Israels Dissidenten retten das Land

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Man stelle sich mit den Augen der Welt ein anderes Israel vor. In ihm gibt es kein B’tselem. Kein „Das Schweigen brechen“, keine „Anarchisten gegen die Mauer“, kein „Gush Shalom“, kein „Machsom Watch“, kein … …

von Gideon Levy, 24.03.2011 — Ha’aretz

Es gibt keinen „New Israel Fund“ und keine kleine Gruppe von radikalen und abweichenden Intellektuellen und Journalisten. Man stelle sich ein anderes Israel vor, das jede Art solcher Stimmen zum Schweigen bringt. Man stelle sich mal vor, wie es vor der Welt dastünde, denn die geringe Sympathie, die Israel noch erhält, hat es diesen Gruppen zu verdanken.

Die Kampagne der Delegitimation gegen Israel, die wirkliche und die, die wir erfinden, haben wir Avigdor Lieberman und Israel Beitenu, Benyamin Netanyahu und der Menge antidemokratischer Gesetze seiner Leute und der Kadima zu verdanken, dem hemmungslosen israelischen Militär (IDF) und den Siedlern, die keine Grenzen kennen. Ein Tag der Operation Cast Lead hat Israel mehr Schaden zugefügt als all die kritischen Artikel zusammen; der tödliche Angriff auf das für Gaza bestimmte Schiff Mavi Marmara hat Israels Image mehr in den Dreck gezogen als alle anti-israelischen Vorträge zusammen genommen. Das „Nakbah-Gesetz stank mehr als alle Petitionen.

Israel war aus der ständig wachsenden Initiative, zu boykottieren, zu verurteilen und zu ächten und aus den Bildern von Gaza und den Szenen auf der Marmara geboren worden. Die Tatsache, dass es Israelis gibt, die sich der Kritik angeschlossen haben, können nur Israels schwindendem Kredit an den Universitäten in den USA, der akademischen Welt in Europa und den Zeitungen beider Örtlichkeiten zugeschrieben werden. Man stelle sich Israel nur ohne sie vor: es wäre wie Nord-Korea.

Die Botschafter und seine Propagandisten der Regierung können kaum jemanden in der Welt außer sich selbst überzeugen. Die Zerstörer von Israels Demokratie können das Feuer nur immer höher schüren. Die kritischen Stimmen, die noch immer in lobenswerter Freiheit gehört werden, lassen die Bewunderung der Welt aufkommen. Die Dissidenten sind jetzt die besten Aufklärer Israels ….

Vor zwei Wochen war ich nach London zur jüdischen Buchwoche eingeladen, nachdem mein Buch „The Punishment of Gaza“ auf Englisch herausgekommen war. Das jüdische Establishment in England drohte mit einem Boykott der Veranstaltung. Die Organisatoren dachten daran, Sicherheitsleute anzufordern. Grob geschätzt füllten 500 Leute die Halle, gemäßigte Juden, die Fragen stellten und in ihrer bescheidenen Art große Sympathie ausdrückten. Ich sprach – wie immer – gegen die Besatzung, die Ungerechtigkeiten und den Schaden, den sie Israel und den Palästinensern zufügen, gegen die Angriffe auf Israels Demokratie, wie ich es in Hunderten von Artikeln geschrieben habe und die in Haaretz auf Hebräisch und Englisch veröffentlicht wurden und wie ich es in der Londoner Schule für Ökonomie und in der Trinity-Universität in Dublin getan habe.

Wie bei früheren Gelegenheiten war von der israelischen Botschaft ein „Spion“ nach Trinity gesandt worden. Dieser israelische Student war gebeten worden, aufzuschreiben, was ich gesagt hatte und es der Botschaft mitzuteilen. Die Botschaft schickte schnell einen Bericht an das Außenministerium in Jerusalem, und dieses gab es schnell an eine bekannte Zeitung weiter, die nur meine schlimmsten Statements ohne Erklärungen veröffentlichte – und da hast du es: die Anschuldigung eines Dissidenten. (s. Artikel letzte Woche!! ER)

Man kann die Art und Weise, wie die Botschaft Journalisten ausspioniert, ignorieren – es erinnert an dunkle Regime. Ich würde glücklich sein, bei meinen Lesungen einen Regierungsvertreter zu sehen, der nicht heimlich kommt, falls er (wirkliches) Interesse hat. Aber man kann die Botschaft nicht ignorieren, die solch eine Haltung hervorruft – eine Art Hexenjagd gegen einen Journalisten, dessen Meinung von der Parteilinie abweicht.

In der neuen High-tech-Welt gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem, was geschrieben und dem was hier oder dort gesagt wurde. In der neuen Welt, die hauptsächlich gegenüber Israel feindselig gesinnt ist, ist es bedeutsam, dass andere Stimmen aus Israel kommen, andere als die offiziellen, drohenden und verletzenden. Diese Stimmen gehören Israels wahren Patrioten, die Angst um sein Schicksal haben und denen sein Image Sorge bereitet und zwar viel mehr als den Leuten, die damit drohen, sie zum Schweigen zu bringen. Die Dissidenten müssen nicht wegen irgendetwas bei ihrem Land um Verzeihung bitten. Ihr Land schuldet ihnen großen Dank. Sie sind die Kraft, die sein Image in der Welt rettet. „Die dich zerbrochen und zerstört haben, werden sich davon machen“ (Jes. 49,17.) So ist es tatsächlich. Netanyahu und Lieberman, die Gesetzesmacher auf dem rechten Flügel und die Anstifter des Nationalismus und Rassismus, die Hügeljugend und die Gleichgültigen in Tel Aviv. Frage (fast) jeden Europäer oder amerikanischen Intellektuellen.

Gideon Levy ist israelischer Journalist aus Tel Aviv und arbeitet für die Tageszeitung Ha’aretz unter anderem als Chefredakteur der Wochenendbeilage. Übersetzt wurde der Artikel von Ellen Rohlfs