Europäische Presse: Europäer verlieren Glauben an EU

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Laut einer aktuellen Studie des US-Forschungsinstituts Pew hat die Euro-Krise das Vertrauen europäischer Bürger in eine weitere Integration der EU stark erschüttert. Vor allem Franzosen, Griechen und Italiener glauben kaum noch an die Vorteile der Wirtschaftsunion. Die Umfrage ist für Kommentatoren ein klares Zeichen für die Entfremdung vieler Menschen vom kranken Mann Europa, den der harte Sparkurs nur weiter geschwächt hat…

Die Welt – Deutschland
Leider misstrauen die Staatenlenker Keynes

Dass die europäischen Staaten in Krisenzeiten nicht im Sinne des Ökonomen John Maynard Keynes Geld ausgeben wollen, befeuert die euroskeptische Haltung vieler Bürger, analysiert die konservative Tageszeitung Die Welt: „So gründlich … ist die Verteufelung des Keynesianismus gelungen, dass die Kontinentaleuropäer – im Gegensatz zu den Briten und Amerikanern – auch in der schlimmsten Krise der Nachkriegszeit nicht auf die Idee kommen, seinen Ideen zu trauen. … Die von Keynes befürchteten Folgen des ‚praktischen Versagens‘ neoliberaler Ideen sind überall in Europa sichtbar. Linke Befürworter einer Herrschaft des ‚Wir‘ und rechte Volksgemeinschaftsideologen sind im Vormarsch. Hauptopfer der Volkswut ist die Europäische Union: Mittlerweile sind laut der Pew-Umfrage die Franzosen europaskeptischer als die Briten, aber auch anderswo erreichen die Skepsiswerte britisches Niveau. … Mag sein, dass die Methode der schwäbischen Hausfrau auf lange Sicht die richtige ist. Aber auf lange Sicht, wie Keynes sagte, sind wir alle tot.“

16.05.2013 – deutschAlan Posener

Lidové noviny – Tschechien
Die EU ist kranker Mann Europas

Europas Bürger glauben vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Währungskrise nicht mehr an das europäische Projekt, kommentiert die konservative Tageszeitung Lidové noviny die Studie des Pew Research Centers in Washington:
„Die EU ist der kranke Mann Europas. Sie verliert in kritischem Tempo in den Augen ihrer Bürger die Legitimität. Zwischen den europäischen Völkern entsteht eine Entfremdung, die sich bei weitem nicht darin erschöpft, dass Demonstranten in Athen auf Plakaten Angela Merkel ein Hitler-Bärtchen anmalen. Europa-Optimisten dachten vor ein paar Jahren noch, dass eine europäische Öffentlichkeit geboren wird. Jetzt verschwindet diese vor unseren Augen. Das muss die Europa-Optimisten beunruhigen. Gut gemeinte Initiativen zur Stärkung einer europäischen Identität erweisen sich als nicht ausreichende Dämme gegen den Trend, der von der Krise der Euro-Zone ausgelöst wurde.“

16.05.2013– Lidové noviny Daniel Kaiser
Debatten verfolgen: Deutschlands kontroverse Rolle in der Krise

Gazeta Wyborcza – Polen
Hoffnungslose Situation in den Krisenstaaten

Das Ansehen der EU in den Krisenstaaten wird sich auf absehbare Zeit nicht verbessern, weil Europas Süden wirtschaftlich einfach zu schlecht dasteht, interpretiert die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza die aktuelle Pew-Studie: „Das Problem ist, dass sich die Meinung über Europa überall dort verschlechtert hat, wo sich auch die Wirtschaft nicht allzu gut entwickelt und wo mit einer schnellen Besserung kaum zu rechnen ist. In Deutschland sind die Umfragen hingegen gut, dort hat sich die Krise kaum ausgewirkt. Die EU und die Euro-Zone werden wohl erst wieder im Jahr 2014 wachsen. Auf effektive strukturelle Reformen wird man zudem noch einige Jahre warten müssen. … Selbst wenn Brüssel die Sparpolitik etwas lockert, dürfte sich die Beziehung des krisengeschüttelten Südens zur EU in den kommenden Jahren weiter verschlechtern.“

16.05.2013– polnisch

The Independent – Großbritannien
Die deutsch-französische Achse ist zerbrochen

Eine neue Studie zur Stimmungslage in der EU zeigt, dass die Franzosen mittlerweile ähnlich europaskeptisch sind wie die Briten. Im Gegensatz dazu sind die Deutschen immer noch mehrheitlich europafreundlich. Für die linksliberale britische Tageszeitung The Independent bringt das eine neue Dynamik in die EU:“Besonders signifikant ist die große Kluft zwischen der Haltung der Franzosen und jener der Deutschen verglichen mit der großen Ähnlichkeit der Einstellungen von Briten und Franzosen. Wir haben es hier mit einer neuen Dynamik zu tun. Diese Veränderungen werden große Folgen für die Politik der EU haben. Wir beobachten hier einen historischen Wandel. Die lang anhaltende französisch-deutsche Allianz, die Europa seit den frühen 1950er-Jahren angetrieben hat, ist brüchig geworden. Sie ist zerbrochen, kaputt. Und sie wird nicht leicht zu reparieren sein. … Diese Verschiebung im Glauben an die Wirksamkeit der europäischen Integration und die sich verändernde Stimmungslage werden zu gegebener Zeit die europäischen Verhandlungen beeinflussen.“

15.05.2013 — englisch

El País – Spanien
Sparpolitik verhindert Europas Aufschwung

Die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone ist im ersten Quartal 2013 um 0,2 Prozent gesunken, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch bekanntgab. Die Sparpolitik steht dem Aufschwung im Weg, analysiert die linksliberale Tageszeitung El País:
„Wenn die Wirtschaftspolitik keinen entscheidenden Kurswechsel vollzieht, wird die Euro-Zone weiter schrumpfen. Entsprechend schwer wird es, die Rekord-Arbeitslosigkeit zu senken. Die Abnahme des Lebensstandards der Bevölkerung und die Zunahme der Ungleichheit bei der Einkommensverteilung waren zu Friedenszeiten noch nie so hoch. Das führt zur Unzufriedenheit mit der EU und ihren Institutionen. Und das nicht ohne Grund. Denn obwohl wir uns schon seit sechs Jahren in der Krise befinden, haben die europäischen Politiker und die einflussreichsten Regierungen – allen voran Deutschland – noch immer keine Wachstumsformel gefunden. Die harte Sparpolitik hat das wirtschaftliche Fundament der Mitglieder der Euro-Zone nicht gestärkt, sondern weiter geschwächt.“

16.05.2013 — spanisch
— Sparpolitik auf dem Prüfstand

Der Standard – Österreich
Halbherzige Einigung der EU im Steuerstreit

Die EU-Finanzminister haben am Dienstag der EU-Kommission ein Mandat erteilt, Verhandlungen über neue Steuerabkommen mit fünf Drittstaaten aufzunehmen. Österreich gab als letztes Land seinen Widerstand dagegen auf. Der linksliberalen Tageszeitung Der Standard gehen die Ergebnisse nicht weit genug: „Wie die mehr als traurige Praxis aussieht, ließ sich beim jüngsten Treffen der EU-Finanzminister trefflich beobachten: Sie verschoben zum x-ten Mal die Vorschläge zur Eindämmung des Mehrwertsteuerbetruges, Machenschaften mit Vorsteuerabzug quer durch die EU, bei denen Kriminelle Milliarden scheffeln. … Es liegt der Verdacht nahe, dass es den EU-Regierungen gar nicht ernst ist beim Kampf gegen Steuerbetrug. Das Einzige, worauf man sich derzeit jenseits der großen Worte einigen kann, ist ein Mandat zur Verhandlung mit der (wichtigen) Schweiz und anderen kleinen Drittländern [Andorra, Liechtenstein, Monaco und San Marino] – ohne Glaubwürdigkeit im Inneren. Schwach. … Und Österreich? Spielt keine Rolle. Die Regierung führte vor, dass man Zerstrittenheit national noch steigern kann.“

15.05.2013 – deutsch

Neue Zürcher Zeitung – Schweiz
Obamas Position wird immer schwächer

US-Präsident Barack Obama hat am Mittwoch den Rücktritt des Chefs der Steuerbehörde IRS Steven Miller bekannt gegeben, nachdem die IRS in der Kritik stand, regierungskritische Gruppen stärker als andere geprüft zu haben. Trotzdem steht Obama nach mehreren Skandalen im Weißen Haus in einem schlechten Licht, konstatiert die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: „Führungsschwach in der Syrien-Krise, ausmanövriert in der Haushaltspolitik und gedemütigt im Streit um schärfere Waffengesetze, macht Obama derzeit alles andere als eine gute Figur. So kommen die genannten Affären für ihn zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Sie haben das Potenzial, ihm das Image eines Präsidenten zu geben, der einer selbstherrlichen Administration vorsteht. Sie werden aber auch dafür sorgen, dass der Kongress alle möglichen Untersuchungen anstrengt – und den Initiativen des Präsidenten noch weniger Beachtung als bis anhin schenkt.“

16.05.2013 – deutsch

Politiken – Dänemark
Kopenhagener Kriterien verschärfen

Im Juni werden die Kopenhagener Kriterien, die ein neues EU-Mitgliedsland erfüllen muss, 20 Jahre alt. Doch die Standards in Sachen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte wanken schnell, sobald das Land aufgenommen ist, kritisiert die linksliberale Tageszeitung Politiken: „Die Wahl am Sonntag in Bulgarien hat gezeigt, dass die Kopenhagener Kriterien in einigen Ländern deutlich weniger ernst genommen werden, wenn das Land erstmal EU-Mitglied ist. … Auch in Kroatien, das im Juli der EU-Beitritt, ist Korruption weit verbreitet. … Korruption ist nicht nur gefährlich für die Wirtschaft, sondern vielleicht noch gefährlicher für die Demokratie in der EU, weil Bürger in korrupten Ländern dazu tendieren, einen Supermann zu fordern, der bedingungslos aufräumt. … Zum Jubiläum sollte die EU gemeinschaftlich beginnen, eine Neuauflage der Kopenhagener Kriterien zu entwickeln. Das könnte den Mitgliedsländern im Kampf gegen die Korruption den Rücken stärken, auch wenn die Länder bereits im Schoß der EU ind.“ (16.05.2013)

 dänisch

Hürriyet Daily News – Türkei
Alle Seiten profitieren von Einigung auf Zypern

EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn hat in der vergangenen Woche gesagt, dass eine Wiedervereinigung Zyperns die zyprische Wirtschaft stark ankurbeln würde. Die liberale englischsprachige Tageszeitung Hürriyet Daily News appelliert für eine Annäherung: „Die bittere Ironie des Schicksals ist, dass EU-Vertreter nun in der Türkei einen Retter für das EU-Krisenland sehen. Das wird für die Zyperngriechen schwer zu schlucken sein, denn sie gelten gerade als besonders empfindlich, wenn es um die Lösung des Zypern-Problems geht – glauben sie doch, dass die türkische Seite ihre Notlage ausnutzen wird. … Doch sie werden in der Türkei höchstwahrscheinlich auf einen Gesprächspartner treffen, der kein ‚Erpresser‘ ist, sondern sich kooperativ verhält. Denn eine faire Einigung auf Zypern dient auch den Interessen Ankaras und der türkischen Zyprer. Wenn sie ihr Trauma überwunden haben, dann könnte dies auch den griechischen Zyprern offensichtlicher erscheinen. … Andernfalls wird es ein Fall von ‚du gehst deinen Weg und ich meinen‘. Und das wäre für niemanden von Vorteil.“ (16.05.2013)

englisch

Aamulehti – Finnland
Arktischer Rat gewinnt an Bedeutung

Der Arktische Rat hat am Mittwoch seine Ministertagung im nordschwedischen Kiruna beendet. Die liberale Tageszeitung Aamulehti erwartet, dass dem Rat künftig größeres internationales Gewicht zukommt: „Das [auf der diesjährigen Tagung unterzeichnete] Abkommen zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen in der Arktis ist die Fortsetzung des vor zwei Jahren geschlossenen Abkommens zur Seenot-Rettung. Für die Zukunft der Arktis sind das wichtige internationale Kooperationsabkommen, die auch hoffentlich die Wirtschaftsbeziehungen der arktischen Länder fördern. … Es wäre zu hoffen, dass der Rat neben Umweltfragen auch Fragen der Wirtschaft und Sicherheit behandelt. Auch die EU sollte ein noch größeres Interesse am Norden zeigen als bisher. Die Bedeutung des Arktischen Rats als zentrales Entscheidungsorgan der Region wird zunehmen und hoffentlich wird man auf friedlichem Wege zu Lösungen kommen. International wird der Arktische Rat ein immer stärkerer Akteur, was für Finnland gut ist.“ (16.05.2013)

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