Frischer Wind in Israels Innenpolitik

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Fernsehmoderator Jair Lapid stürzt sich in die Politik und bringt laut Umfragen das Gefüge der Machtblöcke in Israel durcheinander. Ohne eine Partei gegründet und sein politisches Programm verraten zu haben, prophezeien ihm die Meinungsforscher sieben oder gar zwanzig Sitze in der Knesset bei den nächsten Neuwahlen – je nach Umfrage. Die große Frage ist, ob er die seit 2001 stabile Vormacht des „rechten Blocks“ brechen könnte, die Koalition Benjamin Netanjahus mitsamt frommen und rechtsgerichteten Parteien…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 9. Januar 2012

Neuwahlen sind am Horizont noch nicht zu erkennen. Netanjahu verfügt über eine der stabilsten Regierungen der Geschichte Israels. Aber ein wenig Wahlkampfstimmung hängt in Israel immer in der Luft, da noch nie eine israelische Regierung die volle Kadenz von vier Jahren durchgestanden hat.

Jair Lapid, 1963 in Tel Aviv geboren, ist nicht nur ein beliebter Fernsehstar. 2005 landete er bei einem populären Wettbewerb auf Platz 36 unter den „200 größten Israelis aller Zeiten“. Sein Vater Josef „Tommy“ Lapid war ebenso einer der bekanntesten politischen Kommentatoren und sprichwörtlicher Querulant, bis er seien Platz vor den Fernsehkameras räumte und die weltlich ausgerichtete Schinui-Partei gründete. Wie ein Meteor erhielt Schinui bei den Wahlen 1999 sechs Sitze in der Knesset von insgesamt 120 und bei den darauffolgenden Wahlen 15 Sitze. Schinui war ein Gegengewicht zu den frommen und orthodoxen Parteien. Sie befürwortete eine weltlich-liberale Weltanschauung. Aber so wie Schinui binnen weniger Jahre mit ihren 15 Sitzen zur drittgrößten Kraft in Israel geworden war, verschwand sie zersplittert und zerstritten bei den Wahlen 2006 von der Bildfläche.

Sohn Jair Lapid genießt dank seines Vaters „Tommy“ Lapid Vorschusslorbeeren und schwimmt auf der Welle der zur Zeit modischen Spannungen zwischen weltlichen und orthodoxen Juden in Israel. Der junge Lapid gilt als „links“. Doch wie er zu den umstrittenen politischen Themen steht, ist vorläufig ein Rätsel. Es spricht für sein Charisma, dass die potentiellen Wähler ihm bis zu 20 Abgeordnete wünschen.

Lapids Ankündigung, „in die Politik“ gehen zu wollen, hat unter gestandenen Politikern Unruhe ausgelöst. Auf die Schnelle wurde durchgesetzt, dass auch Journalisten und nicht nur Militärs und Staatsbeamte eine mehrmonatige „Abkühlungsphase“ einhalten müssten. Es gehe nicht an, dass ein angehender Politiker weiterhin als „Journalist“ eine Talkshow im Fernsehen moderiert und kostenlos für seine Ansichten Reklame machen könne. Wegen des öffentlichen Drucks hat Lapid inzwischen seinen lukrativen Posten beim zweiten TV-Kanal aufgegeben.

Obgleich die Umfragen jetzt, ohne anstehende Wahlen, eher ein theoretisches Gedankenspiel sind, wird schon heftig gerechnet. Lapid werde mutmaßlich viele Stimmen der Kadima-Partei wegnehmen. Kadima ist heute die größte Partei Israels. Sie hatte es unter Zipi Livni nach den letzten Wahlen aber nicht geschafft, eine regierungsfähige Mehrheit zu erlangen. Kadima ist von dem seit sechs Jahren im Koma liegenden Ariel Scharon gegründet worden, um 2005 den Rückzug aus dem Gazastreifen durchzusetzen. Doch blieb die Partei ideologisches Sammelsurium, mit linken wie rechten Politikern des politischen Spektrums Israels. Unter der eher farblosen Oppositionschefin Livni verlor die Partei ihre Popularität und dürfte nur noch 10 Mandate erhalten.

Ehud Barak, heute Verteidigungsminister und früherer Vorsitzender der einst allmächtigen Arbeitspartei, werde laut Umfragen nicht einmal die zweiprozentige Sperrklausel überwinden. Deshalb kursieren Gerüchte, wonach der nationalkonservative Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem Sozialisten Barak einen sicheren Platz auf der Liste der Likudpartei reservieren wolle.

Wenig Hoffnung besteht auch für die sozialistische Arbeitspartei und die linke Meretzpartei. Deren traditionelle Wähler könnten teilweise zu Lapid überlaufen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor in Israels Innenpolitik ist der charismatische Arieh Derri. Der führte die orientalisch-fromme Schasspartei, bis er wegen Korruption ein paar Jahre im Gefängnis verbringen musste. Derri plant offenbar ein come back, aber mit eigener Partei. Deren sechs vorausgesagten Mandate würden auf Kosten der Schasspartei gehen. Obgleich orthodox gilt Derri in politischen Fragen als „links“, sodass die Kombination Lapid und Derri die Vorherrschaft des konservativen Likudblocks unter Netanjahu und seiner Koalitionspartner brechen könnte.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com