„Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass die Mehrheit Israels der Politik Benjamin Netanjahus zustimmt, nicht aber seinem Stil“, lautete ein Kommentar zu dem problematischen und noch nicht ganz endgültigen Wahlergebnis. Ran Cohen, ehemaliger Chef der linken Meretz-Partei und einer der prominentesten Befürworter eines Friedens mit den Palästinensern klagte: „Das Friedensthema ist von fast allen Parteien und besonders von der Linken ausgeklammert worden. Offenbar haben die Israelis die Hände erhoben und sich dem Schicksal ergeben, dass ein Friede mit den Palästinensern kaum möglich ist“…
Eine Wahlanalyse von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 23. Januar 2013
Beide Kommentare treffen ziemlich genau den Ausgang dieser Wahlen, aus denen Premier Netanjahu deutlich geschwächt hervorgegangen ist, obgleich er selber die vorgezogenen Wahlen initiiert hat, im festen Glauben, seine ohnehin stabile Koalition mit einem Volksvotum weiter stärken zu können. Doch auf dem Weg zu den Urnen verließen den sonst innenpolitisch so geschickten Netanjahu alle Instinkte, indem er sich zu der wahltaktischen Fusion mit der rechtgerichteten Russen-Partei des Avigdor Lieberman entschlossen hatte. Weder die Russen noch die Veteranen der konservativen Likudpartei goutierten diesen Schritt. Die Rechnung präsentierten sie Netanjahu am Dienstag an den Wahlurnen.
Am 5. Februar soll die neue Knesset vereidigt werden. Bei 50 Frischlingen im Plenarsaal ist das aus 120 Abgeordneten bestehende Parlament fast zur Hälfte rundum erneuert worden mit unbekannten oder in der Politik noch nicht eingeführten Gesichtern wie des Jair Lapid. Dessen weltlich-bürgerliche Partei „Es gibt eine Zukunft“ wird mit 19 Mandaten als zweitgrößte Macht einziehen. Die Zahl der Frauen in der Volksvertretung hat sich leicht erhöht, von 23 auf 26.
Die Zusammensetzung der Knesset ist noch ungewiss, solange die Zettel der Briefwahlen nicht fertig ausgezählt sind. Das offizielle Wahlergebnis soll am Donnerstag Morgen veröffentlicht werden. Bis dahin könnte es noch leichte Verschiebungen geben. So wird sich entscheiden, ob die bislang größte Partei, Kadima, nach 29 Mandaten in der bisherigen Knesset, die Sperrklausel von nur 2 Prozent doch überwindet. Nach Auszählung von 99,8 Prozent der Stimmen fehlten ihr noch 1.400 Wahlzettel.
Schon in der Wahlnacht gab es erste Telefonate. Netanjahu rief Jair Lapid an, um Fühler für eine gemeinsame Koalition auszustrecken. Lapid will unter Netanjahu kein linkes „Feigenblatt“ sein, wie er selber sagte, sondern redet eher von einem „Gemeinschaftsgang“ und sogar von einer „Großen Koalition“. Netanjahu telefonierte wenige Minuten nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnung auch mit Eli Ischai von der orientalisch-frommen Schasspartei, bisher sein treuester Partner. Politische Beobachter bezweifeln Netanjahus Fähigkeit, Lapid und Ischai in einer Regierung gemeinsam unterbringen zu können. Denn Lapid fordert „gleiche Bürde für alle“, womit Wehrdienst auch für orthodoxe Juden gemeint ist, ein rotes Tuch für Ischai und seine Wählerschaft.
Weil beide Blöcke, rechts und links, fast stimmengleich abgeschnitten haben, lässt sich nicht einmal vorhersehen, welchen Politiker Staatspräsident Schimon Peres mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Das muss nicht der Chef der größten Partei sein. Es geht darum, einen Politiker mit den besten Chancen zu finden, mindestens 61 Mandate in der Knesset hinter sich zu stellen. In den nächsten 10 Tagen müssen deshalb äußerst delikate geheime Koalitionsverhandlungen abgewartet werden.
Solange es keine neue Regierung gibt, ist nicht mit dramatischen politischen Schritten Israels zu rechnen, obgleich Netanjahu jetzt einer Übergangsregierung vorsteht und dem Parlament keine Rechenschaft mehr ablegen muss. Das Wahlergebnis deutet darauf hin, dass die Mehrheit keine große Hoffnung auf eine Erneuerung des Friedensprozesses hegt. Allein Netanjahu und sein Außenminister Avigdor Lieberman, der wegen eines Korruptionsprozesses vorläufig die politische Bühne verlassen musste, haben sich während des Wahlkampfes deutlich für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen, obgleich ihnen das Stimmen im rechten Lager gekostet hat. Ausgerechnet die Arbeitspartei und der außenpolitisch noch konzeptlose Jair Lapid haben Friedensverhandlungen mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas ausgeklammert. Denn damit lassen sich in Israel keine Stimmen fangen. Ein deutlicher Anstieg von Terroranschlägen im Westjordanland, die Annäherung von Abbas zur Hamas im Gazastreifen und nicht zuletzt der Ausrutscher des Abbas in einem Fernsehinterview, haben die Enttäuschung vieler Israelis zusätzlich verstärkt. Abbas hatte mal wieder von einer Zusammenarbeit der Zionisten mit den Nazis geredet, um in klassischer antisemitischer Art die Israelis mit den Nazis gleichzusetzen. Sein Sprecher Abu Rodeina dementierte, dass Abbas derartiges behauptet hätte, nachdem man in Ramallah wohl bemerkt hat, welch schlechten Eindruck diese Behauptung in Israel hinterlassen hatte. Doch dummerweise war das Interview mitgeschnitten und im O-Ton auch im israelischen Fernsehen gesendet worden. Abu Rodeinas Dementi schadete zusätzlich der palästinensischen Glaubwürdigkeit.
(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com