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„Umkehr der bisherigen Iran-Politik“

Die Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik lädt den iranischen Vize-Wirtschaftsminister zu sich ein…

Von Matthias Küntzel

Als „eine Schande“ bezeichnet die Deutsch-Iranerin Saba Farzan das „Expertengespräch“, das die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik am morgigen Mittwoch, den 26. Oktober 2011 in der Berliner Rauchstraße 17, dem früheren Amtssitz Alfred Rosenbergs und dem heutigen Haus der DGAP, durchführen will: Hier soll der Vize-Wirtschaftsminister des iranischen Regimes, Mohammad Reza Farzin, mit dem außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Stinner, über „Bereiche“ diskutieren, in denen, so die Einladung, „die [deutsche] Zusammenarbeit mit dem Iran vorsichtig ausgebaut werden kann.“ Das Aktionsbündnis „Stop the Bomb“, das über diese Veranstaltung erstmals berichtete, wirbt für eine Protestkundgebung vor Ort.1

“Ausbau der Zusammenarbeit” mit einem Regime, das dem jüngsten UN- Menschenrechtsbericht zufolge in 2010 mehr als 300 geheime Exekutionen im Gefängnis von Mashhad und in 2011 mehr als 200 offizielle Hinrichtungen durchführen ließ; das Gefangene foltert, Minderheiten verfolgt und Künstler und Journalisten brachial unterdrückt?2

„Ausbau der Zusammenarbeit“ mit einer Regierung, deren Menschenrechtsverletzungen auch die Europäische Union noch diesen Monat mit Sanktionen ahndete und dessen Griff zur Bombe die Regierungschefs in Washington, Paris und London jüngst wieder zu dem Aufruf veranlassten, den Druck auf Teheran zu erhöhen?3

„Rational“ betrachtet ergäbe solch ein „Verhalten einfach keinen Sinn“, protestiert die Soziologin Saba Farzan in ihrem Offenen Brief an Prof. Eberhard Sandschneider, dem Forschungsdirektor der DGAP. Dem widerspricht jedoch das 30-seitige Analysepapier, das die DGAP im Oktober 2011 zur Perspektive westlicher Iranpolitik veröffentlichte.

Darin fordert die DGAP „eine Umkehr der bisherigen Iran-Politik“ und „eine umfassende Zusammenarbeit in unterschiedlichen Bereichen“ mit Iran. „An Stelle einer zu engen Fokussierung auf die Atomfrage“ sei „es nun um so entscheidender, dass die USA und ihre Verbündeten den außenpolitischen Druck nicht weiter erhöhen, sondern im Gegenteil Druck abbauen“ und Sanktionen aussetzen.4

Diese Orientierung setzt die Akzeptanz der iranischen Bombe und die Hinnahme des iranischen Terrors voraus. Auf beiden Gebieten tat sich Prof. Eberhard Sandschneider, der Herausgeber des jüngsten Analysepapiers, hervor. „Man darf nie Moral mit strategischen oder wirtschaftlichen Interessen vermischen“, erklärte er 2009 dem Berliner Tagesspiegel. „Iran wird ein Nuklearstaat werden, ohne dass der Westen dies verhindern kann“, zitierte ihn kurz darauf auch der Spiegel.5

Dementsprechend selbstverständlich geht die jüngste DGAP-Analyse von der Existenz der iranischen Atombombe aus, einer Bombe, die man hier – im Kontrast zu allen sonstigen Forschungspublikationen der westlichen Welt – mit positiven Attributen versieht:

“Der nächste Schritt zur militärischen Nutzung könnte dem Iran als Atommacht Großmachtstatus und damit internationale Anerkennung und Respekt verleihen. Schließlich verspräche die Herstellung von Atomwaffen und deren Trägersysteme ein hinreichendes Abschreckungspotential gegenüber äußeren Aggressoren und damit Sicherheit.”6

Professor Sandschneider, der zwischen Moral und wirtschaftlichen Interessen so säuberlich trennt, als habe es unternehmerische Erträge aus der Zyklon B-Produktion nie gegeben, wird bei dem bevorstehenden Besuch des iranischen Regierungsmitglieds die Moderation übernehmen und einem Bundestagsabgeordneten das Wort erteilen, der das Postulat vom Vorrang der Ökonomie offenkundig teilt.

Dies zeigt zum Beispiel Rainer Stinners Antwort auf die Frage, warum die FDP die iranischen Revolutionsgarden nicht auf die europäische Schwarze Liste setzen will. „Die Aufnahme der Revolutionswächter in die EU-Terrorliste wäre das falsche Instrument“, erwiderte er. „Denn die Revolutionswächter kontrollieren ein Drittel der iranischen Wirtschaft.“ Kämen sie auf die Terrorliste „so hätte das faktisch ein großflächiges wirtschaftliches Embargo zur Folge.“ Dies aber sei weder im Interesse Deutschlands noch der EU.7

Ob Rainer Stinner auch jene „strategischen Interessen“ teilt, die Prof. Sandschneider „nie mit Moral“ vermischen will, steht dahin. Immerhin zeugen sowohl das DGAP-Analysepapier als auch die geplante Veranstaltung mit dem iranischen Regierungsvertreter, dass „das nationale Netzwerk für deutsche Außenpolitik“, so die Selbstdarstellung der DGAP, eine Abwendung von der Iranpolitik des Westens empfiehlt – eine Abwendung, wie sie im Falle Libyens kürzlich noch auf massiven publizistischen Widerstand stieß.

Als im März dieses Jahres der deutsche Außenminister bei einer UN-Resolution über Libyen zu den westlichen Verbündeten auf Distanz ging und mit Russland und China paktierte, wurde dieser heftig kritisierte Vorgang oft als Wahlkampfmanöver eines untergehenden Parteiführers abgetan.

Dass dem nicht so war, sondern dass bereits die Libyen-Entscheidung ein „Ausdruck langfristiger Veränderungen der außen- und sicherheitspolitischen Orientierung Deutschlands“ gewesen ist – darauf wies am 24. Oktober 2011 der Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Seibel in einem ganzseitigen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hin.

Wenn das Auswärtige Amt, so Seibel, im Zusammenhang mit der Libyen-Entscheidung, von „neuen Kraftzentren der Welt“ spreche, mit denen „man ,strategische Partnerschaften‘ als zwingend notwendige Bausteine einer Weltregierung eingehen müsse“, dann sei dies eine Folge der „latente(n) Scharnierstellung Deutschlands zwischen EU und Nato einerseits und den nichtdemokratischen Großmächten Russland und China andererseits“ und ein Indikator für die „deutsche Neigung, aus der geopolitischen Mittellage den größtmöglichen Profit zu ziehen.“

Vor diesem Hintergrund erscheine „trotz aller Lippenbekenntnisse … eine ,wertgebundene Außenpolitik‘ wenig attraktiv, weil sie aufwendig ist, innenpolitisch wenig Unterstützung findet und außenpolitisch zu Spannungen mit den ,neuen Kraftzentren in der Welt‘ führen kann.“8

Vielleicht auch zu Spannungen mit dem „neuen Kraftzentrum“ Iran, das sich „heute im Gegensatz zu 2002/2003 in einer strategisch deutlich besseren Situation“ befindet, wie das DGAP-Analysepapier betont?

Wolfgang Seibel hat seine Analyse auf deutsche Partnerschaften mit den traditionellen „neuen Kraftzentren der Welt“ – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – beschränkt. Dass die deutschen Iran-Diplomatie seinen Befund bestätigt, habe ich an anderer Stelle gezeigt.9

Ob die neue Außenpolitik aber „im Kern auf einem Konsens der politischen Klasse des Landes beruht“, wie Professor Seibel in seiner Darstellung insinuiert, ist zumindest im Falle des Iran noch nicht ausgemacht. Denn es fällt auf, dass die DGAP den Besuch des iranischen Vizeministers auf ihrer Homepage verschweigt. Von dieser Veranstaltung sollte offensichtlich nur ein bestimmes Segment „der politischen Klasse“ erfahren.

Und in der Tat ist „rational betrachtet“ eine Politik, die den „Ausbau der Zusammenarbeit“ mit dem Regime in Teheran mit dem „deutschen Interesse“ gleichsetzt, nur für ein bestimmtes Segment deutscher Außenpolitiker attraktiv: Jenem nämlich, das im Verfolg einer zynischen und abenteuerlichen Idee einen hohen Preis zu zahlen bereit sind.

Gewiss, der bevorstehende Besuch des iranischen Regierungsvertreters bei der DGAP ist eine „Schande“. Mehr aber noch ist er eine Selbstoffenbarung.

  1. http://de.stopthebomb.net/de/dgap.html; hier befindet sich auch ein Briefwechsel zwischen Ulrike Becker (Stop the Bomb) und Paul Freiherr von Maltzahn, dem geschäftsführenden stellvertretenden Präsidenten der DGAP, über diese Veranstaltung. []
  2. Nikola Krastev, UN Report Highlights Irans’s Secret Executions, Radio Free Europe, October 21, 2011. []
  3. Associated Press, EU expands sanctions against Iran over human rights abuses, October 10, 2011; Hurriyet Daily News, Europe signals more sanctions on Tehran, October 19, 2011. []
  4. Simon Koschut, Engagement ohne Illusionen? Die Iran-Politik der USA unter Barack H. Obama, DGAP-Analyse, Oktober 2011, No. 3, S. 20ff. []
  5. Im Strategiestau, in: Der Spiegel, 40/2009, 28. September 2009 sowie Jan Oberländer, Made in Germany für Diktatoren, in: Tagesspiegel, 21. Juni 2009. []
  6. Simon Koschuf, a.a.O., S. 20. []
  7. Antwort von Dr. Rainer Stinner auf eine schriftliche Anfrage von Dr. Stephan Grigat (Wien) vom 17. Dezember 2009. []
  8. Wolfgang Seibel, Prinzipienlosigkeit als Prinzip, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Oktober 2011, S. 7. []
  9. Siehe meinen Beitrag „Berlin lässt iranische Bank in Hamburg fallen“ vom 15. Mai 2011 sowie mein Buch „Die Deutschen und der Iran“, Berlin 2009. []