Zum 100. Geburtstag von Rudolf Ekstein

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Grundsätze des „Brückenbauers“ in lebendiger Erinnerung und gelebtem Vermächtnis im Rudolf Ekstein Zentrum…

Von Eva Posch Bleyer

„Es ist die Beziehung, die heilt.“
„Grenzen sind nicht nur Hindernisse. Sie erzeugen im Menschen auch die Fähigkeit, innerhalb von Grenzen, mit Grenzen und durch Grenzen zu leben und zu wachsen.“
Aussagen Rudolf Eksteins

Der Gedanke des Brückenbauens zwischen zwei Kontinenten, Sprachen und Kulturen, zwischen psychotherapeutischen Schulen, Psychoanalyse und Pädagogik, aber vor allem das Brückenbauen zwischen Menschen mit divergierenden Lebenswelten spiegelt Eksteins Lebensthema. Grenzen zu überwinden war ein zentrales Anliegen Rudolf Eksteins, in mehrfacher Hinsicht.

Mit einem inneren Lächeln fällt mir die Gestaltung seines Begräbnisses ein, nicht besser könnten seine Lebensthemen abgebildet sein: War es Zufall? Oder doch in der Planung der Feierlichkeiten so bedacht?

Am 1. Mai 2005 fand das Memorial in Los Angeles statt. Annelotte Barta, in Begleitung von Madeleine Castka, beide Psychagoginnen im Rudolf Ekstein Zentrum, nahmen in Vertretung des Wiener Stadtschulrates, mehrerer Wiener Kliniken und anderer Institutionen daran teil.

Das war eigentlich jenes Datum – der „Tag der Arbeit“ wie dieser Tag früher hieß – an dem er zu Besuchen in Wien sein wollte. Am 4. Juli 2006, am Tag des Festes der Unabhängigkeit in Amerika, wurde ein Teil seiner Asche in seiner Heimatstadt Wien im Urnenhain des Zentralfriedhofes in einem ehrenhalber von Stadt Wien gewidmeten Grab beigesetzt. Es war eigentlich der Tag, an dem er nach seinen Besuchen in Wien wieder in seiner 2. Heimat – in Amerika – zurück sein wollte.

Das Mit-einander-in-Beziehung-bringen, wie z. B. der Wechsel zwischen zwei Heimatorten, hat zur Integration divergierender Anteile und dadurch zur Versöhnung geführt. Diese Fähigkeit Rudolf Eksteins war zum Prinzip seiner Arbeit geworden und begegnet uns in seinem Leben und seinem Lebenswerk auf eindrucksvolle Weise: das Integrieren, das Hereinholen von Ausgegrenztem…und es mit Hartnäckigkeit mutig immer wieder von Neuem zu versuchen.

Brücken-bauen und Grenzen-überwinden zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben und seine Lehre:

In geographischer, interdisziplinärer und institutioneller Hinsicht bis hin zum Mikrokosmos des einzelnen Individuums. Auf der Ebene der verschiedenen Professionen und Institutionen förderte er stets die professionelle Zusammenarbeit von Sozialarbeit, Medizin, Psychologie und Psychotherapie u. Pädagogik.

Psychoanalytische Pädagogik zu vertreten, weiterzuentwickeln, sie in der Begegnung mit „schwierigen“ Kindern zu leben und wieder nach Wien zu bringen war ihm stets ein besonderes Anliegen. Damit war er seiner Zeit weit voraus.

Rudolf Ekstein war und bleibt uns Lehrer und Mentor

Den Mikrokosmos des einzelnen Individuums, den Kern einer Fallgeschichte machte er uns PsychagogInnen in seinen Supervisionen während seiner jährlichen Wienbesuche (1970 – 1997) in seiner ganz besonderen Weise erfahrbar und verstehbar: mit assoziativen Bildern, Geschichten und Märchen, oft auch mit Vergleichen aus der Politik.

Rudolf Ekstein hat in seiner supervisorischen und therapeutischen Arbeit in Los Angeles gerne die Masken aus seiner Sammlung herangezogen. Diese Sammlung hat nach einer Stiftung seiner Kinder Jean und Rudi jnr. ihren Platz in unserem Zentrum gefunden. BesucherInnen des REZ stellen wir sie mit Freude und im Bewusstsein der Wertschätzung und des Vertrauens der Familie Ekstein vor. Seine Tochter und sein Sohn besuchen uns auch immer wieder mit ihren Familien.

Da sich die Ziele unserer Arbeit in den Leitideen Rudi Eksteins wiederfinden, bedeutet es uns Ehre und Verpflichtung, seinen Namen in der Bezeichnung unseres Zentrums führen zu dürfen. Wir erzählen einander immer wieder, wie viel wir von ihm lernen durften.


Rudolf Ekstein und seine Frau Ruth im Eingang des nach ihm benannten
Zentrums, Foto: Annelotte Barta

Grundsätze Rudolf Eksteins – Zusammengefasst aus seinem Lebenswerk:

1. „Es ist die Beziehung, die heilt“

Dieses Zitat ergänzt das Logo des Rudolf Ekstein Zentrums.

Rudi Ekstein bleibt uns Lehrer für die Umsetzung von Respekt und Wertschätzung in der Begegnung mit „schwierigen“ Kindern. Er hat uns Neugier und Offenheit in der Auseinandersetzung mit der Erlebniswelt und dem sozialen Umfeld dieser Kinder gelehrt und ermutigte uns immer wieder, die Welt aus ihrer Perspektive zu sehen.

Im einfühlsamen Bemühen um Verstehen und Verstanden werden hat er uns Wege aufgezeigt, für Kinder mit emotionalen und sozialen Problemen einen entwicklungsfördernden Raum zu ermöglichen.

Er lehrte uns, die Lebenszusammenhänge dieser Kinder mit einzubeziehen und uns auf deren Erfahrungswelt einzulassen, um verstehen zu können:

„Pädagogische Kompetenz besteht für Ekstein in der Bereitschaft, sich als Lehrerin an individuellen Bedürfnissen als Ausdruck des Entwicklungsalters zu orientieren und in der Fähigkeit, den Prozess mit dem Ziel „love of learning“ zu initiieren. (Zit. aus einem Beitrag der Mosaiklehrerin Christine Kratochvil, in „miteinander“- Integratiive Modelle an Wiener Schulen, echomedia Verlag, 2005).

Die Haltung der Wertschätzung, Echtheit und Anerkennung ermöglicht Vertrauen, ermöglicht Beziehung, in der unterrichtenden Tätigkeit wie auch in der Psychagogischen Betreuung. Dass sich „love of learning“ über „learning for love” entwickelt, haben die Ergebnisse der Hirnforschung in jüngster Zeit ja auch eindrucksvoll bestätigt. Schade, dass Rudi Ekstein diese neurowissenschaftliche Bestätigung seiner These nicht mehr erleben konnte, an seine „Wahrheit“ glaubten er wie auch wir ohnehin.

Es ist schön und sicherlich im Sinne Eksteins, dass wir unsere mittlerweile 35-jährige Erfahrung auch in Lehrerfortbildungen weitergeben dürfen z. B. zur Zeit durch Mag. Waltraud Perkonig und Ursula Pfeifer in ihrer wiederholt gut gebuchten Veranstaltung im REZ in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Wien: „Schwierige Kinder brauchen mehr…Verständnis und haltgebende Beziehungen“

Veröffentlichte Fallbeispiele von Psychagoginnen geben Einblick in ihre Arbeit an Wiener Pflichtschulen:

Annelotte Barta: Behandlung einer autistischen Störung im Rahmen der Psychagogischen Betreuung.. In: Zeitschrift für Individualpsychologie Heft 2/2002; Ernst Reinhard Verlag, München, Basel, S 108-123.

Annelotte Barta: „Emina und die Zahl 5, die Überwindung einer Lernhemmung“(in „miteinander“- Integrative Modelle an Wiener Schulen, echomedia Verlag, 2005).

Christine Tomandl: Über „Die Liga der Außergewöhnlichen“, Erfahrungen aus einer psychoanalytisch orientierten Therapie eines Jugendlichen mit erheblichen Verhaltensproblemen in der Schule, in Kinderanalyse www.kinderanalyse.de , 19. Jahrgang, Klett-Cotta, April 2011.

2. Selbsterfahrung und Reflexionsbereitschaft als Grundlage für professionelles, pädagogisches Handeln

Rudolf Ekstein wusste auch, dass es notwendig ist, Erfahrungen aus der jeweils eigenen Lebensgeschichte zu integrieren, um verstehen zu können. Die Selbsterfahrung – also das Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit war ihm ein wichtiges Anliegen – auch als wesentlicher Teil der LehrerInnenaus- und Fortbildung. Eine stabile Persönlichkeitsstruktur der PädagogInnen, Reflexionsbereitschaft und –fähigkeit sowie Rollenklarheit sind unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit mit Kindern. Supervision und berufsbegleitende Reflexion sichern professionelles Handeln.

Als Leiterin des REZ freue ich mich über das besondere Maß an Reflexionsbereitschaft der PsychagogInnen und der MosaiklehrerInnen: Es ist allen bewusst, wie wichtig die Aufarbeitung und Analyse von Fallverläufen nicht nur für den Entwicklungsprozess des Kindes, sondern auch für die eigene Professionalität sind. Mit Interesse investieren die KollegInnen die nötige Zeit – und Geld – gerne.

Wir freuen uns auch, dass es seit Herbst 2010 eine neue Ausbildung für die psychagogische Tätigkeit an den Wiener Pflichtschulen an der Universität Wien in Zusammenarbeit  mit den Pädagogischen Hochschulen Wien gibt:

Universitätslehrgang und Hochschullehrgang: Master of Arts (Psychagogik)

„Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen“

(ehemals Ausbildung zu Beratungslehrer/innen und Psychagog/innen)

Bei näherem Interesse verweisen wir auf die Homepage der PH Wien: www.phwien.ac.at/fortbildung/fb2.html

Unter „News“ und der Verlinkung folgend ist das Curriculumzu lesen.

Weitere Informationen zur neuen Ausbildung in:

heilpädagogik, Fachzeitschrift der Heilpädagogischen Gesellschaft Österreich, 54. Jahrgang, Heft 4, September 2011, mit Beiträgen von Dr. Ernst Tatzer, Ao Univ. – Prof. Dr. phil. Wilfried Datler, Annelotte Barta und Christine Tomandl, RR Richard Felsleitner und Ulrike Ressel.

3. Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Rudolf Ekstein war überzeugt davon, dass nur das Zusammenwirken der Bereiche Pädagogik, Sozialarbeit und Psychotherapie, sowie Medizin und Psychologie eine nachhaltige Änderung eines „verletzten Systems“ bewirken kann.

Wir streben die interdisziplinäre Zusammenarbeit in jedem Einzelfall an und halten die dafür notwendigerweise aufgebrachte Zeit für gut investiert. Natürlich ist unser Bestreben von der Bereitschaft und den Ressourcen des Gegenübers abhängig.

Diese Grundsätze passten gut zum Auftrag und den Aufgaben der PsychagogInnen und des Mosaikmodells, dem 1992 von Fr. Dir. Gertraud Schimak gegründeten Modell, das Schulneulingen mit emotionalen und sozialen Problemen Unterstützung, Begleitung und Beschulung anbietet. Als Ausdruck der Wertschätzung und weil es eine Herausforderung bedeutet, diesem Vorbild an gelebter Werthaltung gerecht zu werden, baten Dir. Schimak und das Team des Sonderpädagogischen Zentrums für integrative Betreuung um die Zustimmung Rudolf Eksteins, das Zentrum nach ihm benennen zu dürfen.

Er überlegte, fragte nach, besuchte das Zentrum 1997, bevor er mit Freude seine Zustimmung gab und es dann 1998 zur Namensgebung kam.

Seiner Haltung, seinen Ideen und Utopien, seinem Vermächtnis, fühlen wir uns verpflichtet: Wir bemühen uns, Rudolf Eksteins Prinzipienim Sinne der eingangs erwähnten Zitate in der täglichen Arbeit mit den Kindern, den Bezugspersonen und in der vernetzenden Tätigkeit umzusetzen.

Vielleicht wird durch neue Konzepte der LehrerInnenausbildung – die derzeit in Österreich heftig diskutiert wird – ein kontinuierlicher wissenschaftlicher und theoretischer Austausch auf einer neuen Ebene möglich. (Bisher findet die Ausbildung für PflichtschullehrerInnen ausschließlich an der PH statt.)

Wir vertreten ein ganzheitliches Menschenbild. Wir treten für soziale Gerechtigkeit ein.

Wir beobachten gesellschaftspolitische Entwicklungen und beziehen Stellung für die Einhaltung und Umsetzung von Kinder- und Menschenrechten.

Zur Zeit setzen wir uns intensiv mit dem Thema „Inklusion“ als Weiterentwicklung von „Integration“ auseinander. Besonders auch in Hinsicht darauf, dass Kinder und Jugendliche mit emotionalen und sozialen Problemen mit ihren Bedürfnissen und ihrem Recht auf Förderung und Unterstützung Beachtung finden und die nötigen Ressourcen zuerkannt bekommen.

Wir, das Team der PsychaggogInnen und der MosaiklehrerInnen und die Leiterin werden das Bild des Brückenbauens weiterhin in uns und im REZ lebendig halten. Seine grundlegenden „Wahrheiten“ zeigen uns immer wieder den richtigen Weg und stärken uns in unserer täglichen Arbeit mit „schwierigen“ Kindern und dem Lösen von Problemen.

Eva Posch Bleyer (Sonderschuldirektorin)
Leiterin des Rudolf Ekstein Zentrums

Zur Zeit werden über 2000 PflichtschülerInnen von 50 PsychagogInnen und 12 Ambulanten MosaiklehrerInnen an Wiener Pflichtschulen betreut.
18 SchülerInnen werden in der Schuleingangsphase in 3 Mosaikklassen unterrichtet und betreut.
Psychagogische Betreuung und die Arbeit im Mosaik-Modell

wirken gewaltpräventiv

durch

Raum und Zeit für den Aufbau verlässlicher Beziehungen

auf Grund regelmäßiger Anwesenheit und kontinuierlicher Begleitung von Prozessen

Grundsätze unserer Arbeit:

  • wertschätzende Haltung und Achtsamkeit in der Begegnung mit SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen und anderen am Schulgeschehen beteiligten Personen
  • hohe Reflexionsbereitschaft, Offenheit und Klarheit in der Kommunikation
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung

Psychagogische Betreuung  an Wiener Pflichtschulen

PsychagogInnen bieten kontinuierliche Betreuung für SchülerInnen mit emotionalen und sozialen Problemen, bei Konflikten und Gewaltproblemen im schulischen und/oder familiären Kontext, sowie  Beratung für Erziehungsberechtigte, LehrerInnen und andere Bezugspersonen

Teil des Arbeitsfeldes ist die Vernetzung mit psychosozialen Institutionen.

Modell Mosaik für Kinder mit Verhaltensproblemen in der Schuleingangsphase

Mobiles Mosaikteam: Abklärung und Beratung für Schulneulinge und SchülerInnen bis zum Ende der 2. Schulstufe

Mosaikklassen für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung

Ambulante MosaikklassenlehrerInnen unterstützen die Integration/Inklusion von Kindern mit Verhaltensproblemen in der Stammklasse

Spezielle Angebote:

Projekt Gewaltprävention „Miteinander statt gegeneinander“, Beratung für KlassenlehrerInnen sowie themenzentrierte Workshops mit Klassen

Beratung in Krisen (BIK): Hilfestellung bei schwierigen Situationen im System Schule, Supervision

LehrerInnenfortbildung in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule

Zielsetzung:

Aus dem Verstehen, dass Verhaltensauffälligkeit und Anwendung von Gewalt der Ausdruck von darunter liegenden Problemen ist, lassen sich Lösungsmöglichkeiten in einer Halt gebenden Beziehung gemeinsam erarbeiten.

Im Sinne unseres Mentors Rudolf Ekstein gilt es vor allem eine Beziehung herzustellen und zu gestalten, in der sich das Kind, der/die Jugendliche eigenständig wahrnehmen und reflektieren kann, Sprache für Gefühle und Impulse findet und neue Handlungsmöglichkeiten erproben kann.

Dies stärkt die Motivation zur Bewältigung von Herausforderungen und Konflikten, und  fördert, dass das Kind, der/die Jugendliche schließlich Verantwortung für sich und sein/ihr Handeln im sozialen Kontext übernehmen kann.

Qualitätssichernde Maßnahmen

  • Kleinteam / Intervision
  • berufsbegleitende Reflexion (Intervision)
  • berufsbegleitende Supervision (Fallbesprechungen)
  • Tutorensystem (erfahrene PsychagogInnen beraten und begleiten NeueinsteigerInnen)
  • Einsatzplanung (für ambulante MosaikklassenlehrerInnen)
  • Fortbildungen (gemeinsam und individuell)
  • themenzentrierte Arbeitsgruppen
  • Falldokumentationen, Evaluationsberichte
  • Jahresbericht (Statistik, Falldokumentation)

Neue Ausbildung:

Universitätslehrgang und Hochschullehrgang: Master of Arts (Psychagogik)

„Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen“

(ehemals Ausbildung zu Beratungslehrer/innen und Psychagog/innen)

Kontakt Universität Wien: alexandra.bisanz (at) univie.ac.at

 

„In einem vertrauensvollen Klima kann bei allen Beteiligten das Zutrauen in die eigene Kraft wachsen“
Eva Posch-Bleyer

Themenschwerpunkt Rudolf Ekstein

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