Korach

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Parascha 385. Ansprache für Freitag, den 24. Juni 2011…

Von Prof. Dr. Daniel Krochmalnik, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

Demagogen geben sich als Anwälte der Benachteiligten. Sie „sehen“ ihnen, wie sich der Reformator Martin Luther ausdrückte, „auf das Maul, wie sie reden“ und, „hämmern“ ihnen, mit den Worten des kommunistischen Agitators, Karl Liebknecht, ihre Botschaft ein, „bis der Nagel festsitzt“. Hitler, der sich für einen unwiderstehlichen Volksredner hielt, beschrieb in Mein Kampf die Kunst der demagogischen Verführung durch einen Vergleich der Masse mit einem schwachen „Weib“, das sich gerne dem starken Demagogen hingibt. Also auch in diesem Punkt verriet er seinem Volk, was er mit ihm vorhatte.

Die Bibel, die wortgewaltigste Predigt sozialer Gerechtigkeit, hegt allerdings ein tiefes Misstrauen gegen Demagogen. Ihr Prototyp ist Korach, nach dem unser Wochenabschnitt benannt ist. Der Anfang des Abschnitts erzählt, wie sich Korach und seine Leute gegen Moses und Aron zusammentun: „Korach (…), Nachkomme Lewis, Datan und Awiram (…), Nachkommen Rubenssie erhoben sich gegen Moses, sie und zweihundertfünfzig Männer von den Israelssöhnen, Fürsten der Gemeinde, von der Versammlung berufene, namhafte Männer. Sie versammelten sich gegen Mose und Aron und sprachen zu ihnen: Ihr nehmt euch zu viel heraus, alle in der Gemeinde sind Heilige (Kedoschim) und in ihrer Mitte ist der Herr; warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Herren. (Num 16, 1 – 4).“

Luther übersetzt das Wort, mit dem die Bibel Korachs „Gefolgschaft“ oder „Gemeinde“ (Eda, Kahal) bezeichnet, mit „Rotte“ – was an einen wilden Haufen denken lässt. Doch die Schrift unterstreicht die edle Herkunft und die hohe Stellung der Rebellen. Die jüdische Tradition zeichnete Korach als eine Art Krösus. Im Jiddischen gibt es den Reim: „rach wie Koirach“, d. h. „so reich wie Korach“. Obwohl die Argumente Korachs basisdemokratisch klingen: „alle in der Gemeinde sind Heilige (Kedoschim), und in ihrer Mitte ist der Herr“, handelt es nach den Stammbäumen zu urteilen, um eine aristokratische Fronde. Der Levit Korach, der aus der gleichen Familie wie Moses und Aron stammte (Num 3, 19) beanspruchte das Priesteramt (Num 16, 10), Datan und Awiram, die vom erstgeborenen Sohn Jakobs abstammten, verlangten Rücksicht auf ihr Vorrecht (Num 16, 14). Sie werfen Moses und Aron Aus also aus Machtgier Machtmissbrauch vor. Dazu bedienen sie sich des populistischen Arguments, dass die Israeliten nach Gottes eigenen Worten ein „Volk von Priestern“ (Mamlechet Kohanim, Ex 19, 6) und daher alle gleich heilig seien.

Moses durchschaut das fadenscheinige Argument und erinnert in seiner Replik an die Privilegien der Frondeure: „Höret doch ihr Söhne Levis!“, sagt er: Ist es euch zu wenig, dass der Gott Israels euch von der Gemeinde Israels geschieden hat, so dass ihr zu ihm hintreten dürft, um für die Wohnung des Herren die Diener zu sein und vor der Gemeinde zu stehen, um für sie Dienst zu verrichten. Dass er dich und alle deine Brüder, die Söhne Lewis hat herantreten lassen – und ihr verlangt noch das Priesteramt!? Du und dein ganzer Anhang, ihr versammelt euch also gegen den Herren, denn was ist Aron, dass ihr wider ihn murrt? (Num 16, 9 – 11). Moses darf man glauben, dass es ihm nicht um Macht und Ehre ging. Die Bibel schildert ihn als einen Ausbund an Bescheidenheit, er „war“, sagt sie wörtlich, ein sehr demütiger Mann (Anaw Me’od), mehr als irgend ein Mensch auf Erden“ (Num 12, 3). Auf die Führungsposition hatte er sich nicht beworben, er hat sie vielmehr nur höchst widerwillig angenommen. Bei seiner Berufung verweigert er sich unter anderem mit dem Argument, dass er ein zu schlechter Redner und für den großen Auftritt am Hof des Pharao völlig ungeeignet sei: „Ach, Herr, hatte er damals gesagt, ich bin kein Mann der Rede (Isch D’warim), weder seit gestern noch seit vorgestern, noch seit du mit deinem Knechte redest; denn ich habe einen schweren Mund und eine schwere Zunge (Chwad Pe Uchwad Laschon Anochi)“.

Aber Gott hatte nichts hören wollen: „Wer hat dem Menschen einen Mund geschaffen“, fragte er Moses, oder wer macht stumm oder taub, sehend oder blind? Bin ich es nicht der Herr? So gehe denn hin, ich werde mit deinem Munde sein und dich lehren, was du reden sollst.“ Moses hatte nicht locker gelassen: „Ach, Herr, sprach er, sende doch, wen du nur senden willst!“ „Da“, so erzählt die Bibel“, entbrannte der Zorn des Herren über Moses und er sprach: Ist nicht Aron dein Bruder, der Levit da? Ich weiß, dass er reden kann (…); Rede mit ihm und lege ihm die Worte in den Mund, und ich will mit deinem und mit seinem Munde sein und euch lehren, was ihr tun sollt. Er soll für dich zum Volk reden, so dass er dir zum Munde dienen soll.

Moses, dessen letzte Ansprache immerhin ein ganzes Buch, eben das Buch „Reden“ (D’warim) füllt, schätzte sich selber nicht als „Mann der Rede“ (Isch D’warim) ein. Nicht nur wegen mangelnder rhetorischer Begabung, er scheint wirklich einen Sprachfehler gehabt zu haben. Der mittelalterliche Bibelkommentator Raschi übersetzt den Ausdruck „schwerer Mund“, mit dem Moses sich in der Berufungsgeschichte zu disqualifizieren versucht, mit dem altfranzösischen Ausdruck: „balbü“, „stottern“. Das ist bezeichnend, der Fürsprecher der Sklaven und Armen, der Witwen und Waisen, kurz der Gebrochenen dieser Erde (Ex 22, 21- 23, Deut 24, 14-18 u. ö.) war ein Stotterer! Damit ist zumindest sichergestellt, dass der Prophet ein Lautsprecher Gottes bleibt.

Worin besteht der Unterschied zwischen dem Demagogen und dem Propheten? Treten nicht beide als Anwälte der Benachteiligten auf? Aber der Volkstribun bedient sich des Volkes zu seinem Nutzen, der Prophet dient  dem Volk zu seinem eigenen Schaden; der Demagoge redet dem Volk nach dem Mund, der Prophet, weist es zurecht. Es ist nicht immer leicht, den Unterschied zwischen wahren und falschen Propheten zu erkennen. Die Bibel hat die Schönredner und Gutwettermacher im Verdacht (Mi 3, 5-8; Jer 28, 8-9), die wahren Prophet sagen meistens schlechte Aussichten voraus und hoffen auf Besserung.

Radio Schalom. Sendung des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern auf Bayern 2, Freitag um 15:05 Uhr