Purim und Chanukah: Heilig oder nicht?

1
39

Obwohl geschichtlich betrachtet Purim älter als Chanukka ist, wurde Chanukka gleich als ein jüdisches Fest festgelegt, während Purim eine lange Zeit nicht überall anerkannt war…

Deborah Tal-Rüttger

Das Traktat Ta’anit, das kurze Zeit nach der Zerstörung des 2. Tempels geschrieben wurde, erwähnt die Estherrolle mit keinem Wort. Im Traktat Ta’anit wird der 13. Adar nicht als Esther-Fastentag (Ta’anit Esther) genannt, sondern als Nikanor – Tag zur Erinnerung an den Sieg Judas Makkabäus über den syrischen Feldherrn; ein Tag, an dem man nicht fasten darf. Wahrscheinlich galt Purim in Erez Israel bis zur Zerstörung des 2. Tempels noch nicht als Fest, weil die Esthergeschichte als eine lokale Geschichte für die Juden in Persien angesehen wurde.

Der Babylonische Talmud (Traktat Megila 14a) erklärt: „Wenn man von der Sklaverei in die Freiheit kommt, sagt man Hallel, so erst Recht, wenn man vom Tode gerettet wurde (das Purimwunder). Aber man sagt kein Hallel für ein Wunder, das im Ausland stattfand. Rabba sagte: Es steht geschrieben: ‚Preiset die Knechte G’ttes’ (Psalm 135,6) und nicht die ‚Knechte Achaschweroschs’. Sie sind auch nach dem Wunder die Knechte von Achaschwerosch geblieben.“

  Purim Chanukah
Zeit der Entstehung Zwischen 486 und322 v.d.Zeitr. Mitte des 2. Jh.
Kanon Megilat Esther
(im 3. Teil der Hebräischen Bibel – Ketuwim)
Makkabäerbücher
(Apokryphen)

Das Chanukwunder geschah im Jerusalemer Tempel. Die Juden in Erez Israel haben eine partielle politische Unabhängigkeit errungen, die etwa 250 Jahre dauerte.

Warum also betonen die Rabbinen später doch die Heiligkeit des Buches Esther? Gerade weil die Megilath Esther (die Ester-Rolle) noch zur Zeit der Amorärer (220- 500) nicht fest verankert in der jüdischen Tradition war. Der Jerusalemer Talmud (Traktat Megila 1,7) erzählt von einem Briefwechsel zwischen Esther und Mordechai einerseits und den Rabbinen andererseits. Esther und Mordechai fragen die Rabbinen, ob sie die beiden Purimnächte anerkennen wollen. Die Rabbinen antworten: „Haben wir nicht genügend Plagen, dass ihr uns die Plage Hamman dazu geben wollt?“ Es gingen noch einige Briefe hin und her bis das Buch Esther doch angenommen wurde. Auch die Tanna’im (bis etwa zum Jahr 220) standen der Estherrolle skeptisch gegenüber. Im Traktat Megila 7a sagte Rabbi Jehuda im Namen Schmu’els: „Esther verunreinigt die Hände nicht“.*

“Die Diskussion zwischen einigen Rabbinen endete mit der Feststellung, dass die Bücher Esther, das Lied der Lieder und Ruth doch heilige Bücher sind und daher die Hände verunreinigen, wenn man sie berührt. Die Schriften aus der Zeit vor den Amoräen kannten Purim nicht. Schim’on Ben Sira, der im Jahr 180 ein Buch (Mischlej Ben Sira) geschrieben hat, in dem er die wichtigen Persönlichkeiten in der jüdischen Geschichte lobt, erwähnt weder Esther noch Mordechai noch das Buch Esther. Das erste Makkabäerbuch aus dem Jahr 104 v.d.Z. kennt Purim nicht und im zweiten Makkabäerbuch aus dem Jahr 40 v.d.Z. wird nur festgestellt, dass Nikanor-Tag einen Tag vor Mordechai-Tag ist. Es ist dort keine Rede von Purim, von Esther oder dem Buch Esther. Und doch zeigt die Diskussion der späteren Generationen, dass sich die Juden noch lange schwer damit getan haben, das Buch Esther als Teil des biblischen Kanons anzunehmen.

  • *) Heilige Bücher verunreinigen die Hände, wenn man sie anfasst.
  • **) Tannaim oder Tannaiten, von aram. „tanna“, wiederholen, lehren, lernen; Bezeichnung für die Rabbiner der “Mischna-Periode. Die Zeit der Tannaiten erstreckt sich vom Beginn der christlichen Zeitrechnung (Schüler von Hillel und Schammai) bis ins frühe 3. Jahrhundert (R. “Jehuda HaNassi und dessen Söhne). Auf sie folgten die Periode der diese Lehren kommentierenden Amoräer (bis um 500) und die Periode der den babylonischen Talmud bearbeitenden Saboräer (bis zum 7. Jahrhundert).


Die Autorin (2. v.r.) ist stellvertretende Vorsitzende der Union progressiver Juden in Deutschland
UPJ-Newsletter, Kislev 2013.

 

1 Kommentar

  1. Die Geschichte im Buch Ester ist m.E. kein Bestandteil des Tanach, weil sie suggeriert hat, das sich die Juden in der Diaspora nur wehren müßten, um zu obsiegen – leider hat die Vergangenheit oft das Gegenteil gelehrt, bis zur Staatsgründung 1948.

Kommentarfunktion ist geschlossen.