Der zentrale Karni Warenübergang zwischen Israel und dem Gazastreifen wird „endgültig“ geschlossen. Diesen „unumkehrbaren“ Beschluss teilte der Befehlshaber des israelischen Kommandos Süd, Generalmajor Tal Russo, am Mittwoch mit…
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 3. März 2011
Mit Förderbändern wurde da Getreide und Mehl über hohe Mauern hinweg in den Gazastreifen geliefert. Speiseöl und Benzin wurden durch Löcher in der zehn Meter hohen Betonmauer gepumpt. Außer per Handy gab es keine direkte Berührung zwischen beiden Seiten, aus Sicherheitsgründen, nach mehreren tödlichen Terrorattacken. Erneut gibt es angeblich „akute Hinweise“ auf geplante Angriffe auf das Terminal, weshalb Karni endgültig zugemacht wird.
Die Attacken auf Karni waren zunächst ein Rätsel, da so die „Lebensader“ der Versorgung der rund 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen mit Grundnahrungsmitteln, Benzin, Öl und anderen lebensnotwendigen Waren abgeschnitten wurde. Die Unterbrechung der Lieferungen führte immer wieder zu internationalen Protesten, zumal Israel, trotz seines Rückzugs im Sommer 2005, weiterhin als „Besatzer“ gilt und die Verantwortung für die Versorgung der Bewohner des Gazastreifens trägt. Während der Erez-Übergang im Norden des Gazastreifens nur für Patienten, Diplomaten und Journalisten offen steht, gibt es sonst nur noch das Terminal Kerem Schalom im Süden. Nach israelischen Angaben werde durch die Schließung von Karni die Gütermenge nicht verringert.
Kämpfer der Hamas griffen immer wieder Karni an, um den Warenverkehr von Israel zu unterbrechen, da die Gewinne aus Schmuggelwaren, die durch Tunnel von Ägypten in den Gazastreifen gebracht wurden, sanken. Für die Hamas sind die Steuern auf Schmugglerwaren eine der wichtigsten Einnahmequellen. Mächtige Schmugglerfamilien mit engen Verbindungen zur Hamas-Regierung haben zudem einen Bann gegen Waren „made in Israel“ durchgesetzt. Das von der Hamas geführte Ministerium für Nationale Wirtschaft verkündete ein Import- und Verkaufsverbot israelischer Kekse, Kleidung, Möbel, Toilettenpapier, Säfte, Kerzen und anderen Waren, obgleich sie wegen ihrer Qualität und günstiger Preisen bei der Bevölkerung sehr beliebt sind. Die „Tunnelwirtschaft“ gilt im Gazastreifen als größter Arbeitgeber. Unter der 11 Kilometer langen Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen gibt es angeblich bis zu 1500 Tunnel. Vor allem Kinder werden für das lebensgefährliche Ausschachten der Tunnel im Sandboden und den Transport der Schmuggelware, darunter Zigaretten, Benzin, Mopeds, zerlegte Autos und sogar eine Giraffe für den Zoo von Rafah eingesetzt. Immer wieder kommt es da zu tödlichen Unfällen. Regelmäßig bombardieren israelische Kampfflugzeuge diese Tunnel, als Reaktion auf Raketenangriffe auf Israel.
Einen mutmaßlich folgenreicheren Boykott verkündete Präsident und Autonomiechef Mahmoud Abbas als Antwort auf das amerikanische Veto zu einer von Abbas gegen den Willen der USA eingebrachten Uno-Resolution zur israelischen Siedlungspolitik. Abbas erklärte: „Die USA helfen uns jährlich mit 460 Millionen Dollar. Das bedeutet nicht, dass sie uns alles diktieren können, was sie wollen.“ Der Jerusalem-Minister der in Ramallah regierenden Fatah-Partei Hatem Abd Al-Qader, bezichtigte die Amerikaner, „das palästinensische Volk mit ein klein wenig Hilfe zu erpressen.“ Al-Qader verkündete deshalb einen Boykott amerikanischer Entwicklungshilfe an 28 Stadtverwaltungen im Westjordanland. Im November 2010 veröffentlichte USAID Angaben über die Auswirkungen amerikanischer Hilfe. Mit 34 Millionen Dollar für Bauarbeiten, Jugendklub-Projekten und für die Fertigstellung von Krankenstationen seien Hunderttausende Tage bezahlter Arbeit geschaffen worden, von denen 1,5 Palästinenser profitiert hätten. Al Qader fordert jetzt, Verträge mit amerikanischen Hilfsorganisationen zu stornieren und Kontakte mit amerikanischen Diplomaten zu meiden. Der palästinensische Premierminister Salam Fayad sagte bei der Einweihung einer Schule in Al-Jalameh nahe Dschenin: „Wir betrachten angebotene Finanzhilfe nicht als Alternative zur Freiheit unseres Volkes. Das Recht ist auf unserer Seite und unsere Rechte können nicht für eine Handvoll Dollars verkauft, eingetauscht oder veräußert werden.“
Als es in Ramallah zu anti-amerikanischen Demonstrationen kam, erhielten amerikanische Diplomaten der Botschaft in Tel Aviv und des Konsulats in Jerusalem die dringende Weisung, die palästinensischen Gebiete zu meiden. Mit einem ungewöhnlichen Rundschreiben hat zudem die Vereinigung der Auslandspresse in Israel (fpa) ihre Mitglieder vor Besuchen im Gazastreifen gewarnt, weil sich Vertreter der Hamas in letzter Zeit „irrational“ gegenüber Journalisten verhalten hätten. Beobachter vermuten, dass Präsident Abbas mit seinem anti-amerikanische Kurs von Missständen in seiner Regierung ablenken will, so zum Beispiel, dass die Amtszeit von Abbas seit Januar abgelaufen ist und dass seit drei Jahren das palästinensische Parlament nicht mehr getagt hat. Wohl zur Vorbeugung und angesichts der Möglichkeit, dass auch die Regierung in Ramallah gestürzt werden könnte, haben Abbas, seine beiden Söhne, der ehemalige Premierminister Ahmed Qurei, Abbas’s Sprecher Nabil Abu Rudaineh und der ehemalige Fatah-Sicherheitschef Muhammad Dahlan in jüngster Zeit die jordanische Staatsangehörigkeit beantragt und ihre Pässe ausgehändigt bekommen. Gleichzeitig haben die Jordanier mindesten 3000 Palästinensern die jordanischen Pässe abgenommen, „um deren palästinensische Identität zu stärken“, wie Jordaniens Innenminister Nayef al-Qadi sagte.
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