Die Bündnisdiskussion in Frankreich zwischen Konservativen und Rechtsextremen flammt neu auf…
Von Bernard Schmid, Paris
Alle oder fast alle französischen Tageszeitungen führten am zurückliegenden Wochenende den Front National auf ihren Titelseiten, oder widmeten ihm zumindest mehrere Seiten im Blattinneren. Die rechtsextreme Partei kann sich im Augenblick über mangelndes Medienecho nicht beklagen. Auch über den Inhalt einiger Schlagzeilen, auch wenn die dahinter stehende Intention eher alarmistisch ist – also beabsichtigt, Gegenkräfte aufzurütteln –, kann die extreme Rechte durchaus erfreut sein. Etwa bei der Pariser Abendzeitung Le Monde: „Die große Angst vor dem FN ergreift die politischen Eliten.“ ((Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2013/09/13/la-grande-peur-du-front-national-s-empare-des-elites-politiques_3477039_823448.html)) Oder bei der Onlinzeitung Huffington Post (französische Ausgabe): „Marseille, die Türe des Front National zur Macht“ (Ankündigung in der Newsletter) respektive „…das Vorzimmer des FN zur Macht“ ((Vgl. http://www.huffingtonpost.fr/2013/09/14/fn-marseille-universite-ete-antichambre-pouvoir_n_3914909.html?ir=France&utm_campaign=091413&utm_medium=email&utm_source=Alert-france&utm_content=FullStory))
Marseille war der Ort, wo der FN am Wochenende des 14./15. September 13 seine „Sommeruniversität“ abhielt. Die Veranstaltung, die in Wirklichkeit vor allem den Auftakt zum Kommunalwahlkampf des Front National – die Rathauswahlen in ganz Frankreich werden am 23. und 30. März 2014 stattfinden – bildete, fand im Kongresszentrum der Mittelmeermetropole statt. Dazu gab es auch eine Gegendemonstration. An ihr nahmen laut Angaben der Veranstalter/innen „10.000“, laut jenen der Polizei „1.200 bis 1.300 Personen“ teil. Die Wahrheit liegt sicherlich in der Mitte, laut manchen gewöhnlich unterrichteten Quellen bei 2.000 bis 3.000 Menschen, andere Teilnehmer/innen sprechen von 5.000. Die Mobilisierung zu der Demonstration war überwiegend regionaler Natur, von Montpellier über Marseille bis Nizza. Auch wenn es von Paris aus ebenfalls eine begrenzte Mobilisierung gab (für die mit hohem Energieeinsatz, aber von Wenigen, mobilisiert worden war) – ein Bus fuhr am Freitag Abend von der Hauptstadt aus nach Marseille, und vielleicht 50 Menschen reisten zusätzlich im Zug aus Paris an.
Wie auch bei der vorangegangenen Demonstration in Paris am 23. Juni 13, nach dem gewaltsamen Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric Anfang Juni d.J. (rund 5.000 Teilnehmer/innen), dominierte optisch ein linksradikal-antifaschistisches bis autonomes Spektrum, was nicht unbedingt der Schaffung einer breiten politischen Aktionseinheit dienlich ist, obwohl daran die Abwesenden weitaus mehr Schuld tragen als die Anwesenden. Die Gewerkschaften hatten nur begrenzt, die linken Parteien (mit Ausnahme des NPA, mit rund 100 Teilnehmer/innen) fast gar nicht mobilisiert. Es wird zu gegebener Zeit erforderlich sein, eine Bilanz aus den aktuellen enormen Problemen der Antifa-Mobilisierung zu ziehen!
Drinnen, im Konferenzzentrum, nahmen unterdessen rund 4.000 Personen lt. Beobachtern – laut Eigenangaben der Partei angeblich 4.500 – an der Tagung des Front National teil. In ihrer Rede wetterte Marine Le Pen gegen die etablierten Parteien, gegen die soziale und wirtschaftliche Situation in Frankreich und gegen die angebliche „Unterordnung Frankreichs unter die USA“. (Dazu folgt noch ein ausführlicherer Artikel, besonders zur Positionierung der extremen Rechten gegenüber der Syrienkrise)
Marseille war tatsächlich der geeignete Ort für den Auftakt zum Kommunalwahlkampf des FN. Jüngste Umfragen sagen dort ein Ergebnis bei der Kommunalwahl im März kommenden Jahres voraus, das die Liste der UMP (bürgerliche Rechte) bei 34 Prozent, den Front National auf dem zweiten Platz bei 25 Prozent, und die „Sozialistische“ Partei hinter ihm bei 21 Prozent stehen sähe. Im Rathaus von Marseille regiert derzeit die UMP, und die örtliche Sozialdemokratie ist aufgrund quasi-mafiöser Einstellungspraktiken durch ihre Parteifreunde auf Bezirksebene ziemlich ins Gerede gekommen. Die durch die Medien frankreichweit viel beachteten Sicherheitsprobleme in Marseille – die Hafenstadt ist ein wichtiges Durchgangstor für den internationalen Drogenhandel, und da dort die Einflusssphären der spanischen und der italienischen Mafia aufeinandertreffen und sich überschneiden, kommt es immer wieder zu Schusswechseln und Toten durch den Gebrauch von Kalaschnikows – tragen natürlich ihren Teil zum erwarteten Wahlerfolg des FN bei. Es wird damit gerechnet, dass die rechtsextreme Partei eines der Bezirksrathäuser in Marseille übernehmen könnte. Ihr Spitzenkandidat Stéphane Ravier, Anfang 40 und Aktivist seit über zwanzig Jahren, gibt sich siegessicher.
Auch frankreichweit befindet die rechtsextreme Partei sich im Aufwind. Ihren Listen in den Städten und Gemeinden (schon vor der Sommerpause waren 350 Spitzenkandidaten und –kandidaten aufgestellt worden) wird derzeit im landesweiten Durchschnitt ein Ergebnis in Höhe von 16 Prozent prognostiziert, die erwartete Stimmenzahl nimmt im Laufe der Wochen zu und nicht ab. In der Hauptstadt Paris, seit langen Jahren aufgrund der Zusammensetzung der Bevölkerung ein schlechtes Pflaster für den FN, nahm der in Umfragen prognostizierte Stimmenanteil für die FN-Liste unter Wallerand de Saint-Just (Anwalt von Jean-Marie Le Pen, Parteimitglied seit 1987) von Juni bis September dieses Jahres von 5 auf 8, bisweilen 9 Prozent zu. Manche Medien machen sich oder ihren Leser/inne/n nun zusätzlich Angst, indem sie gigantomanische Zuwachsdiagnosen oder –prognosen aufstellen: Ihre Hochrechnung basiert auf der Annahme, dass die FN-Listen bei den letzten Kommunalwahlen (im März 2008) im Durchschnitt nur 0,97 Prozent erhalten hätten. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/2013/09/12/01002-20130912ARTFIG00566-municipales-ps-et-ump-en-baisse-fn-en-hausse.php)) Diese Art, zu rechnen, ist jedoch barer Unsinn: Damals stand die Partei finanziell kurz vor dem Bankrott und stellte meistenorts überhaupt keine Listen auf, so dass zahlreiche Ergebnisse, die in die Durchschnittsberechnung einflossen, sich formal auf Null belaufen. So zu kalkulieren, ist Unfug.
Unterdessen platzte auf der bürgerlich-konservativen Rechten eine Bombe. Ausgerechnet der frühere Premierminister der UMP (2007 bis 2012) François Fillon, dessen Position im Vergleich zu jenen des seit November 12 amtierenden Parteichefs Jean-François Copé – dessen Name wird stärker mit dem ideologischen Rechtsruck der UMP in Verbindung gebracht – bislang eher als moderat durchgingen, brachte sie zur Explosion. Am 08. September 13 erklärte er, zwischen einem(/r) Kandidaten(/in) der „Sozialistischen“ Partei und einem des Front National bei den Rathauswahlen würde er „jenen auswählen, der mir als ,moins sectaire‘ (Anm.: BhS: weniger sektiererisch, weniger verschlossen, also bündnisoffener) erscheint“. Auch nach mehrtägiger öffentlicher Polemik bekräftigte Fillon am vergangenen Freitag, 13.09.13 diesen Ausspruch bei einem Auftritt in Nizza. Sein Amtsvorgänger als Ex-Premier (2002 bis 2005), Jean-Pierre Raffarin, sprach am Wochenende in einer Kurznachricht bei Twitter von „Alarmstufe Rot“ für die bürgerliche Rechte. Fillons Rivale Copé erklärte am Montag mittag, 16.09.13, es sei nunmehr „die Existenzfrage für die UMP“ gestellt. ((Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/politique/20130916.OBS7105/cope-apres-les-declarations-de-fillon-l-avenir-de-l-ump-est-en-jeu.html))
Fortsetzung folgt…