Die Kinder auf dem Schulhof nebenan

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Grußwort der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Stadtverband Köln, zur Ausstellungseröffnung „Die Kinder auf dem Schulhof nebenan“…
Von Roland Kaufhold (01.02.2007)

Im Namen des Stadtverbandes Köln der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft möchte ich Ihnen und Euch zu dieser Ausstellung gratulieren.

Es erscheint uns als ein ermutigendes Zeichen, dass mit dieser neukonzipierten Ausstellung an das ehemals so fruchtbare jüdische Leben in Köln erinnert wird. Vielleicht, so möchte man hoffen, wird mit
dieser Ausstellung der Verlust deutlich, den wir Deutschen uns selbst – in viel stärkerem Maße natürlich noch den wehrlosen jüdischen Menschen Kölns – zugefügt haben. Es ist ein Verlust, der niemals vergessen werden sollte.

Zur Erinnerung: Der Name Köln stand einmal für eine jahrhundertelange jüdische Tradition. In einigen Publikationen wird Köln sogar als die älteste jüdische Stadt im deutschsprachigen Raum bezeichnet. Einer der Pioniere des Zionismus, Moses Hess, gehörte zu den Gründern der ersten sozialistischen Tageszeitung in Köln. Er wurde, seinem Willen entsprechend, auf dem jüdischen Friedhof in Deutz beerdigt. 1961 wurden seine sterblichen Überreste in Israel bestattet. Das jüdische Gymnasium Jawne bildete in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts einen selbstverständlichen, lebendigen Teil Kölns. Viele Jahrzehnte lang war ihre Geschichte nahezu vergessen. Die Mörder, so könnte man auch sagen, hatten vollständig gesiegt.

Für diese kleine, bewegenden Ausstellung wurden, auf die Forschungen des Ehepaars Corbach Bezug nehmend und sie weiterführend, private Briefkorrespondenzen, private Photos sowie historische Dokumente gesichtet und zusammengestellt. Nun können wir diesen über 400 jüdischen Kindern wieder begegnen, die sich in einer scheinbaren Selbstverständlichkeit sowohl als Juden als auch als Kölner
empfanden: Wir sehen eine Gruppe Jugendlicher, wie sie, mit einem Lächeln auf ihren Lippen, auf ihren Schulhof gehen. Sie sind glücklich, leben in einer scheinbar friedlichen Welt. Wir werden auf einer
Ausstellungstafel über die wichtigsten Daten informiert, mit denen die kurze, tragische Geschichte dieser Jugendlichen und ihrer Lehrer skizziert wird.

Wir sehen das Schulgebäude der Jawne, das Lehrerseminar und die gleich nebenan gelegene jüdische Synagoge der Adass Jeschurun. Wir sehen Klassenphotos, fröhliche, ausgelassene Jugendliche während eines Ausflugs; eine Kostümgruppe auf dem Jawne-Schulfest an Purim – dem „jüdischen Karneval“ – im Jahr 1935. Auf einer weiteren Tafel begegnen wir den jüdischen Lehrerinnen und Lehrern, die sowohl aus dem orthodoxen als auch aus dem liberalen jüdischen Spektrum stammten. Einigen von ihnen gelang noch die Flucht, nach England, in die USA oder ins damalige Palästina. Wir sehen die Lehrerin Hilde Katz, im Elterngespräch vor der Jawne, im Hintergrund Schüler. 1942 wurde Hilde Katz deportiert und ermordet.

Das scheinbar so optimistische, kreative Leben dieser Jugendlichen und ihrer Lehrer wurde durch uns Deutsche, durch die deutschen Nationalsozialisten, zerstört. Aus den „Kindern auf dem Schulhof nebenan“ wurden ausgestoßene, bedrohte, verfolgte, gedemütigte Kinder.

Der Leiter der Jawne, Dr. Erich Klibansky, trat sein pädagogisches Amt im Alter von 28 Jahren an. Er und seine Kollegen verstanden das jüdische Schulleben nie als Ghetto, sondern als eine  selbstbewusste, kreative, lebendige Alternative. Dr. Klibansky erkannte die Gefahr durch die Nationalsozialisten rasch. Er verstärkte den Englisch- und Neuhebräischunterricht. Er organisierte die sogenannten „Schülertransporte“, durch die das Leben von wohl 130 Schülern der Jawne gerettet werden konnte. Allein auf sich gestellt, ohne ihre Eltern, gingen diese Jugendlichen nach England, wo sie von zionistischen Organisationen empfangen wurden.

Wir sehen Photos aus den Jahren 1939 und 1941: Nun leben diese Jugendlichen in England, getrennt von ihren Eltern – und versuchen doch, das Beste aus der neuen, schwierigen Lebenssituation zu machen. Wir sehen sie anlässlich eines Fußballspiels mit englischen Freunden, gemeinsam vor einem Hostel stehend. Und wir werden an das grausame Ende der Jawne erinnert: Im Jahr 1942 verlässt ein Deportationszug der Reichsbahn mit 1.163 jüdischen Menschen, darunter 315 Kinder und Jugendliche, Köln, vom Bahnhof Deutz-Tief. Die Initiative „Die Bahn erinnern“ hat ja soeben vor dem Kölner Bahnhof in sehr gelungener Weise an die Mitverantwortung der Bahn für diese lebensverachtenden Verbrechen erinnert.

Und ich möchte noch ein Photo erwähnen: Wir sehen Henry Gruen und Walter Braun, enge Freunde seit ihrer Kindheit, ihre Eltern waren beide Lehrer an der jüdischen Volksschule Lützowstraße, sitzend, gemeinsam mit Nachbarskindern, in der Blumenthalstraße. Beide wurden durch die Kindertransporte gerettet – befreundet geblieben sind sie bis heute. Walter Braun ging nach Israel, arbeitete in Kibbuzim u.a. als Hebräischlehrer. Wir als Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft – so möchte ich hinzufügen – sind sehr stolz darauf, dass wir auf eine über 30jährige Zusammenarbeit mit unseren israelischen Kollegen von der Histadrut Hamorim zurückzublicken vermögen. Regelmäßig finden in Israel und hierzulande Seminare zwischen israelischen und deutschen LehrerInnenn statt, mehrfach schon waren unsere israelischen KollegInnen zu Gastbesuchen in Köln. Wir betrachten die kritische Solidarität zum Staat Israel als eine Selbstverständlichkeit.

Henry Gruen – sein Vater war letzter Kantor der Synagogen-Gemeinde in Köln-Ehrenfeld – lebte acht Jahre lang in England, danach 24 Jahre lang in den USA, als Chemiker. 1971 kehrte er, gewiss mit zutiefst ambivalentem Gefühl, nach Deutschland zurück, arbeitete als Chemiker beim Max-Planck-Institut und lebt heute in der näheren Umgebung Kölns. Ich erachte es als einen ganz außergewöhnlichen
Vertrauensbeweis, dass Henry Gruen für diese Ausstellung private Photos zur Verfügung gestellt hat. In einem langen Interview, welches im Rahmen dieser Ausstellung gezeigt wird, hat er sich an seine Schulzeit in der Jawne erinnert.

Und ich denke, wir alle dürfen uns geehrt fühlen, dass Henry Gruen auch an dieser Ausstellungseröffnung maßgeblich beteiligt ist. 2001 gehörte Henry Gruen zu den Mitbegründern der kleinen Jüdischen Liberalen Gemeinde Kölns, Gesher LaMassoret. Während dieser Gündungsversammlung hat sich Henry Gruen in folgender Weise an das pluralistische, vielfältige jüdische Leben in Köln vor der Nazizeit
erinnert:

„Überhaupt herrschte in dem damaligen jüdischen Köln ein recht pluralistischer Geist. Man konnte sich in allen Synagogen einfinden. Es ist eine der tragischen Folgen der NS-Zeit, dass dieser Geist heute kein Echo hat. Jedoch unser „Gesher LaMassoret“ – der Name bedeutet „Brücke zur Tradition“ – ist eine neue Brücke zum Judentum überhaupt. So ist ein Erleben jüdischer religiöser Praktiken für den Interessenten möglich. Ein Vertraut-werden mit den universell gültigen Ansprüchen eines ethischen Monotheismus hat zu Konversionen geführt. Diese neuen Mitglieder haben unsere Gemeinde in allen Hinsichten gestärkt.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen und Euch, dass diese von Frau Dr. Cordula Lissner und Frau Britta Q. gestaltete Ausstellung viele Besucher – insbesondere auch Schüler –
finden wird. Sie spricht uns mit ihren liebevoll ausgewählten und gestalteten Photos unmittelbar und persönlich an.

Rheinlandtaler für die Protagonisten des Lernortes Jawne