Bilz-Preis für Recherche International

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Ehre wem Ehre gebührt: Am 20.12 erhielt die schwerpunktmäßig in Köln angesiedelte Initiativgruppe Recherche International den Bilz-Preis. Eine gute, längst überfällige Entscheidung…

Ausgezeichnet wurden sie vor allem für ihre wegweisenden Arbeiten zum Thema „Die Ditte Welt im Zweiten Weltkrieg

Mehr Informationen über die Arbeit von Recherche International:
http://www.3www2.de/

Die Preisverleihung erfolgte in den Räumen des Kölner EL DE Hauses, Laudator war der Kölner Schriftsteller und Journalist Peter Finkelgruen. Nachfolgend dokumentieren wir seine mit viel Beifall bedachte Laudatio.

Den Preis für Recherche International nahm der Kölner Journalist Karl Rössel stellvertrend für seine KollegInnen – u.a. Albrecht Kieser, Birgit Morgenrath und Dogan Akhanli – entgegen. -rk

Laudator Peter Finkelgruen (r) gratuliert Karl Rössel
Laudator Peter Finkelgruen (r) gratuliert Karl Rössel, der den Preis stellvertretend für Recherche International entgegen nahm, © Siegfried Pfankuche-Klemenz

Zur Preisverleihung des Bilz-Preises 2012 an „Recherche Internatonal, Laudatio von Peter Finkelgruen:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

meine mich erzogen habende Großmutter war eine Überlebende des Konzentrationslager Auschwitz. Bis zu ihrem Tod lebte sie in der Überzeugung ,Adolf Hitler sei nicht tot. Er habe sich mit Hilfe einer anderen Identität der Gerechtigkeit entzogen und habe, im Gegensatz zu Ihr, ein gutes Leben.

Ich erwähne diese Tatsache, weil sie auch etwas mit den Preisträgern des Bilz Preises, der heute zum dreizehnten Mal vergeben wird, zu tun hat. Ich werde im Verlauf dieser kleinen Laudatio darauf zurück kommen.

Die heute zu vergebende Auszeichnung, den Biltz – Preis in Höhe von 4.000 Euro, erhält die Initiative Recheche Internatioal e.V aus Köln.

Wie entstand dieser Verein und wofür erhält er diesen Preis?

Er wurde 1999, also im letzten Jahr des Jahrhunderts, das uns alle geprägt hat und selbst heute noch nachwirkt, von engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Rheinischen Journalistenbüros in Köln gegründet. Der konkrete Anlass war, dass das damals schon seit über zehn Jahren betriebene Forschungsprojekt „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ weder von einer Universität, einem Forschungsinstitut noch einer Stiftung unterstützt wurde.

Es drohte wegen Finanzmangels zu scheitern. Die Gründung des gemeinnützigen Vereins „Recherche International“ war eine Chance, das Gelingen von aufwendigen und komplizierten Rechercheprojekten in Zukunft zu sichern. Dies gelang dann auch nach umfangreichen Mitteleinwerbungen.

Endlich konnten nun, auch mit Unterstützung eingeworbener Forschungsgelder, die schon zwei Schränke füllenden Materialien ausgewertet und für ein Publikation sowie eine Ausstellung aufgearbeitet werden.

Dieses bisher umfangreichste und bis heute fortgeführte Projekt des Vereins hat es sich zur Aufgabe gestellt, eine Änderung des Bewusstseins in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Beteiligung der Menschen aus der Dritten Welt am Zweiten Weltkrieg zu erzielen. Denn die heutigen Lebensbedingungen der dort lebenden, oft muss man sagen überlebenden Menschen  sind maßgeblich von den Auswirkungen des Weltkrieges geprägt. Sowohl die faschistischen Achsenmächte, wie auch die Alliierten, rekrutierten in ihren Kolonien beziehungsweise besetzen Ländern massenhaft Hilfstruppen und zivile Arbeitskräfte, oft mit Gewalt.

Aufgrund dieser Recherchen entstand 2005 das erste deutschsprachige Buch mit dem Titel „Unsere Opfer zählen nicht“.

Drei Jahre später, 2008, folgten Unterrichtsmaterialien zu diesem Thema, mit Originalbeiträgen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf einer beiliegenden CD. Vor wenigen Wochen nun erschien eine zweite korrigierte und erweiterte Auflage dieses Werks.

Im Jahre 2009, genau am 1. September, dem 70 Jahrestag des Kriegsbeginns in Europa, wurde zum ersten Mal die Wanderausstellung zu diesem Thema auf der Premiere in Berlin gezeigt. Inzwischen  ist diese Ausstellung in mehr als 20 Orten in Deutschland und in der Schweiz präsentiert worden. Ich habe die Ehre und die Freude gehabt, an manchen dieser Orte zu einer Facette dieser Ausstellung und dieses Themas etwas beitragen zu können.

Es gibt auch eine kleine Version  dieser Ausstellung. Sie wurde erarbeitet, um sie auch in Schulen, Bildungseinrichtungen und Dritte-Welt-Zentren ohne großen Aufwand zeigen zu können.

Jedesmal. wenn ich die Möglichkeit habe, etwas über das Getto in Shanghai vorzutragen, werde ich mit der  Überraschung der Zuschauer konfrontiert, für die die Tatsache, dass es auf nationalsozialistische Veranlassung in Shanghai ein Getto für Juden, die sich der drohenden Verfolgung und Vernichtung in Europa durch Flucht entzogen, gegeben hat, neu ist. Kaum fassbar scheint es den meisten zu sein, wenn sie erfahren dass es in Shanghai bereits vor dem 30 Januar 1933 eine NSDAP AO (Auslandsorganisation) gegeben hat. Vielleicht wird die Ausstellung die von den heutigen Preisträgern zusammengestellt wurde, den einen oder anderen Historiker dazu bewegen sich des Themas NSDAP -AO anzunehmen – ein noch weitgehend weißer Fleck in der deutschen  Geschichtsforschung.  Bald ein Jahrhundert nach dem Einsetzen des sogenannten Dritten Reichs wäre es wahrlich nicht zu früh.

Ich kann mich des Gefühls erinnern, das mich beschlich, als ich die Namenslisten der aus  Frankreich nach Auschwitz  deportierten Juden  durchging. Diese Listen, die mit großer Mühe von Serge und Beate Klarfeld, mit Hilfe anderer Nachfahren von in den Lagern Ermordeter, zusammengestellt wurden, liegen in einem umfangreichen Konvolut vor.

Beinahe in jeder Transportliste kann man Namen finden wie, Abbou, Alalouf, Ben Aioun, El Ahmi, El Kaim oder Shou Croun. Es bedarf nicht viel Phantasie zu erkennen woher diese Menschen kamen. Aus dem Mittelmeerraum, genauer aus Nordafrika. Immer wieder fragte ich mich nach den Gefühlen von Menschen die von den Gestaden des Mittelmeers oder aus dem Atlasgebirge stammend, in das koloniale Frankreich gekommen waren und sich dann in der winterlichen Landschaft Polens an einem Ort namens Auschwitz fanden. Die Gefühle, die mich bei diesem Gedanken beschlichen, bin ich bis heute nicht los geworden.

Erlauben sie mir noch kurz beim Stichwort Nordafrika zu verweilen und an meine Großmutter, die ich eingangs erwähnte, zu erinnern und an ihre Überzeugung dass Hitler den Krieg überlebt habe und dass es ihm gut ginge . Diese ihre Überzeugung war für mich nur Beleg dafür wie tiefgehend und wie umfassend die Wirkung des Dritten Reiches auf sie war. In späteren

Jahren durfte, ja mußte  ich erleben, wie viele von Hitlers mehr und weniger engen Gefolgsleuten im größten Mordprogramm der Geschichte den Krieg nicht nur überlebten, sondern

es sich danach gut gehen ließen. Damit bin ich wieder bei Thema der Ausstellung  „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“.   

Vor wenigen Wochen lief unter großer Beachtung der Film über den Generalfeldmarschal Erwin Rommel. Erlauben sie mir, hier kurz Hannes Heer aus einem Interview zu zitieren:

Nach dem Sieg in Tobruk am 21. Juni 1942 und dem rasanten Vormarsch Rommels in Richtung ägyptischer Grenze schien die Besetzung Ägyptens und dann Palästinas nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Organisierte Gruppen von Kollaborateuren bereiteten sich darauf vor, die deutsche Truppen bei der Vertreibung der Briten und – im Falle Palästinas – auch der Ermordung der Juden zu unterstützen. Verantwortlich für diese Aktion sollte die im Mai/Juni im Reichsischerheitshauptamt aufgebaute Gruppe von 24 SS Männern unter dem Befehl des Obersturmbannführers Walter Rauff sein. Rauff war für die technische Ausrüstung der Einsatzgruppen in der Sowjetunion zuständig gewesen und hatte den Einsatz der dort zum Judenmord verwendeten Gaswagen überwacht. Nachdem Hitler am 1. Juli den Auftrag des „Einsatzkommandos Ägypten“ gebilligt hatte, erteilte die Wehrmachtsführung den entsprechenden Einsatzbefehl. Am 20. Juli hatte sich Rauff bei Rommels Stab in Tobruk gemeldet und von diesem die notwendigen Instruktionen erhalten...  So weit Hannes Heer.

Nun wurden die deutschen Truppen einschließlich der Einsatzgruppen, in Kairo und in Palästina bereits von Deutschen erwartet.

Nicht nur in Shanghai, auch in Palästina gab es eine NSDAP AO. Auch hier würde historische Forschungsarbeit Überraschendes zu Tage fördern.Zum Beispiel, dass das dortige Büro der NSDAP-AO  noch  bis zur Besetzung durch Truppen der Hagana im israelischen Unabhängigkeitskrieg funktionierte. Oder dass die Bundesregierung das Luxemburger Wiedergutmachungsabkommen erst unterzeichnete, nachdem Israel sich verpflichtete die enteigneten Templer in Palästina, die in großen Teilen mit der ehemaligen NSDAP – AO identisch waren, zu entschädigen.

Aber den ersten Deutschen wären die Truppen des Generalfeldmarschalls und die Einsatzgruppe unter  Walter Rauff schon in Kairo begegnet.

Prominente Führungsfiguren des nationalsozialistischen System hatten sich in den Jahren zuvor in Kairo sozusagen die Klinke in die Hand gegeben  Adolf Eichmann, Baldur von Schirach und

Wilhelm Canaris ebenso wie der Leiter des Orient-Referats im Auswärtigen Amt, Otto von Hentig,

Adolf Eichmann berichtete in seinen Vernehmungen vor der israelischen Polizei über seinen Besuch in Kairo, wo er vom Vertreter des DNB , einem Mann namens Gentz, empfangen wurde. Das DNB war das Deutsche Nachrichten Büro,  Äußerlich als unabhängiges, privatwirtschaftliches Unternehmen getarnt, befand es sich faktisch im Besitz des Reiches und war der Pressestelle der Reichsregierung unterstellt, die zur Abteilung IV des  Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda gehörte. Natürlich war das Deutsche Nachrichtenbüro nicht eine Presseagentur, wie der Name suggeriert. Der größte Teil der vom DNB erstellten Meldungen wurde nicht an die  Presse  versandt, sondern an bestimmte Personenkreise in  Partei und Staat. Zur Unterscheidung wurden die versandten Nachrichten auf festgelegten, farblich hervorgehobenen Papieren verteilt. Diese geheimen Dienste wurden daher blaue, rote oder weiße Dienste genannt. Wie ebenfalls im Zusammenhang mit den Vernehmungen Eichmans in Jerusalem klar wurde, wurde das Deutsche Nachrichten Büro vom Sicherheitsdienst des Reichssicherheitshauptamtes vielfach eingespannt und mit Aufträgen bedacht.

Der Leiter dieses Kairoer Büros des DNB, der seine Vorarbeit nicht nur für die Wehrmacht unter Erwin Rommel sondern auch für die Einsatzgruppen des Walter Rauff leistete, war mein erster Chef bei der Deutschen Welle hier in Köln. Er hatte überlebt … ihm ging es gut. Er leitete die Nachrichtenredaktion  und die Nahostredaktion dieser Anstalt und wirkte, jetzt nach dem zweiten Weltkrieg, wieder in die Dritte Welt hinein.

Sie merken, wie wichtig die Arbeit von Recherche International und der von ihr erarbeiteten Ausstellung ist. Sie hat die die Tür aufgestoßen zu Facetten der deutschen Geschichte die bis heute nachwirken.

Neben diesem Hauptprojekt, das viel Kraft kostete, wurden noch weitere nicht so umfangreiche Projekte verwirklicht. Dazu gehört das Autobiographie-Projekt von Denis Goldberg, einem weißen Freiheitskämpfer für die Emanzipationsbewegung in Südafrika. Nur  mit Hilfe von ‚Recherche International‘, hier besonders der Mitarbeiterin Birgit Morgenrath, konnte die Autobiographie bearbeitet und ins Deutsche übersetzt werden. 2010 wurde das Buch der Öffentlichkeit vorgestellt.

Ein weiteres Projekt ist die kritische Auseinandersetzung mit den Mikrokrediten in der Dritten Welt. Die unter anderen von Recherche International herausgegebene Studie löste eine kritische Debatte über die Rolle der Mikrofinanzindustrie und ihre negativen Auswirkungen, insbesondere auf Frauen in der Dritten Welt, aus.

Aber auch konkrete Unterstützungsaktionen wurden von der Initiative organisiert. Als das Recherche International Mitglied Dogan Akhanli im April 2010 beim Besuch seines Vaters in der Türkei verhaftet wurde, organisierte unter Federführung von Albrecht Kieser Recherche International eine breite Solidaritätskampagne mit vielen prominenten Unterstützern – unter anderem Günter Wallraff. Aufgrund dieses öffentlichen Drucks konnte die Freilassung Dogan Akhanlis nach viermonatiger Haft erreicht werden.

Alle diese Aktivitäten zeigen eine große Affinität von Recherche International für die Anliegen der Dritten Welt und deren Situation. Das Unwissen in Deutschland über die Ursprünge der Armut und der kriegerischen Auseinandersetzungen in Folge des Zweiten Weltkrieges möchte die Initiative durch Publikationen, Radiosendungen, Unterrichtsmaterialien, Ausstellungen und Vorträge beseitigen. Damit sind diese Aktivitäten ein hervorragender Beitrag zum friedlicheren Miteinander der Völker.

Da die Bilz – Stiftung es sich zur Aufgabe gemacht hat, Initiativen zu unterstützen, die sich für Völkerverständigung, für Menschen, die aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt werden sowie gegen Rassismus eintreten, war die Verleihung des Bilz – Preises nur folgerichtig.

Die Bilz – Stiftung verleiht der Bilz-Preis 2012 in Höhe von 4.000 Euro mit folgender Begründung:

Seit 1999 setzt sich die Initiative  „ Recherche International „ für die Aufklärung der historischen, sozialen, politischen und kulturellen Beziehungen Europas zur Dritten Welt ein, um Vorurteile abzubauen und mehr Verständnis für die dort lebenden Menschen zu gewinnen. Mit dieser bisher nur unzureichend in der Öffentlichkeit geleisteten Erinnerungsarbeit soll das interkulturelle Verständnis gefördert werden. Die Initiative leistet damit einen hervorragenden Beitrag zu Völkerverständigung.“