Image ist wichtig. Nach diesem Motto bemüht sich die rechtsextreme Szene in Deutschland in letzter Zeit, der Öffentlichkeit ein neues Antlitz zu präsentieren. Da kommen junge Neonazis einher, die wie linksextreme Autonome aussehen, NPD-Landtagskandidaten erscheinen im Outfit netter Schwiegersöhne…
Die rechtsextreme Szene in der Bundesrepublik bemüht sich um ein neues Image. Trotzdem bleibt sie gefährlich.
Von Frank Jansen
Nahezu überall ist der Versuch zu erkennen, moderner zu wirken, manchmal auch halbwegs freundlich, und von dem Erscheinungsbild der dumpf prügelnden Suffglatzen wegzukommen, das den Rechtsextremismus in toto stigmatisiert und den Zugang zur Mehrheitsgesellschaft verstellt. Für Entwarnung ist indessen kein Anlass. Zwar wird die Szene der braunen Skinheads tatsächlich kleiner, doch nimmt die Gefahr gewaltsamer Angriffe rechtsextremer Fanatiker nicht ab.
„Für die Zunahme einer politisch zielgerichteten Gewaltbereitschaft stehen vor allem die Autonomen Nationalisten’, die sich in ihrem Vorgehen an den linksextremistischen Autonomen orientieren“, warnte im Februar der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, in einem Interview der Zeitung „Tagesspiegel“. Die Strömung der Autonomen Nationalisten sei inzwischen auf etwa 20 Prozent des Neonazi-Potenzials angewachsen, also rund 1.000 Personen. In Berlin hat die Gruppierung nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sogar die NPD als zentralen Akteur der rechtsextremen Szene abgelöst und kontrolliert bereits Teile dieser Partei. Das gilt vor allem für die Jugendorganisation der NPD, die „Jungen Nationaldemokraten“.
Die Autonomen Nationalisten, die gern als „Schwarzer Block“ auftreten, sind das härteste Beispiel für den Umbruch in der rechtsextremen Szene. Die Schwarzjacken setzen auf Konfrontation mit der Polizei und dem politischen Gegner, taktische Zurückhaltung ist ihnen weitgehend fremd. Die Sicherheitsbehören erinnern sich noch heute mit Schrecken an den ersten großen Auftritt der Autonomen Nationalisten. Am 1. Mai 2008 in Hamburg prallten die Neonazis auf linke Autonome, die Polizei warf sich dazwischen. Hätte sie es nicht getan, „hätte es Tote gegeben“, sagte kurz danach ein hochrangiger Polizeibeamter. Andere Sicherheitsexperten warnen: Alle Aktionsformen, die von den linksextremen Autonomen bekannt sind, kommen auch für die Autonomen Nationalisten in Frage, obwohl sie ideologisch auf der anderen Seite stehen. Dieses Brachialkonzept ist offenbar für Jugendliche attraktiv, die auf „action“ setzen und für politischen Extremismus anfällig sind. Jedenfalls haben die Autonomen Nationalisten dem Neonazi-Milieu eine Art Energiestoß versetzt. Und Sicherheitsexperten befürchten, dass die Militanz noch eskaliert.
Die NPD weiß nicht so recht, wie sie mit dem Phänomen der Autonomen Nationalisten umgehen soll. Während diese auf knallhartes Vorgehen setzen, gehen Teile der NPD und die islamfeindliche Pro Bewegung den entgegen gesetzten Weg und versuchen, bürgerlich seriös zu erscheinen. Für die NPD steht im Vordergrund, dass sie gerade in diesem Jahr mit seinen vielen Wahlen bürgerlich, etabliert und in der äußeren Form auch modern erscheint. Exemplarisch für diese Bestrebungen war der Antritt der NPD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Hier machte sich die Partei große Hoffnungen, in den Landtag zu kommen – es wäre der dritte in Ostdeutschland gewesen. Zum Schluss scheiterte sie mit 4,6 Prozent der Stimmen an der Sperrklausel, doch war dieses Ergebnis weitaus besser als die 3,0 Prozent der Wählerstimmen, die die damals auftretende DVU im Jahre 2006 erringen konnte. Ein Grund für den relativen Erfolg der NPD war offenbar ihr Versuch, auf die in Teilen der Bevölkerung herrschende, mehr oder minder diffuse Unzufriedenheit eine einfache, scheinbar passende Antwort zu geben. Die Taktik sieht wie folgt aus: Freundlich erscheinende Kandidaten, weit entfernt vom Habitus der Skinheads oder Autonomen Nationalisten, reden „Klartext“ über Arbeitslosigkeit, Abwanderung oder mangelnde Perspektiven für Jugendliche Auf Bezüge zum Nationalsozialismus wird weitgehend verzichtet. Zudem präsentierte die NPD auf den Spitzenplätzen der Landesliste einen Generationenwechsel. Auf Platz eins Parteichef Matthias Heyder, ein gelernter Bankkaufmann und derzeit Jurastudent, dann drei adrett gekleidete junge Männer, die Funktionäre der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ waren oder noch sind und studiert haben oder es noch tun – die Riege akkurat frisierter „Schwiegersöhne“, alle jünger als 40, verkörperte im Ansatz eine neue Verpackung der NPD-Ideologie.
Drahtzieher dieser Strategie ist der sächsische NPD-Chef Holger Apfel, der auch die Fraktion der Partei im Dresdener Landtag führt. Apfel propagiert einen „sächsischen Weg“, bei dem eine alltagsbezogene, „bürgernahe“ Propaganda im Vordergrund steht und Hitler zumindest öffentlich ausgeblendet bleibt. Mit diesem Kurs hat Apfel die Wahlerfolge der NPD in Sachsen (2004 und 2009) und Mecklenburg-Vorpommern (2006) dirigiert. Das Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt zeigte, dass die Taktik auch andernorts gefährlich bleibt.
Zudem profitiert die NPD vom Untergang der DVU. Obwohl die von beiden Parteien beschlossene Fusion rechtlich bisher nicht vollzogen wurde, da Rebellen innerhalb der DVU beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung erwirkt haben, muss die NPD im Lager des harten, systemfeindlichen Rechtsextremismus keine Parteienkonkurrenz mehr fürchten. Der Chef der DVU, Matthias Faust, ist im November 2010 in die NPD eingetreten und wurde dort mit dem Posten des Vizevorsitzenden versorgt, außerdem wechselten weitere Spitzenfunktionäre der DVU zur NPD. Die Masse der zuletzt etwa 3.000, oft alten Mitglieder der DVU verflüchtigt sich jedoch aus der Politik. Nur einige hundert sind bislang der NPD beigetreten. Indessen hofft die NPD nicht nur auf ehemalige DVU-Leute – und sei es, um den Schwund ihrer eigenen Mitglieder auszugleichen -, sondern auch auf Geld. Nach dem Wegfall der DVU wachsen nämlich die Chancen der NPD auf Wahlkampfkostenerstattung. Dies gilt beispielsweise für Bremen, wo im Mai gewählt wird. Hier hofft die NPD auf ein Mandat in der Bürgerschaft. In früheren Legislaturperioden war es der DVU dank einer bremischen Sonderregelung gelungen, einen Abgeordneten stellen zu können. In Bremen genügt es schon, in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, um in der gesamt-bremischen Bürgerschaft vertreten zu sein. Das hatte die DVU mehrmals erreicht – und entsprechend kassiert.
Trotz alledem bleiben NPD, DVU-Reste und die islamfeindliche Pro-Bewegung, die in Köln und anderen Städten des Rheinlands relativ stark ist und in diesem Jahr auch bei der Wahl in Berlin antritt, jedoch Randerscheinungen. Die Hoffnung, von der turbulenten Sarrazin-Debatte zu profitieren, hat sich bislang nicht erfüllt. Weder der harte Kern des Rechtsextremismus – NPD und unorganisierte Neonazis – noch „gemäßigt“ auftretende Rechtspopulisten konnten bislang die Emotionen kanalisieren, die der ehemalige Berliner Senator und Ex-Vorstandsmitglied der Bundesbank, Thilo Sarrazin, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ aufgewühlt hat. Den Rechtsextremen mangelt es an charismatischen Führungspersonen. Außerdem belastet die NPD mit ihrer Feindschaft zu bundesrepublikanischen Demokratie das gesamte rechte Spektrum jenseits von CDU und CSU.
Nur eine rechte Partei und ein Anführer, denen keinerlei Verbindungen zum Extremismus nachzuweisen sind, wären in der Lage, innerhalb der demokratischen Parteienlandschaft mitzumischen. Ein Beispiel ist der ehemalige Amtsrichter Ronald Schill, der rassistische Thesen vertrat, aber dank seiner extremismusfreien Herkunft Hamburger Innensenator werden konnte. Das wird die NPD nie erreichen, vermutlich auch die Pro-Bewegung nicht. Bei der islam-feindlichen Partei des Berliner Ex-Christdemokraten René Stadtkewitz ist derzeit ebenfalls keine Perspektive über eine randständige Existenz hinaus erkennbar.
Ein zweiter Schill könnte allenfalls Sarrazin selber werden, wenn er die SPD verlassen und eine eigene Organisation ohne Beteiligung von Rechtsextremisten gründen würde. Aber Sarrazin will nicht. Wie es scheint, bleibt die Bundesrepublik – anders als die Niederlande, Dänemark, Österreich und andere Nachbarstaaten – auch weiterhin von einer über das NPD-Niveau hinaus erfolgreiche, extreme Rechtspartei erspart. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Die Einflüsterungen der Extremisten bleiben unterhalb der parlamentarischen Repräsentation nicht ohne Wirkung. Alarmierend ist auch das Gewaltpotenzial am rechten Rand. Daher werden die 137 Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung, die der „Tagesspiegel“ und die „Zeit“ im vergangenen Jahr aufgelistet haben, nicht die letzten gewesen sein.
Quelle: Zukunft – 11. Jahrgang Nr. 4 / 29. April 2011 – 25. Nissan 5771