Heilsames Gegengift gegen leichtfertigen Aufarbeitungsstolz

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Die Amadeu-Antonio-Stiftung (Berlin) startet eine Wanderausstellung mit dem Titel „Germany after 1945“ für ein internationales Publikum…

Von Martin Jander

Das Projekt ist, soweit ich sehen kann, bislang einmalig. Die Amadeu-Antonio-Stiftung aus Berlin startet eine internationale Wanderausstellung in englischer Sprache, in der die Geschichte von Antisemitismus und Rassismus in beiden deutschen Staaten nach der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus beschrieben wird. Die Ausstellung geht auch den Fragen nach, wie sich Bundesrepublik und DDR den Verbrechen des Nationalsozialismus stellten, wie Staat und Zivilgesellschaft gegenwärtig auf rechte Gewalt reagieren und wie der Alltag der von Nazis bedrohten Menschen heute aussieht. Außerdem werden Initiativen vorgestellt, die sich für den Schutz von Minderheiten und ein mehr an Demokratie im Alltag einsetzen. Die Ausstellung ist so kompakt und handlich produziert, acht doppelseitig mit Fotos und lockeren Texten belegte Stelltafeln, dass sie von interessierten Universitäten, Schulen und Vereinigungen überall auf der Welt einfach angefordert und aufgestellt werden kann.

So handlich und kompakt die Ausstellung ist, ihre Themen sind es keineswegs. Form und Inhalt zielen, und das wird die öffentliche Auseinandersetzung über diese Ausstellung und ihre Bedeutung bestimmen, auf Bild und Selbstbild der Demokratie in Deutschland. Mit ihrer Erzählung deutscher Nachkriegsgeschichte durch die Hervorhebung von für ihre Zeit charakteristischen, drastischen und bestürzenden Geschichten aus dem Nach-Shoah-Alltag beider deutscher Staaten, stellt die Ausstellung eine lehrreiche Provokation dar, die von den verschiedenen Rednern der Eröffnungsveranstaltung am schwül-warmen Dienstagabend in den Räumen der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) in Berlin deutlich angesprochen wurde.

Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung hob in ihrer Eröffnungsrede hervor, von der Kuckucksuhr bis zum Weihnachtsbaum gäbe es in Deutschland mittlerweile eine Kulturgeschichte, ausgerechnet für Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus existiere eine solche Darstellung jedoch bislang nicht, dies wolle man mit dieser Ausstellung beginnen. Wer, so benannte sie das Motiv der Erarbeitung, heute die Dimension von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsradikalismus in Deutschland verstehen wolle, könne die Augen nicht davor verschließen, dass 1945 die Alliierten ein Regime in die Knie gezwungen hätten, die mit ihm verbundene Gesinnung jedoch habe in vielerlei Formen und Verwandlungen in Ost- und West-Deutschland weiterexistiert. Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und der Skandal um die ein Jahrzehnt lang nicht enttarnten Naziterroristen NSU seien nur der sichtbarste Ausdruck davon.

Dr. Martin Salm, der Vorstandsvorsitzende der das Projekt mitfördernden Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ), erklärte in seinem kurzen Eingangsstatement, die Ausstellung habe ihn „bestürzt“, sie biete einen notwendigen „zweiten Blick“ auf die gewöhnlich als erfolgreich angesehene NS- und DDR-Aufarbeitungsgeschichte beider deutscher Staaten. Die Ausstellung sei als notwendiges „Gegengift“ gegen den „leichtfertigen Stolz einer als abgeschlossenen geltenden Aufarbeitung“ in der vereinigten Bundesrepublik Deutschland anzusehen. In Ost- und Westdeutschland sei das „Phantom einer ethnisch homogenen Gesellschaft“ in vielerlei Facetten seit 1945 bis heute mit verheerenden Folgen präsent. Er bedankte sich außerordentlich herzlich bei Anetta Kahane und dem Team der Macher für ihre „hervorragende“ Arbeit.

Dr. Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der ebenfalls das Projekt mitfördernden Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, hob in ihrem Statement hervor, dass man die gegenwärtige Auseinandersetzung um das „erschreckende Ausmaß“ rechtsradikaler Gewalt in Deutschland und das „offenkundige Versagen“ des Staates die Gewalt zurückzudrängen, nur verstehen könne, wenn man seine Vorgeschichte in beiden deutschen post-nationalsozialistischen Staaten kenne. Auch sie bedankte sich bei den Ausstellungsmachern für ihre ausgezeichnete Arbeit und stellte heraus, es sei nicht das erste Mal, dass ihre Stiftung ein Projekt fördere, das sich auch mit „dem braunen Erbe der DDR“ auseinandersetze. Eine solche Ausstellung werde im Ausland sicher nicht missverstanden werden. Die Demokratie in Deutschland werde in der Welt daran gemessen, wie entschlossen man hier drängende Probleme demokratischer Kultur thematisiere. Diese Offenheit bei der Beschreibung kritischer Themen werde überall bewundert.

Emmanuel Nahshon, Geschäftsträger der Botschaft Israels in Berlin, erklärte in seiner kurzen Rede, er sei der Amadeu-Antonio-Stiftung und ihrer Vorsitzenden Anetta Kahane für die Erarbeitung dieser Ausstellung sehr dankbar. Zwar sollten sich Diplomaten immer „diplomatisch“ äußern, sagte Nahshon, er könne sich jedoch an dieser Stelle, als Sohn von Überlebenden, an diese Regel nicht halten. Bei manchen Dingen genüge es nicht, sich einfach nur aufzuregen. Er wolle sich zwar nicht in die Innenpolitik Deutschlands einmischen, aber aus seiner Sicht dürften NPD und neonazistische Gruppen hier keinen öffentlichen Raum der Darstellung erhalten. Aus seiner Sicht sollten sie verboten werden. Er wünschte der Ausstellung viel Erfolg und viele interessierte Nutzer in der ganzen Welt.

Die Ausstellung „Germany after 1945“ kann natürlich nicht beanspruchen, und tut dies auch gar nicht, bereits ein vollständiges Bild von Antisemitismus, Rassismus und Neonazistischen Gruppen in beiden deutschen Staaten nach 1945 zu geben. Sie füllt mit ihren exemplarisch erzählten Alltagsgeschichten und ihren immer akkurat referierten Kontexten einen Leerraum, den Wissenschaft und Publizistik bislang hinterlassen haben. Der Versuch eine (Un-) Kulturgeschichte von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus in den beiden deutschen Staaten zu schreiben, ist bislang noch nicht unternommen worden. Vielerlei Wissenschaftler haben zu einzelnen Facetten dieses Themas zwar Einzelbeiträge vorgelegt, eine Art Gesamtschau zum Zustand der demokratischen Kultur in diesem Land gibt es noch nicht. Vorwürfe, wie sie bereits am Eröffnungstag in einem Beitrag des Deutschlandradios zu hören waren, die Ausstellung sei „unwissenschaftlich“ und „einseitig opferorientiert“, laufen deshalb in diese von den Wissenschaften hinterlassene Leere. Wer die Ausstellung anfordern möchte, was ich sehr empfehle, schickt eine E-Mail an Dr. Heike Radvan (heike.radvan@amadeu-antonio-stiftung.de) und los geht’s.

3 Kommentare

  1. Man sollte alle Senate des bverfg, meinetwegen in Ihren Roben, zwangsverpflichten diese Ausstellung zu besuchen.

    Allein das neunmal kluge bverfg hat es noch nicht kapiert und hat seinerzeit der NPD einen Persilschein verpasst. Ja ja ich verstehe nichts von der Rechtssystematik im Verfassungsrecht. Kein Mensch auf der Straße liest sich ein Urteil durch, welches nur dazu gut ist, dass sich Richter, die sowas schreiben, damit selber feiern können.
    Auf die Außenwirkung solcher Urteile kommt es an!
    Es hätte unter der Abwägung von Für und Wider genügend Argumente gegeben ein Verbot dieser Partei zu rechtfertigen.
    Was ist mit den Menschen, auf die es das braune Pack abgesehen hat, die ermordet wurden, die sich bedroht fühlen müssen? Ist es richtig, diese Menschen für unsere Verfassung zu opfern?
    Das Argument: „Ein Verbot bringt nichts“ ist schnell dahingesagt. Ein Verbot hätte eine zusätzliche Ächtung dieser Partei und deren Gesinnung gebracht.
    Wenn das nicht mehr hilft, dann hilft halt gar nichts mehr.

    Welcher Gesinnung die Damen und Herren des bverfg verfallen sind, darf angefragt werden. Siehe hier:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/antisemitismus-urteil-dr-jur-absurd-1.1005799

    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/artenschutz_fuer_antisemiten/

    Ob das bverfg solche Urteile Beschluss (AZ: 1 BvR 2585/06) aus Vorsatz oder aus Torheit fällt weiß ich nicht.

  2. Was ich im Deutschlandradio darüber gehört habe kann den Verdacht nicht ausräumen, dass es sich bei dieser Ausstellung – gerade weil sie gezielt auch in den USA und in englischer Sprache gezeigt werden soll – um bewusste Verstärkung unterschwelliger Resentiments handeln könnte. Eine leichtfertige und gleichgültige Hinnahme dieser Möglichkeit muss zumindest vermutet werden.

    Auch sollten diese Ausstellungsmacher darauf verwiesen werden, dass gerade Amerikaner häufig und gerne mit dem Finger auf andere zeigen, weil das so wunderbar von den eigenen braunen Flecken auf der ach so weissen Weste nationaler Sentimentalitäten ablenkt !

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