Vor allem Frankreich hat den internationalen Militäreinsatz in Libyen forciert. Einerseits ist Sarkozys Versuch, sich zu profilieren, offensichtlich, andererseits hat auch die linke Opposition die harte Linie gegenüber Gaddafi im Grundsatz begrüßt…
Von Bernhard Schmid
Jungle World v. 24. März 2011
»Nicolas Sarkozy als chef de guerre«, als Kriegsherr, titelte am Montag die Website der konservativen Tageszeitung Le Figaro. Frankreichs Präsident setzt sich zurzeit als konsequenter Anführer einer »Koalition der Willigen« in Szene, die gegen die Streitkräfte von Libyens Staatspräsident Muammar Gaddafi vorgeht.
Auf internationaler Ebene versucht Sarkozy sich durch sein vor gerade einmal zwei Wochen erfolgtes, überraschendes Umschwenken auf eine »harte Linie« gegen das libysche Regime zu profilieren. Es ist sogar zu einem regelrechten Gerangel um die Leitung des militärischen Einsatzes in Libyen gekommen. Am Freitag voriger Woche unterstrich die französische Regierung, sie wünsche nicht, dass Planung und Durchführung des Einsatzes bei der Nato lägen. Gleichzeitig meldeten die Agenturen, dass die Nato ihre Vorbereitungen auf einen Einsatz in Libyen »beschleunige«. Samstag früh, bevor um die Mittagszeit Vertreter von 22 Staaten zu einem Sondergipfel über Libyen in Paris zusammen kamen, brachte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen noch einmal die Nordatlantik-Allianz ins Gespräch. Doch Rasmussen wurde zu dem Gipfel nicht einmal eingeladen. Die Führung des Einsatzes, die bisher hauptsächlich vom US-amerikanischen Hauptquartier in Stuttgart aus erfolgt, soll später zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt werden, sofern die Nato nicht das Kommando übernimmt. Dies ist allerdings unwahrscheinlich, denn die Nato hat sich in den vergangenen Tagen vollkommen zerstritten, was unter anderem auch an der Neigung Frankreichs lag, das Militärbündnis gar nicht erst miteinbeziehen zu wollen.
Es ist offenkundig, dass Frankreichs Regierung sich durch den Einsatz in Libyen politisch profilieren möchte. Infolge der Umbrüche in Tunesien und Ägypten war die französische Diplomatie stark in die Defensive geraten. In beiden Ländern hatte Frankreich offiziell bis zuletzt die jeweiligen Präsidenten unterstützt, die schließlich durch breite Protestbewegungen gestürzt wurden. Seit Ende Februar stritten sich mehrere Gruppierungen französischer Diplomaten, die anonym unter Sammelnamen publizierten, in den Medien über die Perspektiven der französischen Außenpolitik. Zunächst publizierte das Kollektiv »Surcouf« eine vernichtende Kritik: Infolge des ängstlichen Festhaltens an alten Verhältnissen, so ihre Feststellung, sei Frankreich unter anderem in Nordafrika marginalisiert worden. »Frankreich hat keine Stimme mehr in der Welt«, stellten sie mit Bedauern fest. Sie forderten eine »mutigere« und innovativere Politik. Ihnen antwortete das Diplomatenkollektiv »Marly«, demzufolge alles zum Besten bestellt sei. Tage darauf meldete sich noch eine dritte Gruppe mit einer Position zu Wort, die zwischen beiden angesiedelt war.
Derart zerissen zu erscheinen, konnte die französische Staatsspitze kaum hinnehmen, sie musste dringend die Initiative ergreifen. Der Hilferuf der libyschen Rebellen, die wegen eines stark asymmetrischen militärischen Kräfteverhältnisses durch die Militärs der libyschen Diktatur überrannt zu werden drohten, kam daher gerade zur rechten Zeit. Ob sich Frankreich letztlich an den Vorstellungen der Rebellen orientieren wird, bleibt noch abzuwarten. Denn die provisorische politische Führung in Bengasi, in Gestalt des 31köpfigen Übergangsrats, vertritt eine relativ klare Position, die lautet: Luftunterstützung ja, Intervention in Libyen nein. Noch auf den Bildern vom Freudenfest in Bengasi, das in der Nacht zum Freitag infolge der Annahme der UN-Resolution Nummer 1973 stattfand und bei dem auch Sarkozy für seine Position bejubelt wurde, ist dies erkennbar. Auf dem Bild, das immer wieder auf vielen Fernsehkanälen gezeigt wurde und am Wochenende die Titelseite der Süddeutschen Zeitung zierte, sieht man feiernde Menschen und ein großes Transparent. Auf dem steht in arabischer Sprache geschrieben: »Nein zur ausländischen Intervention«. Die Rebellen unterscheiden zwischen einer Intervention, bei der Truppen in libysches gebiet eindringen und die sie klar ablehnen, und einer Unterstützung gegen Panzer und Flugzeuge aus der Luft.
Neben dem Wunsch nach eigener Profilierung spielten bei Sarkozy jedoch auch andere politische Motive eine Rolle, als er die Weichen für den Einsatz in Libyen stellte. Zum einen stellte er explizit eine Verbindung zur Migrationspolitik her, konkret zu dem Wunsch, keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Dies erklärte er mehrfach, zumal Teile seiner Regierungspartei UMP – im Wettlauf mit ihrer rechtsextremen Konkurrenz vom Front National – die Abwehr von Flüchtlingen und Zuwanderern aus Nordafrika thematisieren.
Innerhalb Frankreichs spottete die Opposition zunächst tagelang über Sarkozys im Alleingang unternommene Profilierungsversuche. Zumal diesem ein Besuch des Fernsehphilosophen Bernard-Henri Lévy in Bengasi vorausgegangen war. Lévy hatte sich in der Vergangenheit häufig durch phantasievoll angereicherte Berichte profiliert, um schließlich wie etwa in Bosnien ein militärisches Eingreifen des Westens zu fordern. Dass ausgerechnet der umstrittene Lévy jetzt den Rebellen in Bengasi einen Besuch abstattete, eine Woche später zwei Repräsentanten der libyschen Aufständischen in den Pariser Elysée-Palast begleitete und so anscheinend Sarkozys diplomatischen Schwenk inspirierte, ist also sicherlich kein Qualitätsmerkmal für Sarkozys Politik.
Dennoch hat auch die französische Opposition größtenteils die UN-Resolution unterstützt. Der Grund ist, dass man bei vielen Linken doch in hohem Maße Solidarität mit der libysche Rebellion übt. Die französischen Grünen, aber auch die von der Sozialdemokratie abgespaltene »Linkspartei« (PG) und die mit ihr verbündete französische KP unterstützten zumindest grundsätzlich die Einrichtung einer Flugverbotszone. Weiter links war man gespalten, setzte sich aber überwiegend dafür ein, dass man trotz Opposition gegen Sarkozy die libyschen Rebellen nicht einfach massakrieren lassen dürfe. Bei der linksradikalen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) fanden äußerst scharfe Debatten über eine Erklärung statt. An ihrem Ende sprach die Partei sich gegen Luftangriffe – auch zur Durchsetzung des Flugverbots – aus, forderte aber von den Regierenden gleichzeitig, den Rebellen oder der libyschen Bevölkerung Waffen zu überlassen. Da die Kontrolle von deren Verwendung bei den libyschen Aufständischen verbleibe, könne man diese Art Maßnahme unterstützen.
Währenddessen versucht die extreme Rechte, die am Wochenende bei den Bezirksparlamentswahlen wieder erheblichen Aufwind erhielt, die Rolle der konsequentesten Opposition zu spielen. Der Front National widersetzt sich lautstark dem Eingreifen in Libyen – mit den Argumenten des rechten Neutralismus, der darauf pocht, für die nationalen Interessen sei nichts dabei herauszuholen. Es handele sich also letztlich nur um eine Intervention zugunsten fremder Interessen und zu Lasten der eigenen Staatsfinanzen.