Historisches Niemandsland?

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Anmerkungen zum Umgang mit Landsbergs Zeitgeschichte…

Von Hermann Kriegl

Viele konnten den Schauplatz der Geschichte geographisch erst richtig einordnen, als nach dem Fiasko vor der Münchner Feldherrnhalle Adolf Hitler vom 11. November 1923 bis 20. Dezember 1924 auf der Festung Landsberg die Privilegien politischer Ehrenhaft genoss.

Dort entstand gewissermaßen unter Hausarrest 1924 der erste Teil von „Mein Kampf“. Hier schlug also die Geburtsstunde des Evangeliums der NS-Erweckungsbewegung. Landsberger Bürger machten Adolf Hitler in ihrer Stadt heimisch, lange bevor sich dessen Taten in den Stein der Ewigkeit meißelten.

Landsberg befand sich im Hitler-Fieber. Der Aufstieg zur „Hitler-Stadt“ suggerierte Identität, und der braune Qualitätsgewinn, zu dem auch der „Historische Verein“ sein parteiisches Scherflein beisteuerte, das mit solider Heimatforschung wenig gemein hatte, verrät einiges über Fehleinschätzungen, wie sie tonangebende Weichzeichner heute noch verbreiten.

Ende des Holocaust

Spätestens im Sommer 1944 war das romanhaft veredelte Bilderbuch-Ambiente Landsbergs endgültig verbraucht: Im Stadtkreis und um Landsberg entstanden elf Konzentrationslager, KZ-Häftlinge mussten unmenschliche Sklavendienste verrichten fürs Rüstungsobjekt „Ringeltaube“, mindestens 15 000 Zwangsarbeiter wurden durch körperliche Schwerstarbeit systematisch beseitigt. Nach jüngster Forschung soll sich diese Zahl angeblich nicht belegen lassen (Ludwig Eiber, Hitlers Bunker – Hitlers Gefangene: Die KZ-Lager bei Landsberg).

Am 27. April 1945 erreichte die Vorausabteilung der „Twelfth Armored Division“ den Raum Landsberg und machte im KZ Kaufering IV, dem zynisch apostrophierten „Schonungslager“ bei Hurlach, eine furchtbare Entdeckung: Zwischen rauchenden Trümmern verkohlte Leichen. Das Ende des Holocaust unmittelbar vor Landsbergs Türschwelle.

Peinlicher Tatbestand

Nach Kriegsende schien etliches verharmlost und zurechtgebogen, schmerzliche Wahrheiten passten der Bürgerschaft verschiedentlich nicht in den Kram. „Moral-Therapeuten“ und politische Kalkulateure hatten auf verzwickte Fragen öfters keine bündige Antwort. Die eingebrannte NS-Altlast in der malerischen Idylle brachte Landsberg zunehmend ins Gerede.

Die „Bürgereinigung Landsberg im 20. Jahrhundert“ begann 1983 am Märchen der unschuldigen NS-Vergangenheit Landsbergs zu kratzen und förderte die konservierte KZ-Geschichte ans Tageslicht. Das hat bei gewissen Leuten allergische Reaktionen ausgelöst, was in einem Ort nicht verblüfft, wo dergestalt Querdenkerei ohnedies massig aneckte.

1997 hat Oberbürgermeister Franz Xaver Rößle ein „Forschungsprojekt“ angestoßen, das eine „positive Wirkung“ auf Landsberg haben und im „Jahre 2002 in der Reihe ‚Schriften der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg’ erscheinen“ sollte (zitiert nach Bürgervereinigung „Landsberg im 20. Jahrhundert“)

Schonungslose Vergangenheitsanalyse?

Die an den Tropf des Steuerzahlers gehängte Publikation kam im April 2010 auf den Markt mit dem Titel: „Landsberg in der Zeitgeschichte – Zeitgeschichte in Landsberg“ Hg. V. Dotterweich und K. Filser – In Verbindung mit Elke Kiefer und der Stadt Landsberg am Lech.

In dieser Veröffentlichung sind gewichtige Ereignisse der Lokal- und deutschen Zeitgeschichte, die offensichtlich aber noch bis jetzt nachwirken, gänzlich ausgesondert.

Der Sachverhalt ist eindeutig, das städtische Auftragswerk hat erhebliche Defizite. Es fehlt beispielsweise die Erinnerung an den vornazistisch vererbten, rassistischen Gesinnungsdrill in Heer, Freikorps, Reichswehr, Kultur und Vereinen sowie das biologistische NS-Denken in Wehrmacht, Schule und Erziehung.

Ist der tief sitzende Rassen-Antisemitismus von so minimierter Bedeutung und deshalb fehl am Platze im enthusiastisch besprochenen Kompendium für Landsberg-Liebhaber?

Mindestens ebenso merkwürdig wie diese Erkenntnis ist der Umstand, dass von der Landsberger Inkunabel des Antisemitismus und der judenfeindlichen Haltung des „Historischen Vereins“ in den Zwanzigerjahren überhaupt nichts im Buche steht.

Kann das eine unbefangene Interpretation der Landsberger Ortsgeschichte sein, wenn die antisemitischen Verirrungen des „Historischen Vereins, der 1923 den Judenhass mit Nachdruck öffentlich verschärfte, nicht Bestandteil des „preisgekrönten“ Landsberg-Buches sind?

Hasserfüllte Beiträge, kaum minder in den „galanten Zeiten“ der philiströsen Doppelmoral, haben die Propaganda gegen Juden zugespitzt. Die psychologische Vernichtung eilte dem fabrikmäßig organisierten Massenmord voraus. Aber das heimtückische Strategiepapier des „Historischen Vereins“ der Zwanzigerjahre, das perfide Judenhetze pur in sich birgt, verschweigt Landsbergs Vorzeige-Lektüre. Die NS-Ortsgruppe vermarktete das gleiche Pamphlet 1935 zur niederträchtigen Verleumdungskampagne gegen die sesshaften Juden.

Das geht wohl an den Interessen der Herausgeber, die obendrein belehrend daherkommen, aus unbegreiflichen Gründen gleichgültig vorbei. Ist da vielleicht anzunehmen, das wäre Heimatforschung mit Abstrichen, die tendenziell verstummt? Oberbürgermeister Ingo Lehmann weiß, woher der Wind weht, und erklärte schriftlich am 14. Februar 2011, dass die Stadt Landsberg für den Buchinhalt nicht hafte. Ziemlich nachdenklich stimmt, wie er die problemorientierte Buchkritik abhakt und mit einem Federstrich ad acta legt.

Direktor Dr. Richard Loibl vom Haus der Bayerischen Geschichte (Augsburg) verniedlicht im Brief vom 7.02.2011 in provokanter Vereinfachung, wenn er meint, dass „auch in einem solchen Band nicht jedes Thema berücksichtigt werden“ könne. Scheint das nicht zu kurz gegriffen und eventuell dazu angetan, die Unterlassungen des betreffenden Kollegiums zu verwischen?

Die Autoren von Landsbergs Stadtchronik machen um die heikle Thematik einen großen Bogen. Der peinliche Tatbestand wird allenthalben ignoriert. Darüber hinaus finden sich noch weitere gravierende Schwächen.

Im Fokus der Kritik: „Die Stadt unter nationalsozialistischer Herrschaft“ von Karl Filser, Emeritus der Universität Augsburg, dessen Untersuchungen der Verehrung anheim gestellt sind. Wer es gern übersichtlich hat, merkt ja, wie Karl Filser die Stadtgeschichte zu deuten vermag und was er alles nicht antastet.

Unerledigt geblieben ist unter anderem, wie Landsbergs offene Fremdenfeindlichkeit madige Blüten trieb. Das beweist der städtische Beschluss vom 13. Oktober 1921: „Ein Zuzug von Polen wird für die Zukunft grundsätzlich verboten.“

Damit hatte der Magistrat diese „Oststämmigen“ in so genannte „nichtswürdige Völker“ eingestuft und der allgemeinen Verachtung preisgegeben, zwölf Jahre bevor die Nazis ihre „Rassentheorien“ in die Tat umsetzten.

Warum nimmt da Karl Filser die Radikalität im Schatten rassistischer Anfeindungen nicht intensiv ins Visier? Karl Filser betont, dass er „ausgewählten Themen“ den „Vorzug gegeben“ habe. Steht da nicht zu befürchten, es könnten eventuell Begebenheiten vorangestellt werden, die den historischen Burgfrieden in Landsberg weniger beeinträchtigen?

Karl Filser hat den Widerstand von Einheimischen unzureichend dokumentiert. Die oberflächlich intonierte Einbettung des „Ruethenfestvereins“ lässt ebenso vermuten, dass es mit Karl Filsers Vergangenheitsanalyse nicht so weit her ist, wie einige Landsberger erachten.

Die Präsenz von Rassenkunde und NS-Ideologie in den Schulbüchern ist nirgendwo im Beitrag von Karl Filser zu entdecken. Karl Filser überspringt die verkorkste NS-Lehrerschaft, die frühzeitig mit den Braunen sympathisierte und wusste, was sie dem „Führer“ schuldig war.

Die Spurensuche verrät, wie selektiv er das in Landsberg vorgesehene Novemberpogrom rezipiert. Ausführlich im Internet (Google): Anmerkungen zum Umgang mit Landsbergs Zeitgeschichte – Die Europäische Holocaustgedenkstätte (Aktuelles & Ankündigungen). Der Historiker Anton Posset, Träger des “Étoile Civique d’Or“ und 1. Vorsitzender der „Bürgervereinigung im 20. Jahrhundert“, kümmert sich wie der Verfasser darum, dass die im Schilde geführte „Nacht der Schande“ nicht in Vergessenheit gerät.

Am 9. November 2010, dem Jahrestag des Novemberpogroms 1938, hat Anton Posset auf der Europäischen Holocaustgedenkstätte eine Gedenkfeier organisiert. Vor dem Mahnmal zum „Gedenken der deutschen Holocaustopfer von Kaufering VII“ erinnerte er an den Auftakt der Vertreibung, Entrechtung und Vernichtung der Juden in Deutschland. Ein Schwerpunkt seiner Rede: „Die politisch und rassisch Verfolgten aus Landsberg.“ Seine unmissverständliche Forderung an die Stadt: vor den einstigen Häusern der Opfer „Stolpersteine“ einsetzen zu lassen, gleichsam als Synonym für „Wiedereinbürgerung“.

Desgleichen hat Anton Posset akzentuiert ins Stadtgedächtnis Landsbergs zurückgeholt: Den von hiesigen Nazis beabsichtigten Schlag gegen Juden. Der überlieferte Nachlass eines Teilnehmers an der gefährlich explosiven SA-Aktion vermittelt erlebte Geschichte. Die sichere Quelle fand keinen Eingang in Karl Filsers populären Überblick. Ihm genügte ein anfechtbares Detail aus der Spruchkammer-Akte, das er glaubt zum schlagenden Faktum komplettieren zu müssen. Soweit die kurze Ergänzung zum Thema.

Manches in Karl Filsers Forschungsbilanz ist nicht einmal angerissen: Spitzeldienst, Denunziationen und anonyme Anzeigen in der „Hitler-Stadt“. Ausgespart werden die Verfolgungen von Bettlern und Wohnsitzlosen, so genannte “Asoziale“, und deren Einlieferung in Arbeitshäuser, „Vorbeugehaft“ und Abtransport ins KZ Sachsenhausen durch Beschluss von Dr. Linn, Landsbergs Bürgermeister von 1937 bis 1945.

Karl Filser fand nicht beachtenswert: „Rassedienst“, Zwangssterilisation, die praktizierte Rassenpolitik der Ärzte, des Bürgermeisters und seiner NS-Gehilfen im Rathaus, die Ergüsse von Rassepädagogen und „Rassenschande“.

Karl Filsers problematische Formulierung sticht ins Auge: „Der Terror, mit dem andernorts die Juden in dieser Nacht drangsaliert wurden, blieb ihnen in Landsberg erspart.“ Das soll wohl heißen, die jüdischen Landsberger wären nicht terrorisiert worden? Darf man die lokalhistorische Situation so simplifizieren und der Rechenschaft entziehen? Anstößig genug ist das ungeheuerliche Ausmaß an Aggressivität, Demütigungen, Willkür und Ausgrenzung, das in Landsberg dem Sturz in die NS-Barbarei vorausgegangen ist.

Und dann: Karl Filsers unsensible Wortwahl „drangsalieren“. Trifft das die „Judenpolitik“ in ihrer Abgründigkeit, wenn „andernorts in dieser Nacht“ Hunderte Juden ermordet wurden, die SA-Einsatzgruppen Synagogen anzündeten, jüdische Friedhöfe und Geschäfte zerstörten, und Zehntausende in Konzentrationslager verschleppten, wo nochmals ungezählte Opfer zu beklagen waren?

Karl Filsers Zitat ist kaum hilfreich für die politisch-historische Bildungsarbeit, besonders wenn in Betracht gezogen wird, was streng genommen auch hinter der Judenfeindschaft in Landsberg lauerte. Hier ist also zu konstatieren: Antisemitismus hat Landsberg nicht von außen her befallen, es war normativ erwünschte Alltäglichkeit – lange vor 1933.

Nach mehr als zwölfjähriger, überdies aus Steuermitteln finanzierter Forschung der sechzehn Sachbearbeiter, darunter Professoren der Universität Augsburg, kann die skeptische Öffentlichkeit durchaus den Anspruch erheben, dass relevante historische Problembereiche umfassend aufgearbeitet werden.

Davon nimmt Dr. Richard Loibl keine Notiz, „da das Haus der Bayerischen Geschichte mit der Entstehung der Publikation nicht befasst war.“ Es fällt auf, wie selbstverständlich es noch hinterher für ihn ist, die aufgedeckten wunden Punkte in der Schublade verschwinden zu lassen.

Die freigelegten Mängel sind nicht zu beschönigen und es schockiert, mittlerweile auch Juden und Nachkommen von NS-Opfern, was im umstrittenen Nachschlagewerk „Zeitgeschichte in Landsberg“ ausgeklammert wird.

Wenigstens bleibt nicht unklar, dass die Debatte über den Umgang mit Landsbergs Zeitgeschichte eben erst anfängt und nicht auf ein privates Anliegen zu reduzieren ist. Es geht um maßgebende Belange der Allgemeinheit, die heute aktueller sind denn je.

Dr. phil. Hermann Kriegl ist Historiker, Autor und Verleger (www.dr-kriegl-verlag.de). Studium der Rechte, selbständiger Unternehmer, Studium der Neueren Geschichte, Archäologie und Bibliothekswissenschaften, Promotion bei Prof. Dr. Karl-Heinz Ruffmann (Universität Erlangen/Nürnberg); 1993 Verleihung einer Urkunde durch die Theodor-Heuss-Stiftung als Anerkennung für den Beitrag zum Jahresthema „Wege aus der Politikverdrossenheit“. Das Buch „Adolf Hitlers ‚treueste Stadt’ – Landsberg am Lech 1933-1945“ stand auf der Auswahlliste zum „Geschwister-Scholl-Preis 2004“.

2 Kommentare

  1.  
    Dr.Kriegl ist zu respektieren für die Aufrichtigkeit, die hinter seinen Bemühungen zu stecken scheint.
    Es ist allerdings recht bedauerlich, daß solche Aufrichtigkeit entgegen mancher Märchen beim Deutschen alles andere als gewöhnlich anzutreffen ist.
    Daher einen ganz besonderen Dank.
    Mögen viele Deutsche dieses als vorbildliches Verhalten, als Maß ihres Handelns beurteilen, so daß auch die Kinder in diesem Land etwas haben, dem sie guten Gewissens nacheifern mögen.
     
     
     

  2. Dank an Herrn Dr. Kriegl für diese berechtigte Kritik an ganz besonders ‚morscher‘ offizieller Gedenkkultur in Landsberg am Lech. Es wäre schön, wenn auch in anderen Städten Gelehrte und Bürger kritisch auf die ihnen dargebotene moderne Aufarbeitungsliteratur für die Zeit des Dritten Reiches reagieren würden und ihren Einspruch anmeldeten, wenn dies nötig erscheint. Denn nur so, wenn möglichst viele Mitbürger von den neuen Lügen und Klitterungen erfahren, kann sich etwas ändern.
     
    Gerade in unserem ’schönen‘ Bayern gibt es noch eine Menge ans Tageslicht zu bringen und Täternamen zu nennen. Die Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, die gelitten haben und nicht mehr für ihr Recht kämpfen können, erfordert es. Ebenso Anstand und Gewissen.
     
     

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