„Aus der Dunkelheit erhob sich vor uns das Land Israel…“

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Der Übergang von der britischen Mandatszeit zur Staatsgründung Israels…

Von Peter Finkelgruen

Das „Gedicht“ des Grass zu Israel, seine nachträglichen Interpretationen und die Äußerungen seiner Sekundanten, des Präsidenten des deutschen PEN Zentrums, Johanno Strasser, und des Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck, die sich in allererster Linie durch Unbelecktheit auszeichnen, veranlassten mich, eines meiner alten Manuskripte auszugraben.

Das vorliegende Redemanuskript, welches ich im Jahr 1989 vortrug und das ich in den letzten paar Tagen leicht überarbeitet und aktualisiert habe, verdeutlicht, dass sich in Bezug auf den Nahostkonflikt in den vergangenen Jahrzehnten ebensowenig bewegt hat, wie in den Köpfen von Grass, Strasser und Staeck.

Ich bin kein Historiker. Deshalb kann und will ich mir nicht anmaßen einen fachhistorischen Exkurs zu geben, um die Zeit zu beleuchten, mit der ich mich hier beschäftige. Meine Legitimation für die Beschäftigung mit diesem Thema besteht zum einen darin, daß ich jahrelang als Auslandskorrespondent einer deutschen Rundfunkanstalt in Israel gearbeitet habe: Seit 1981 habe ich mehr oder weniger ununterbrochen aus Jerusalem für die Deutsche Welle Welle berichtet. Außerdem habe ich in diesem Jahrzehnt dort die Vertretung der Friedrich Naumann Stiftung aufgebaut und am palästinensisch-israelischen Dialog mitgewirkt.

Diese Jahre und die in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse geben wohl eine gewisse Legitimation, um über Israel und den Charakter des aktuellen Konflikts zu sprechen. Wenn ich aber nach weiteren Gründen suche, die mir subjektiv das Gefühl der Berechtigung geben, über dieses Thema zu sprechen, dann komme ich auf ein Detail aus meiner Biographie.

Als Neunjähriger, als Heranwachsender also, bin ich im Jahre 1952 in Israel angekommen. In einer Lebensphase also, in der man besonders aufnahmefähig ist – und weniger belastet von bewusstem historischen oder ideologischem Ballast. In diesem Lebensphase habe ich Israel kennengelernt. Drei Jahre nach der Staatsgründung, – aber durchaus noch in einer Zeit, in der die Wehen und Probleme des Übergangs von der englischen Mandatszeit hin zum unabhängigen jüdischen Staat sich im Alltag dieses Landes manifestierten. 1959, Israel hatte das erste Jahrzehnt seiner Existenz überstanden, kam ich nach Deutschland, in die Bundesrepublik, wo ich seither lebe – außer in den Jahren zwischen 1981 bis Ende 1988, in denen ich wiederum, diesmal aus beruflichen Gründen, in Israel gelebt habe.

Vor diesem allgemein biographischem und speziell beruflichem Hintergrund habe ich Geschichtsbücher und Literatur über die Zeit des Übergangs von der englischen Mandatszeit bis zur israelischen Staatsgründung gesucht und gelesen.

Vieles von dem, was ich zu diesem Thema gelesen habe, wurde gefiltert durch meine persönlichen, biographischen Erfahrungen und Eindrücke. Hinzu kommt, dass man meine Sichtweise kaum als systematisch betrachten kann. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine punktuelle, manche mögen sagen willkürliche, Betrachtung einer historischen Situation oder Phase.

Ein Trost ist aber meine, in all den Jahren gewonnene, Überzeugung, dass es kaum möglich ist, umfassende, objektive Betrachtungen zu finden. Meiner Überzeugung nach kann es immer nur den Versuch einer Annäherung an Objektivität geben, einfach durch Kenntnisnahme und Berücksichtigung von Positionen, die nicht die eigenen sind. Wenn Sie so wollen, ist dies ein Plädoyer für eine eingestandene wohlwollende Subjektivität.

„Aus der Dunkelheit erhob sich vor uns das Land Israel“ – Israel als Zufluchtsort nach der Shoah

Saul Friedländer, Professor für Geschichte an den Universitäten Tel-Aviv und Genf, einer der prominentesten Kritiker der Regierungspolitik Israels, gleichzeitig aber jener Historiker, der am Ausgangspunkt der Historiker-Debatte im Deutschland der achtziger Jahre auf die Neigung etlicher deutscher Historiker, insbesondere des Prof. Noelte, hinwies, die deutsche Geschichte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zu relativieren, schrieb ein Buch mit dem Titel, „Wenn die Erinnerung kommt.“

Bei diesem Buch handelt es sich um eine eindringlich geschriebene Autobiographie des Verfassers, der, 1932 in Prag geboren, die Zeit der NS-Verfolgung unter abenteuerlichen Umständen überlebte. Im letzten Kapitel dieses Buches schildert er seine Überfahrt nach Israel im Jahre 1948 an Bord des Schiffes „Altalena“.

Jenes Schiffes also, das vor der Küste von Tel-Aviv auf Befehl Ben Gurions beschossen wurde. Es hatte Waffen und Munition für die damals von Menahem Begin geführte „Ezel“-Bewegung an Bord, eine radikal-rechts-zionistische Bewegung, die auch ideologisch in Konkurrenz zu Ben-Gurion und der von ihm befehligten „Hagana“, also der Vorläuferin der israelischen Verteidigungsarmee stand.

Alleine die Darstellung dieser Episode aus der Zeit des Übergangs von der englischen Mandatszeit zur israelischen Staatsgründung würde bedeuten, eine noch heute kontroverse Interpretation dieser Zeit und der damaligen Vorgänge zu präsentieren.

Saul Friedländer jedenfalls beendet sein Buch mit der Schilderung der Ankunft des Schiffes vor der Küste von Tel-Aviv mit dem Satz: „Aus der Dunkelheit erhob sich vor uns das Land Israel.“ Es war die Erfahrung der nationalsozialistischen Verfolgung als Kulmination der Geschichte des europäischen Antisemitismus die den Hintergrund für die Wahrnehmung Israels durch die überlebenden Verfolgten abgab: „Aus der Dunkelheit erhob sich vor uns das Land Israel.“

Keine drei Jahre später, im Frühjahr 1951 kam ich an Bord des Schiffes „Negba“ im Hafen von Haifa an. Die Negba war allerdings nicht ein Schiff mit an Land zu schmuggelnder Munition, wie die „Altalena“, aber der Schlusssatz aus Saul Friedländers Buch galt auch für die Einwanderer an Bord dieses Schiffes. Diese Menschen kamen aus einem Europa, in dem nach der totalen Kapitulation und dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft und dem in der Folge allgemeinem Bekanntwerden des millionenfachen Mordes an Juden, es in Deutschland wieder Lager für Juden gab. Sogenannte DP-Camps, die Displaced Persons-Camps, Lager für Menschen, die gewissermaßen verlegt waren, die keinen ihnen zugehörigen Platz hatten.

Sie kamen aus einem Europa, in dem in Polen wieder Pogrome stattfanden. Sie kamen aus einem Deutschland in dem nach 1945 wieder pogromähnliche antijüdische Ausschreitungen stattfanden. Sie kamen aus einem Europa, in dem der Antisemitismus weiterhin virulent war. Vor diesem Hintergrund entstand in Israel der Satz: „Kommen Sie aus Deutschland oder aus Überzeugung“?

Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Einwanderer nach Israel in der Zeit um die Staatsgründung herum, also dem Zeitraum von dem hier die Rede ist, kam tatsächlich nicht aus zionistischer Überzeugung nach Palästina/Israel. Sie kamen, weil hinter ihnen die erloschenen Gasöfen lagen. Sie kamen, weil jene, die sie betrieben hatten und jene die das Betreiben der Gasöfen begrüßt, toleriert oder hingenommen hatten, immer noch da waren und sich anschickten die Herrschaft wieder an sich zu reißen.

„John Bull´s anderes Irland“ – wie die britische Mandatspolitik einen unlösbaren Konflikt schuf

Die Londoner „Times“ berichtet am 5. Januar 1946: „Generalleutnant Sir Frederick Morgan, der Chef der UNRRA-Truppen in Deutschland und ehemaliger stellvertretender Stabschef General Eisenhowers, sagte in Frankfurt, er habe einen Exodus von Juden aus Polen beobachtet: allesamt gut gekleidet, gut ernährt, gesund und „die Taschen voller Geld“.

Allesamt, sagte er erzählten die stereotype Geschichte von Drohungen, Pogromen und Grausamkeiten als Begründung dafür, warum sie Polen verlassen haben. Er wissen nicht wer ihren Auszug finanziert beziehungsweise in die jüdischen Taschen gesteckt habe. Er glaube dass die „Weltorganisation der Juden“ im entstehen sei und dass die Juden einen „ausgearbeiteten Plan für einen zweiten Exodus“ hätten – diesmal aus Europa“.

Dass dieser Bericht, den ich in dem Buch „Der Nichtjüdische Jude“ des frühen Antizionisten Isaak Deutscher fand, von antisemitischen Stereotypen gekennzeichnet ist, liegt auf der Hand. Das alleine macht ihn in dem uns beschäftigenden Kontext nicht interessant. Interessant ist die Tatsache dass er das Phänomen beleuchtet, Stimmung für eine Politik zu machen.

Einer Politik, die Arthur Koestler in seinem, leider nicht ins Deutsche übersetzen Buch, „Promise and Fulfilment – Palestine 1917- 1949“ (Versprechen und Erfüllung, Palästina 1917 bis 1949) in einer Kapitelüberschrift als „John Bull´s anderes Irland“ charakterisierte. Es war tatsächlich eine Politik, die man hätte erfinden müssen wollte man daran gehen, einen unlösbaren Konflikt zu schaffen. Hier nur einige Daten um den Hintergrund der Situation des Übergangs von der Mandatszeit zur Staatsgründung Israels grob zu skizzieren:

  • 1917 endet die vierhundertjährige Herrschaft des mit Deutschland und Österreich im ersten Weltkrieg verbündeten Osmanischen Reiches über Palästina. Großbritannien, als eine der Bündnisparteien des Westens, erobert und besetzt das Land im Jahre 1917 und teilt sich mit Frankreich den gesamten Nahen Osten in Einflusssphären auf. In diese Zeit fällt die als Balfour-Erklärung bekannte Entscheidung der englischen Regierung, „…die Schaffung einer jüdischen Heimstatt in Palästina wohlwollend zu betrachten.“ Sie wird von den Vereinigten Staaten darin unterstützt und diese Unterstützung wiederum mündet in der Erteilung des Mandats über Palästina an Großbritannien durch den Völkerbund.
  • 1920 erfolgt bereits die erste Einschränkung jüdischer Einwanderung durch die Einführung eines Quotensystem durch die englische Verwaltung in Palästina; 1921 wird ein totaler Einwanderungsstop verhängt.
  • 1922 werden mit Zustimmung des Völkerbundes zwei Drittel des Mandatsgebiets Palästina abgetrennt. Auf diesem Gebiet wird das haschemitische Königreich Transjordanien gegründet, um dort einen Alliierten Londons, den Emir Abdallah, als König zu etablieren. Dieser ist zuvor aus dem Hejaz, dem heutigen Saudi-Arabien, durch eine Stammesrevolte vertrieben worden, behält aber den Ehrgeiz, König aller Araber zu werden. Die Unterstützung der Briten, die seine Beduinen im ersten Weltkrieg als Kämpfer benötigt haben, ist ihm hierbei zugesichert worden.
  • 1928 war es Juden verboten, sich in Transjordanien, also östlich des Jordans, anzusiedeln.

Beschlüsse und Maßnahmen die darauf abzielten, die jüdische Zuwanderung zu bremsen, zu reduzieren und überhaupt zu entmutigen, erfolgten in schöner Regelmäßigkeit 1929, 1930, 1931, 1933, 1934, 1939, 1940 usw. Es handelte sich dabei um Einschränkungen und vorübergehende Unterbrechungen der jüdischen Einwanderung, Beschränkungen der Ansiedlung auf bestimmte Gebiete, Beschränkungen des freien Erwerbs von Grund und Boden usw.

In diesen Jahren fanden immer wieder Unruhen statt. Araber protestierten gegen die Juden, aber auch gegen die Engländer. Hinzu kam, daß jüdische Aktionen gegen die Mandatsmacht sich mit Terrorakten bewaffneter jüdische Gruppen und pogromähnlichen Ausschreitungen der Araber gegen die Juden abwechselten. In dieser Zeit des Übergangs, also in den Jahren 1945-1948 herrschten in Palästina chaotische Zustände. Die Mandatsmacht England bereitete ihren Rückzug vor. Sowohl Araber als auch Juden, unfähig einen Kompromiss auch nur anzustreben, bemühten sich um eine optimale Ausgangsposition, um das entstehende Machtvakuum zu füllen.

Diese Jahre brachten den Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen, der die Gründung eines jüdischen und eines palästinensischen Staates vorsah, aber auch den Ausbruch des Krieges zwischen Israel und den benachbarten arabischen Staaten, bekannt als der Unabhängigkeitskrieg von 1948. In diese Zeit fiel auch die Ankunft von Überlebenden der europäischen Hölle und das Bekanntwerden all dessen, was in Europa geschehen war.

Wenden wir uns einem weiteren Aspekt dieser Übergangszeit zu, nämlich der Bedeutung die Deutschland, oder besser die Erfahrung mit Deutschland in dieser Zeit, für die in Israel/Palästina lebenden Juden und Araber hatte. Die Quellen hierfür sind hauptsächlich deutsche, oder deutsch schreibende, Autoren, die einen Bezug zu Palästina beziehungsweise Israel in jenen Jahren hatten.

„Ich habe keine Illusionen mehr…“ – Deutsch-jüdische Schriftsteller im Israel der 30er Jahre

Arnold Zweig veröffentlichte 1932 den Roman „De Vriendt kehrt heim“, der als Fischer Taschenbuch erhältlich ist. Ich kann diesen Roman, der eigentlich vom ersten politischen Mord innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Palästina handelt, aus ganz aktuellen Gründen empfehlen. Liest man ihn heute, so könnte man auf den Gedanken verfallen, Arnold Zweig hätte Aspekte dessen beschrieben, was in den letzten Jahrzehnten unter dem Stichwort „Intifada“ bekannt wurde. Palästinensische Jugendliche die Steine auf Autos werfen tauchen ebenso auf, wie junge nationalistische Lehrer, die zu keinem Kompromiss fähig sind. Aber noch etwas anderes wird deutlich in diesem Roman.

De Vriendt, die zentrale Figur des Buches ist dem holländischen Dichter Jacob Israel de Haan nachgebildet. Er war einer aus der Gemeinschaft der orthodoxen Juden in Jerusalem. An einer Stelle des Romans ist der Dichter Jitzchak Josef de Vriendt damit beschäftigt eine alte römische Münze zu begutachten und die Inschriften zu entziffern, wobei er ein Selbstgespräch führt, in dessen Verlauf er folgendes sagt: „Wenn ich nur endlich dazu käme, mich mit einem großen Manuskript herumzuschlagen, statt mit den Thora-Feinden, den Heiden-Juden, diesen Hunden, die unseren ungeheuren Besitz verschleißen gegen – Demokratie!“

Dem nationalen und immer öfter auch weltpolitischen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern fügte sich, das wurde schon damals deutlich, ein weiterer hinzu: der Konflikt zwischen Säkularismus und religiösem Fundamentalismus. Dieser Konflikt, nicht neu, wird aber durchweg mit nur unzureichender Aufmerksamkeit wahrgenommen. Religiös motivierte Fundamentalisten gibt es, und ich spreche jetzt von Juden in Israel, nicht erst seit gestern. Zwar ist ihr Einfluss in den Jahrzehnten seit Gründung des Staates Israel stetig gewachsen, aber es hat sie eben, wie in dem Roman von Arnold Zweig bezeugt, schon vor der Staatsgründung gegeben.

Das stärkste Gegengewicht zu den religiösen Dogmatikern, oder Orthodoxen, wie sie heute im Allgemeinen, und ohne weitere Differenzierung genannt werden, waren Linke, Sozialisten, Kommunisten und andere Agnostiker. Prominent vertreten waren unter ihnen Juden aus Deutschland, die nicht unbedingt aus Überzeugung Israelis wurden. Interessanterweise haben aber Juden aus Deutschland, egal ob sie Zionisten waren oder nicht, keinen tiefen Einfluss auf das Geschehen und die Entwicklung des israelischen Staates gehabt. Sie haben zwar auf die anfängliche Gestaltung des israelischen Grundgesetzes und des Rechtswesens eingewirkt, waren aber kein langfristig wirksames Gegengewicht zur Orthodoxie.

Herbert Freeden, Korrespondent der Frankfurter Rundschau in Israel, berichtete über ein internationales Kolloquium zur deutsch-jüdischen Exil- und Emigrationsliteratur, das von der deutschen Abteilung der Hebräischen Universität in Jerusalem veranstaltet wurde. Auffällig ist die Feststellung, dass es zwischen dem Land und seinen deutschsprachigen Schriftstellern keine, jedenfalls literarische, Wechselwirkung gegeben hat.

Ich führe dies nicht nur an, weil ich Arthur Koestler und Arnold Zweig bereits genannt habe, sondern weil es eine ganze Reihe weiterer Autoren gibt, die in Deutschland und Europa eine größere Rezeption erfahren haben als in Israel, und die allesamt in der hier zur Debatte stehenden Periode in Palästina, beziehungsweise Israel, gelebt und geschrieben haben. Sie aber und jene, die wie sie aus Deutschland kamen, hatten keinen prägenden oder gar entscheidenden Einfluss auf die Umstände in dem uns hier interessierenden Zeitraum. Arnold Zweig und Arthur Koestler habe ich bereits genannt. Martin Buber gehört zweifellos zu den bekanntesten. Max Brod, der bis zu seinem Tod in Tel Aviv gelebt habende, überzeugte Zionist, schrieb keinen einzigen auf Israel bezogenen Roman. Leo Perutz, der zur Zeit wieder in der Bundesrepublik neu aufgelegt wird, gehörte ebenso zu dieser Gruppe, wie Wolfgang Hildesheimer, Jakov Lind und Else Lasker-Schüler. Stefan Heym kam in der Zeit des Übergangs nach Palästina um sich „umzusehen“, ehe er sich letztlich für die DDR entschied und Erich Fried wanderte nicht nur nach England aus, wie eine ganze Reihe anderer, – er wurde sogar zum militanten Antizionisten.

Arnold Zweig kam 1933 als Flüchtling aus Hitler-Deutschland nach Palästina. Heinz Kamnitzer zitiert in einer Biographie von Zweig dessen Briefwechsel mit Siegmund Freud. Bereits einen Monat nach seiner Ankunft schrieb Zweig: „Ich mache mir nichts mehr aus dem `Land meiner Väter´. Ich habe keine Illusionen mehr.“

Etwa zwei Jahre später formulierte er lapidar: „Zum ersten Mal stelle ich ohne Affekt fest, dass ich hierher nicht gehöre. Das ist nach zwanzig Jahre Zionismus natürlich schwer zu glauben. Nicht etwa persönlich enttäuscht bin ich, denn es geht uns hier recht gut. Aber alles ist irrig, was uns hierher brachte.“ Und im Jahre 1938 gibt er in einem weiteren Schreiben die Ursache für diesen Sinneswandel an: „Die Juden, gegen den Willen der arabischen Majorität ins Land gekommen, diese Juden sind unfähig gewesen, seit 1919 den guten Willen der Araber zu gewinnen[…]“

Der zweite Weltkrieg brach aus und Arnold Zweig blieb zunächst in Palästina, aus dem er schon 1938 wieder auswandern hatte wollen. Erst 1947 kehrte er nach Europa zurück, nach Deutschland, in die DDR. Heinz Kamnitzer erwähnt in seiner Zweig-Biographie, die unter dem Titel „Der Tod des Dichters“ im Jahre 1974 in der DDR erschienen ist, ein bezeichnendes Kapitel des Aufenthalts Zweigs in Palästina nicht: Arnold Zweig und Wolfgang Jourgau gaben eine deutschsprachige Zeitschrift mit dem Titel „Der Orient“ heraus, die wie Herbert Freeden berichtete, ihr Erscheinen einstellen mußte, ebenso wie die „Jüdische Weltrundschau“ unter der Leitung von Robert Weltsch, dem Autor des Autor des berühmten Leitartikels von 1933: „Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck“.

Selbst die deutschsprachige Tageszeitung „Jedioth Chadaschot“, auf deutsch: Neueste Nachrichten, wurde von der Tel Aviver Stadtverwaltung verboten, weil sie angeblich „eine politische Gefahr für die jüdische Sache“ war.

Arnold Zweig schrieb 1936 an Sigmund Freund: „Kleine Verhältnisse, noch verkleinert durch den hebräischen Nationalismus der Hebräer, die keine andere Sprache öffentlich zum Druck lassen.“ Nach der Einstellung des „Orient“ konnte Arnold Zweig, von Palästina aus, im November 1939 in der deutschsprachigen Zeitschrift „Die Gelbe Post“, die in Shanghai herausgegeben wurde, publizieren. Zur Erläuterung dieser Absurdität, die nur am Rande zum Thema gehört, muss man wissen dass Shanghai in jenen Jahren wohl der letzte erreichbare Zufluchtsort für jüdische Emigranten aus dem deutschen Machtbereich gewesen ist. Palästina war, wie wir wissen, durch Regelungen und Verbote der englischen Mandatsmacht für Juden praktisch verschlossen.

Etwa 30.000 Flüchtlinge kamen aus Deutschland, Österreich, Polen dem Baltikum und der Tschechoslowakei in Shanghai an. Unter ihnen ein Mann namens Julius Storfer, ursprünglich Jurist, ein Cafehausliterat und Schüler Freuds. Er gründete und veröffentlichte in Shanghai die deutschsprachige Zeitschrift „Die Gelbe Post“. Im Heft Nr. 7 dieser Zeitschrift, vom 1. November 1939 findet sich ein Nachruf von Arnold Zweig auf Siegmund Freud, der am 23. September 1939 in London starb. Arnold Zweig, wie gesagt, lebte damals in Palästina, in Haifa und konnte dort nicht in deutscher Sprache publizieren. Ich betone diesen Umstand deshalb so sehr, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass selbst in den fünfziger Jahren die deutsche Sprache in Israel eine Belastung darstellte. Menschen, die in der Öffentlichkeit deutsch (nicht jiddisch) sprachen, wurden nicht selten physisch angegriffen und zusammengeschlagen.

„Zionismus war ihnen fremd..“ – Antisemitismus und jüdischer Antizionismus

Die psychische Zäsur und die emotionale Krise, welche durch die Erfahrungen mit der deutschen Judenverfolgung entstand, ist nur allzu verständlich. Unverständlich dagegen erscheinen die Reaktionen jener, welche davon wussten und ihren Antisemitismus beibehielten – etwa der eingangs zitierte Sir Frederick Morgan – oder sich sonstwie blind und taub stellten.

In seinen Erinnerungen an seine Zeit in Palästina schreibt Wolfgang Hildesheimer: „[…] denn viele der Juden, die hier ihre geistige Heimat fanden, waren nicht freiwillig in Palästina, manche mussten erst lernen, sich überhaupt als Juden zu betrachten, und Zionismus war ihnen fremd… Die englischen Teilnehmer waren ohnehin gegen den Zionismus, weil sie meinten, die Juden gehören nach Europa. Dass sie von dort vertrieben waren, nahm man ungern und seltsam schwerhörig zur Kenntnis. Der Chefzensor Palästinas, im Zivilberuf Universitätsprofessor, sagte einmal zu mir: „Ihr Juden seid doch komische Leute. Ihr könnt alles, habt Kultur, ihr seid das Salz der Erde, und was wollt ihr? Ein Stück Land von der Größe Yorkshires“. Er war nicht der einzige der sich weigerte, die Situation zu erfassen.“

Wolfgang Hildesheimer lebte später bekanntlich nicht mehr in Israel. Seine Erinnerung aber trifft es auf den Punkt. Sie zeigt dass Zionisten und Nichtzionisten nach 1945, vor der Gründung des jüdischen Staates, sich weiterhin entweder mit Antisemitismus oder mit einem fast schon makabrem Unverständnis konfrontiert sahen. Ein Unverständnis das, pointiert gesagt, aus dem letzten Antizionisten einen Befürworter der Staatsgründung und der Existenz des jüdischen Staates machen konnte – und wohl auch gemacht hat.

Isaak Deutscher, Historiker der russischen Revolution und Biograph Trotzkis und Stalins, hat sich Zeit seines Lebens immer wieder mit dem Judentum beschäftigt. Isaak Deutscher, der sich selbst als Antizionisten bezeichnete, der nach der Staatsgründung persönlichen Kontakt mit Ben Gurion hatte, schrieb in einem Aufsatz im Jahre 1945 folgendes: „Meinen Antizionismus, der auf meinem Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung basierte oder, allgemeiner, auf meinem Vertrauen in die europäische Gesellschaft und Zivilisation, habe ich natürlich längst aufgegeben, denn diese Gesellschaft und diese Zivilisation haben es Lügen gestraft. Wenn ich in den zwanziger und dreißiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte ich womöglich geholfen einige Menschenleben zu retten…..“

Die Erfahrung von Auschwitz, präsentierte sich den, damals in der Zeit des Übergangs von der Mandatsherrschaft zum unabhängigen jüdischen Staat der dort lebenden Juden aber nicht nur in Form von überlebenden Flüchtlingen aus der Welt der Konzentrationslager. Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges im Jahre 1948 haben jüdische Einheiten in der Küstenebene und in der Nähe von Haifa Orte überrannt und eingenommen, in denen Deutsche gelebt hatten, die vor den jüdischen Truppen flohen.

Es waren die sogenannten Templersiedlungen. Dort lebten Deutsche die Ende des 19. Jahrhunderts aus religiösen Gründen aus Schwaben nach Palästina einwanderten. In den von ihnen verlassenen Häusern fanden sich Büros mit Papieren, die belegten, dass es dort noch bis 1948 funktionierende Ortsvereine der Auslands – NSDAP gegeben hatte. Aber auch die Rivalen um das von den Engländern zurückgelassene Machtvakuum, die Araber, hatten eine Verbindung zur Welt der Konzentrationslager.

„Freiheitsliebende Mohammedaner“ – Wie Nazi-Deutschland den palästinensischen Terror förderte

Am 2. November 1943 schickte Heinrich Himmler an den Grossmufti von Jerusalem, Haj Amin Al Husseini, aus Anlass des Jahrestages der Balfour-Erklärung folgendes Telegramm:

„Die nationalsozialistische Bewegung Großdeutschlands hat seit ihrer Entstehung den Kampf gegen das Weltjudentum auf ihre Fahne geschrieben. Sie hat deshalb schon immer mit besonderer Sympathie den Kampf der freiheitsliebenden Araber, vor allem in Palästina, gegen die jüdischen Eindringlinge verfolgt. Die Erkenntnis dieses Feindes und der gemeinsame Kampf gegen ihn bilden die feste Grundlage des natürlichen Bündnisses zwischen dem nationalsozialistischen Großdeutschland und den freiheitsliebenden Mohammedanern der ganzen Welt […] in diesem Sinne übermittele ich Ihnen […] Wünsche für eine glückliche Durchführung Ihres Kampfes bis zum sicheren Endsieg.“

Ein halbes Jahr zuvor hatte der Mufti in Radiosendungen von Rom aus amerikanische Staatsbürger arabischer Herkunft dazu aufgefordert, die Politik Roosevelts nicht zu unterstützen, weil bei einem Sieg der Alliierten, „die Juden Gebieter über die Reichtümer der Welt“ würden. In den Akten der Wehrmacht in Kiel fanden sich 1945 Unterlagen, die belegten, dass Deutschland die finanziellen Voraussetzungen für die arabischen Aufstände im Palästina der dreißiger Jahre geschaffen hatte. Die gleichen Dokumente belegen auch eine Vereinbarung zwischen Canaris, dem Chef der deutschen Abwehr, König Ibn Saud von Saudi Arabien und dem Großmufti über die Lagerung von deutschen Waffen in Saudi Arabien für den Mufti.

Lassen sie mich kurz auf eine Publikation verweisen, die zwar nicht von einem deutschen Autor stammt, sich aber inhaltlich auf die hier zur Debatte stehende Zeit Zeit bezieht. Das Buch „Oh Jerusalem“ von Collins und Lapierre, einem Autorengespann, das sich auf eine populäre Darstellung historischen Vorgängen spezialisiert hat, jedoch ohne auf die detaillierte Unterfütterung mit Quellenmaterial zu verzichten. In „Oh Jerusalem“ wird die beinahe unglaubliche Lebensgeschichte eines jungen Palästinensers erzählt.

Am 22. Februar 1948 sterben bei einem Sprengstoffattentat auf der Ben Jehuda-Straße 46 Menschen, 130 werden verletzt. Vorbereitet und durchgeführt hat diesen und eine Reihe weiterer Anschläge ein Mann namens Fawzi al Kutub.

Al Kutub, der sich Al Husseini bereits in dem dreißiger Jahren angeschlossen hatte, reiste während des zweiten Weltkrieges auf Einladung des Mufti von Jerusalem nach Europa, um dort an einem Ausbildungskurs der SS in Holland teilzunehmen. Nach etwa einjähriger Ausbildung erhielt er den Auftrag, einen Trupp von vier deutschen Saboteuren nach Palästina zu führen.

Als er sich diesem Befehl verweigerte, wurde er von der Gestapo an einen Ort gebracht, an dem sich ein junger arabischer Terrorist höchst merkwürdig ausnahm: ein Konzentrationslager in der Nähe von Breslau, voller jüdischer Häftlinge. Nur die persönliche Fürsprache des Mufti bei Himmler ersparte ihm das Schicksal seiner jüdischen Mithäftlinge, die allesamt in der Gaskammer ermordet wurden. Fawzi al Kutub wurde entlassen und wirkte bis Ende des Krieges an Rundfunkpropagandasendungen aus Berlin mit.

Nach dem Krieg gab er sich als jüdischer KZ-Häftling aus und gelangte auf einem Flüchtlingsschiff mit eintausendfünfhundert überlebenden Juden nach Palästina.

Ich gebe diese Geschichte auch deshalb wieder, weil ich ein weiteres Dokument des Mufti, das seine Haltung zur Judenvernichtung eindeutig belegt, zitieren will. Am 28. Juni 1943 sandte Al Husseini ein langes Protestschreiben an die ungarische Regierung. Er hätte erfahren, dass Pläne bestünden, eine Anzahl von Juden aus Ungarn nach Palästina auswandern zu lassen.

Dagegen protestierte der Mufti und führte am Ende seines Briefes folgende Bemerkung hinzu: „Aus diesem Grunde bitte ich Eure Exzellenz, mir zu gestatten, Ihre Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit zu lenken, zu verhindern, dass Juden aus Ihrem Land nach Palästina gelangen; sollte es Gründe geben, die es notwendig machen, sie [die Juden] zu entfernen, dann wäre es unerlässlich und unendlich vorzuziehen, sie in andere Ländern zu schicken wo sie sich unter aktiver Kontrolle befinden würden, wie zum Beispiel Polen, um so sich vor der von ihnen ausgehenden Gefahr zu schützen…“

Ich habe die Geschichte von Fawzi al Kutub aber auch deshalb wiedergegeben, weil die Dokumente über ihn aus dem Haus einer ehemaligen Klassenkameradin von mir stammen, deren Vater der Palästinensische Notable aus Jaffa war, der die Kapitulation des arabische Jaffa im Krieg von 1948 unterschrieb. Und es gibt noch einenweiteren Grund, für mich, dieser Geschichte eine gewisse Bedeutung beizumessen: In den 6oer Jahren arbeitete ich bei der Deutschen Welle in Köln. Zu meinen Vorgesetzten zählten Leute, die in den vierziger Jahren mit Fawzi Al Kuttub zusammengearbeitet hatten.

„Ein Teufelskreis von Hass und Rache …“ – Ausblick und Schluß

Ich habe versucht, einige Aspekte, welche die Zeit des Übergangs von der britischen Mandatsherrschaft hin zur Unabhängigkeit des jüdischen Staates Israel meines Erachtens maßgeblich beeinflusst haben, zu skizzieren. Zur Zeit dieses Übergangs stellten Juden europäischer Herkunft die überwiegende Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Palästinas dar. Die Startlöcher für die Machtübernahme waren besetzt durch frühe Vorkämpfer des Zionismus aus Osteuropa, insbesondere aus Russland, Polen und Litauen. Sie kamen aus zionistischer Überzeugung und hatten keine direkte Erfahrung mit der Judenvernichtung, wie sie in Deutschland und den von den Deutschen besetzten Gebieten erfolgt war.

Die übrige jüdischen Bevölkerung der damaligen Zeit setzte sich aus Menschen zusammen, die unmittelbaren Kontakt mit dieser Phase der Geschichte des europäischen und speziell des deutschen Antisemitismus gehabt hatten. Mag sein, dass dies mit ein Grund war, weshalb deutsche Juden, die größtenteils ganz andere Visionen von der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des jüdischen Staates hatten, keinen entscheidenden Einfluss in dieser Phase des Übergangs nehmen konnten. Sie waren, auch durch ihre historische Erfahrung, diskreditiert. Sie waren, wie ich bereits angeführt habe, sprachlos, insbesondere, was die innerjüdischen Auseinandersetzung zwischen Säkularismus und Orthodoxie angeht, wie sie sich schon in dem Roman von Arnold Zweig darstellte.

Erst nach dem Übergang von der Mandatszeit und nach der Unabhängigkeitserklärung setzte die Immigration der orientalischen, der sephardischen Juden, hauptsächlich aus Nordafrika ein. Dazu schrieb Isaak Deutscher 1954: „Die meisten orientalischen Juden sind in religiösen Fragen orthodox eingestellt und gehören manchmal zur Gefolgschaft fanatischer osteuropäischer Rabbis.“ – Damit sind wir aber schon beinahe bei der gegenwärtigen Problematik nicht nur des innerjüdischen, sondern auch des jüdisch-palästinensischen Konflikts angelangt. Der Bedeutung der religiösem Fundamentalisten und der Vermischung von Religion und Nationalismus im Nahen Osten.

Ich möchte deshalb mit einem weiteren Zitat von Isaak Deutscher enden: „Solange eine nationalistische Lösung des Problems verfolgt wird, sind Juden wie Araber dazu verdammt, sich in einem Teufelskreis von Hass und Rache zu bewegen […] die Araber warten nur auf eine neue Entwicklung im Nahen Osten, die ihnen die Möglichkeit bietet Israel zu zerstören […] Und Israel hofft, die arabischen Staaten möchten auf ewig so rückständig, nachlässig, korrupt und isoliert bleiben wie sie es zur Zeit des arabisch-israelischen Krieges von 1948 gewesen sind.“

© Peter Finkelgruen (1989, 2012)

Shanghai, Prag, Israel und Köln – Zum 70. Geburtstag von Peter Finkelgruen

1 Kommentar

  1. […] die Araber warten nur auf eine neue Entwicklung im Nahen Osten, die ihnen die Möglichkeit bietet Israel zu zerstören […]
     
    …und die vehement vorangetriebene sogenannte Zweistaatenlösung, die korrekt betrachtet eine Dreistaatenlösung für sog. british Palestine bedeuten würde, wäre ein Weg “auf eine neue Entwicklung“ zur Eröffnung solcher “Möglichkeit“! Genau darin liegt objektiv eine existenziell “zerstörerische“ GEFAHR – ALL bislang auf solchen Weg des Entgegenkommens Beschrittenes belegen dies ernüchternd!

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