Gemeinsamkeit mit Charles de Gaulle: Die französischen Sozialisten wollten sich aus Algerien zurückziehen, konnten jedoch nicht die erforderliche Mehrheit für diesen Schritt erlangen. Es war de Gaulle, der mit der Parole „Lang lebe das französische Algerien“ und mit Hilfe eines Militärputsches an die Macht kam (etwas, das in Israel niemals möglich sein wird) und der die 130 Jahre andauernde französische Kontrolle über den nordafrikanischen Staat beendete, was die Umsiedlung von mehr als einer Million französischer Siedler zur Folge hatte.

Aus der Perspektive von Sharon stellte der Abzug nur den ersten Schritt eines Prozesses dar, der im Westjordanland noch weitergehen sollte. Und seine neue Partei, Kadima, lieferte dafür die nötige öffentliche Unterstützung. Der Unterschied zwischen Sharon und de Gaulle liegt natürlich in der Tatsache, dass de Gaulle seine Politik vollständig umsetzen konnte während Sharons Bemühungen auf halbem Weg abrupt gestoppt wurden.

Was veranlasste Sharon dazu, die Richtung zu ändern? Erstens lagen seine Wurzeln –obwohl er die Gründung der Likud-Partei initiiert hatte− nicht in der Revisionisten- sondern in der Arbeiter-Bewegung. Sharon war ein Falke, jedoch aus Sicherheitsgründen, nicht aus ideologischen, auch wenn er hier und da die Notwendigkeit fühlte, die „Vervollständigtes-Israel“-Sprache zu sprechen. Deshalb war er, als er überzeugt war, dass die israelische Präsenz im Gazastreifen nicht mehr strategischer Gewinn sondern Bürde war, geistig und moralisch in der Lage, die schwierige Entscheidung zu treffen, sich aus den Gebieten zurückzuziehen und die dortigen jüdischen Gemeinden aufzugeben, obwohl deren Errichtung in nicht geringem Maße auf seine Initiative hin geschehen war.

Man benötigt für solch eine Entscheidung eine beachtliche intellektuelle Ehrlichkeit, die mit Entschlossenheit −um nicht zu sagen Brutalität− gepaart ist.

Doch eine fundamentalere Einsicht lag in der Entscheidung, mit dem Abzug voranzugehen. Sharon, dessen politische Karriere infolge des Ersten Libanonkrieges beinahe zerstört war, lernte seine Lektion aus dieser Erfahrung – eine Lektion, die viele andere versäumt haben zu lernen. Und dies zeigte sich in seinen Worten und Taten.

Erstens begann er die Grenzen israelischer Macht zu erkennen. Obwohl Israel die stärkste Militärmacht in der Region ist, hat es nicht die Macht, die palästinensische Bewegung aufzulösen oder die Palästinenser zu zwingen, Israels Kontrolle über die Gebiete zu akzeptieren.

Zweitens verstand Sharon angesichts der Polarisierung Israels durch den Ersten Libanonkrieg, dass es für Israel in Anbetracht der Wahl zwischen Krieg und Frieden zukünftig nötig war, alles zu unternehmen, um die Arbeiterpartei in der Regierungskoalition zu halten. Nachdem er 2001 zum Premierminister gewählt worden war, tat er dies, indem er Shimon Peres zum Außenminister und Benjamin Ben-Eliezer zum Verteidigungsminister machte. Auch die Gründung der Partei Kadima drückte seinen Wunsch aus, in der politischen Arena eine zentrale Bewegung zu errichten, die Moderate vom rechten und linken politischen Spektrum anziehen konnte.

Sharons Laudatoren werden eine Menge Zeit damit verbringen, sein Vermächtnis zu diskutieren. Es ist ein kompliziertes. Das Siedlungsunternehmen im Westjordanland macht den Verhandlungsprozess mit Sicherheit schwieriger. Doch der Rückzug aus dem Gazastreifen deutet auf eine mögliche Chance: schmerzhafte einseitige Schritte, die Israel selbst ohne Abkommen mit den Palästinensern gehen kann, um seine Kontrolle über diese zu mindern und dennoch seine Sicherheit und sein Überleben als jüdischer Staat zu gewähren.

2 Kommentare

  1. Von allen Janes, liebe ich die „palsätinenscher“ am meisten.

    „Er gestaltete den Abzug aber solcherart, dass die Palsätinenser sich keines Tags, dieses Abzugs würden freuen können. Dies zu verhindern sprachen aus all seinen Aktivitäten, auch zu Zeiten des Abzugs. So verhält sich kein Friedensvisionär“

    Süß, aber er ist sicher am Abzug aus dem Gazastreifen schuldig, welchen gerade Du es ihm vorwerfen willst?

    Bei aller Liebe, persönlich empfinde ich Eure ständige Begeisterung für die Friedensverhandlungen durch „Die Oslo-Verträge hatten auch so viele Haken und Ösen, so viele Bestimmungen zum Nachteil der Palsätinenser, dass man Oslo von Anfang an in Frage stellen kann,“ am meisten.

    Wenn ich versuche Eure Oslo Begeisterung, die Akzeptanz eines israelischen Staates mit den eigenen Haken und Ösen zu verbinden, fällt mir manch Geplapper schwer zu lesen.

    Man kann natürlich dennoch durchgehend behaupten Oslo wäre die Anerkennung eines israelischen Staates durch die Palästinenser, man kann es aber auch in Frage stellen, wie gerade.

    meiner Meinung nach!

  2. Ich finde es absurd, wie man versucht, aus Sharon einen Friedensvisionär zu machen.

    Sein Weg war zu allen Zeiten, 50 Jahre lang, von zahllosen Leichen palsätinensischer Zivilisten gepflastert und der ‚Abzug‘ täuscht darüber hinweg, dass sich Sharon nie gewandelt hatte. Er war ein Pragmatiker, der das Rückrat zu unbequemen Entscheidungen hatte, das kann man ihm lassen; aber diesen Entscheidungen fehlte es zu jeder Zeit an irgend einer glaubwürdigen Friedensvision.

    Der Abzug war ein Deal mit Bush, der sich dafür für die Annexion der großen Siedlungsblöcke an Israel, stark machen wollte – ein Tabubruch und eigentlich unvereinbar mit dem Völkerrecht.

    Er gestaltete den Abzug aber solcherart, dass die Palsätinenser sich keines Tags, dieses Abzugs würden freuen können. Dies zu verhindern sprachen aus all seinen Aktivitäten, auch zu Zeiten des Abzugs. So verhält sich kein Friedensvisionär.

    Tatsächlich macht schon der Abzugsplan klar, dass Gaza, auch nach der Umsiedlung der Siedler, ein von Isreal vollständig kontrolliertes Freiluftgefängnis blieb.

    Jede Hoffnung auf Freiheit, Selbstbestimmung und wirtschaftlichen Aufschwung wurde durch die SharonRegierung und auch durch die Ausgestaltung des Plans zur weiteren Kontrolle Gazas (denn das war der ‚Abzugsplan, der Name ist eigentlich mal wieder irreführend) verunmöglicht.

    Auch der Beauftragte der Weltbank für Gaza, James Wofensohn, selber ein Jude, beschwerte sich im Herbst 2005, dass die Israelis sich benähmen, als ob sie nie abgezogen wären – und das waren sie auch nicht.

    Sie terrorisierten die Zivilbevölkerung Non-Stop aus der Luft, zur See und durch Schließung der Grenzen die jeden Export und damit die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung verunmöglichte. Die erste, lt. Kommentatoren ausgezeichnete Ernte, verrottete weitgehend am israelischen Grenzübergang.

    Damit ebneten die Israelis der Hamas den Weg zur Macht. (die aber auch vor der Blockade begonnen hatte sich zu mäßigen – alle Integrationsfiguren ließ Sharon verhaften)

    Dieser Mann hatte niemals eine Friedensvision. Ja ich würde sagen, dass ihm die Fähigkeit zu einer solchen vollständig abging.

    Er befehligte in den 50ern die berüchtigte Einheit 101, deren Weg mit den Leichen palsätinensischer Zivilisten gepflastert war, Frauen, Kinder, Alte …..

    Er setzte alles daran, auch entgegen der israelisch-juristischen Expertise, dass eine Besiedelung der besetzten Gebiete illegal ist, die besetzten Gebiete zu besiedeln und war ein wesentlicher Drahtzieher dieses Unternehmens.

    Er ist maßgeblich verantwortlich für die erste und ebenfalls sinnlose Zerstörung des Libanon, weil er der den Ehrgeiz hatten den Libanon von Palästinern zu säubern. Er wollte dem Libanon ein christliches Regime unter Gemayel aufoktruieren. Er ist direkt verantwortlich (und nicht etwa indirekt) für das Massaker von Sabra und Shatila. Er persönlich hatte die Falangisten, einen Tag zuvor, aufgefordert in das Lager zu gehen, dass von den israelischen Truppen eingekesselt war, nachdem die PLOKämpfer abgezogen waren. Und nachdem den dort stationierten Soldaten schnell klar wurde, dass da gar keine Kämpfer mehr waren, ersuchten sie um klare Handlungsanweisungen – die blieben aber aus – der Generalstabschef Eitan verwies an Sharon – und der spielte mal wieder auf Zeit. Allen pol. Beobachtern jener Zeit war klar, dass die für ihre Brutalität bekannten Falangisten, sich an den Zivilisten für den Mordanschlag an Gemayel, hinter dem man die PLO vermutete, rächen würden. Sharon spielte natürlich die ‚Unschuld vom Lande‘ und während das Massaker 3 Tage lang vor sich ging, die Soldaten zuschauten und die Falangisten mit Munition versorgten, blieb Sharon still.

    Ein Vergleich mit de Gaulle wäre im Falle Rabin möglicherweise durchaus angebracht gewesen.

    Die Oslo-Verträge hatten auch so viele Haken und Ösen, so viele Bestimmungen zum Nachteil der Palsätinenser, dass man Oslo von Anfang an in Frage stellen kann, das Wort ‚palästinensischer Staat‘ kommt auch in ihnen gar nicht vor, aber es hat doch den Eindruck, dass sich Rabin ehrlich gewandelt hatte und für eine echte Friedenslösung warb. Ich denke Rabin hatte eine Friedensvision – Sharon niemals. Wie De Gaulle ging er tatsächlich ein hohes persönliches Risiko ein, als er sich für eine ECHTE Aussöhnung und einen echten Frieden einsetzte. Anders als DE Gaulle, bezahlte er dies mit seinem Leben.

    Sharon hatte den Slogan ‚Jerusalem‘ niemals für die Araber zum entscheidenden Wahlkampfthema im Spätsommer 2000 gemacht und mit jenem verhängnisvollen, demonstrativen Gang über den Tempelberg und der unverhältnismäßig brutalen REaktion der IDF auf den massenhaften und vorausschaubaren Protest der Palästinenser, den Krieg zwischen Israel und dem von ihm besetzten Volk maßgeblich ausgelöst und dann auch, wie wohlkalkuliert, geführt.

    Die Gewalt ging damals, entgegen der irreführenden Sprachregelung über diesen Krieg als ‚Intifada‘ (und damit einseitig den Palästinensern zugeschoben) zunächst von Israel aus.

    Dies führte zu einer Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrats, der Isreal, wegen der zahllosen Toten unter unbewaffneten Demonstranten, scharf rügte.

    Israelische Geheimdienste stellten später klar, dass es keinerlei Hinweise oder Erkenntnis gab und gibt, dass dies von palästinensischer Seite irgendwie geplant gewesen wäre – aber das hört man bei der ‚Hasbara‘ und in Israel halt nicht so gerne.

    Arafat und Barak hatten sich ein paar Tage vor Sharons Wahl in fast allen Punkten für ein Abkommen geeinigt.

    Mit Sharons Wahl war dies Makulatur. Er führte einen brutalen Krieg gegen die Palästinenser – in dessen Verlauf 3000 Palästinenser und 1000 Israelis ihr Leben verloren.

    Er wollte Anerkennung für die Siedlungen – dafür war er bereit ein paar Tausend Siedler aus Gaza rauszuholen – aber ein Mann des Friedens – das war Sharon nie.

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