Live aus Ägypten: Die Rebellion wird stärker

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Am zweiten Tag des trotzigen Missachtung einer militärischen Ausgangssperre, strömten am Sonntag mehr als 150.000 Demonstranten auf den Tahrir-Platz, um Präsident Hosni Mubarak zum Rücktritt aufzufordern. Die Stimmung war feierlich und siegreich. Für die meisten war es keine Frage des ob, sondern wann Mubarak gehen wird…

von Sharif Abdel Kouddous

Kairo, Ägypten – Die Panzer des Militärs sind an den Eingangs-Punkten rund um den Platz stationiert, Soldaten bilden Barrikaden auf den Straßen und Gassen. In einer weiteren Abkehr vom gewohnten Leben in Kairo haben die Menschen schnell geordnete Warteschlangen gebildet, um durch die Checkpoints der Armee zu kommen. Soldaten durchsuchten die Menschen und kontrollierten ihre Ausweise. Ein Soldat sagte, sie wollten so sicher stellen, dass niemand von der Polizei oder Staatssicherheit hinein kommt.

Berichte sind weit verbreitet, dass viele der Plünderer in Kairo tatsächlich aus Überresten der Polizei und Sicherheitskräfte bestehen, die während der massiven Straßen-Revolten vom Freitag zum vollständigen Rückzug gezwungen wurden. Zusätzlich wurden Hunderte, vielleicht Tausende von Häftlingen aus Gefängnissen in Fayyoum und Tora freigelassen. Viele glauben, dass das alles Teil einer organisierten Kampagne des Regimes ist, Gesetzlosigkeit in der Stadt zu schaffen, in einem letzten atemlosen Versuch, so seine Macht aufrecht zu erhalten. Die Schlagzeile von Al-Masry Al-Youm schmetterte heute: „Verschwörung des Innenministeriums um Chaos zu schüren“.

Aber diese Bedenken verdampfen weitgehend innerhalb des Tahrir-Platz, wo das Aufblühen eines öffentlichen politischen Ausdrucks der Massen vor sich geht. Nie zuvor während der Regierungszeit Mubarak haben sich so viele an einem Ort zum öffentlichen Protest versammelt. Zehntausende von Menschen klatschten und skandierten Parolen im Einklang, von ernsten und patriotischen bis hin zu humorvollen Reimen, erfüllt von beißendem Witz. Viele haben die Nacht auf dem Platz verbracht und eine große Menge plant, noch länger dort zu bleiben.

Ein Hubschrauber schwebte über den Köpfen und zwei militärische Kampfflugzeuge flogen wiederholt vorüber, jedes Mal in niedrigerer Höhe, bis der Lärm ohrenbetäubend wurde. Was auch immer die Botschaft ist, die damit beabsichtigt war, die Menge ließ sich nicht einschüchtern. Sie jubelten, zeigten das Victory-Zeichen und winkten zum Trotz. Nach dem siegreichen Ausgang des Kampfs mit den Truppen des Innenministerium am Freitag, gibt es wenig, was die Begeisterung des ägyptischen Volkes oder dessen Ruf aus voller Kehle nach einem Wandel noch unterdrücken kann.

Mubaraks Versuch, den Massenaufstand durch Nennung zwei seiner Top-Parteifunktionäre zu beruhigen, Omar Suleiman, der berüchtigte Geheimdienstchef das Landes, als seinem ersten Vize-Präsidenten und Ahmed Shafik, einem ehemaligen Kommandanten der Luftstreitkräfte zum Ministerpräsidenten, riefen starken Widerspruch unter den Demonstranten hervor.

„Omar Suleiman ist keine Option. Die Leute skandieren heute gegen ihn „, sagte Nazly Hussein, ein 30 jähriger Demonstrant in Tahrir. „Die Menschen wollen das System stürzen… Ich glaube nicht, dass irgend jemand nach Hause gehen wird, bevor der Präsident und alle um ihn herum fort sind.“

Mohamed El Baradei – der Nobelpreisträger und ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergie-Organisation, ist heute zum Tahrir-Platz gekommen, um sich an die Massen zu wenden. Baradeis Ruf ist über jeden Zweifel erhaben und er genießt Respekt unter den meisten Ägyptern, aber viele sagen, er habe zu lange außerhalb des Landes gelebt und kritisieren ihn dafür, sich nicht an früheren Protesten beteiligt zu haben. Dennoch fordern einige, dass er in irgendeiner Art von Übergangsregierung beteiligt werden soll.

Das alles verbindende Thema bleibt jedoch Mubarak. Jeder will ihn fort sehen und es ist schwer sich vorzustellen, dass er noch das Geringste an Unterstützung in irgend einem Teil der ägyptischen Gesellschaft besitzt, abgesehen von einem sehr kleinen inneren Kreis, der noch zu ihm hält. Und so warten die Menschen. Es stellt sich heraus, dass sechs Tagen anhaltender Revolte nicht ausreichen, um eine 30 Jahre lang etablierte Macht zu stürzen. Aber der Geduldsfaden reißt.

Ein Mann, der sich sicher ist, dass Mubaraks Zeit vorüber ist, ist mein Onkel Mohamed Abd El Qudoos (Arabisch ist eine phonetische Sprache und die englische Schreibweise unseres Nachnamens variiert deshalb innerhalb der Familie). Mohamed ist ein führender Oppositionspolitiker und Demonstrant, und auch der Leiter des Freedom Committee im Press Syndicate, das Verbindungen zur Muslimbruderschaft hat. Er wurde im Laufe der Jahre unzählige Male verhaftet von der Polizei und Sicherheitskräften, weil er kleinere Demonstrationen anführte. Letzte Woche am Dienstag wurde er festgenommen und dann noch mal verhaftet während dem Aufstand am Freitag. Ein Bild von ihm, wie er von Polizisten in Zivil weg geschleift wird, wurde von internationalen Nachrichtenagenturen auf der ganzen Welt gezeigt. Er wurde schließlich frei gelassen und konnte sich am Samstag wieder den Protesten anschließen. Auf dem Tahrir-Platz kamen am Sonntag Dutzende von Menschen zusammen, um ihm Tribut zu zollen für seinen Kampf. Sie schüttelten seine Hand, küssten ihn zum Gruß und machten Fotos mit ihm.

„Das ist ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist“, sagte Mohamed, mitten auf dem überfüllten Platz sitzend in seiner gewohnten Bekleidung: Anzug, Flagge und Megaphon. „Erinnerst Du Dich, wie ich auf den Stufen des Press Syndicate stand, um zu protestieren? Ich stand alleine dort. Jetzt schau Dir die Leute an – sie sind alle hier.“

Sharif Abdel Kouddous ist Senior-Produzent für die Radio/TV Show Democracy Now.
Orginalartikel: Live From the Egyptian Revolution by Sharif Abdel Kouddous
Übersetzt von: Björn Pfeiffer – 30.01.2011 – http://www.democracynow.org