Überleben im Schnee

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Ein Stück nach dem Roman SCHNEE von Orhan Oamuk am Heidelberger Theater…

Von Ramona Ambs

Wer kein Jude ist, der wird dazu erklärt. So erging es auch Orhan Pamuk. Seit seinem Roman SCHNEE, in dem er eine Liebesgeschichte zwischen Kemalisten, Islamisten, Kommunisten und kurdischen Nationalisten platziert, steht Pamuk noch mehr als zuvor im Fokus diverser Extremisten. Denn Pamuk ist ein kritischer Kopf: Einer, der schon nach Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuchs, also wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt war. Einer, der aus Buchstaben Waffen feilt. Einer, den man einfach nicht Türke sein lassen kann, sondern lieber zum Juden macht.

SCHNEE, im türkischen Original „Kar“, erzählt von der Reise des Dichters Ka in die Stadt Kars, wo er für eine Zeitung über eine Selbstmordreihe von Kopftuch tragenden Mädchen recherchieren soll. Dabei hofft Ka sich seiner Jugendliebe Ipek  wieder annähern zu können, gerät aber, im durch den Schnee von der Außenwelt abgeschnittenen Kars zwischen die politischen Konfliktparteien.

Diese Geschichte wurde nun in ein Theaterstück umgesetzt und eröffnete – neben der Adaption des Films GEGEN DIE WAND- die neue Spielzeit im Heidelberger Theater mit dem Themenschwerpunkt Türkei.

Einen Roman, der im türkischen Original mit sehr viel Sprachpoesie und Lautähnlichkeiten arbeitet, ins Deutsche zu übersetzen, ist an sich schon problematisch, aus dieser Übersetzung dann noch ein Theaterstück zu konstruieren – sehr gewagt. Da lauern Klüfte und Klippen. Die Heidelberger Inszenierung meistert aber all diese mit Bravur. Selten ist zu sehen, wie die mit Ironie gepaarte Melancholie einer literarischen Erzählung so gekonnt eingefangen und auf die Bühne gezaubert wird, wie es hier Martin Süß und Kerstin Grübmeyer gelungen ist. Zahlreiche Szenen spiegeln genau diese  dichte und gleichzeitig distanzierte Poesie Pamuks wider. Frank Wiegard, der die Traurigkeit und Zerissenheit Ka`s wundervoll umsetzt, erzählt sein Gedicht vom Schnee auf eben diese pamuksche Weise. Und auch die Folterszene kommt gänzlich ohne die erwartete Bühnen-Aggresion aus und zeigt gerade deshalb und nachhaltiger verstörende Brutalität. Die Liebesszene, die eben keine Liebe in Szene setzt, sondern nur den Versuch zu lieben, wirkt umso zerbrechlicher, da die Hintergrundszenen erotisch aufgeladen werden.

Alles in diesem Stück hat mindestens zwei Gesichter. Natanael Lienhard, der gleich mehrere Islamisten spielt, zeigt, welche Abgründe menschlich und politisch hinter all diesen einsamen Figuren stehen. Axel Sichrovsky, der als Gegenpart den gescheiterten Schauspieler und kemalistischen Putschisten Sunay Zaim überzeugend mimt, nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise durch sein Leben und macht für alle nachvollziehbar, warum er wurde, was er ist. Es gelingt der Inszenierung, beinah wie der Literatur selbst, die Haltung einer jeden Figur, auch in ihrer Grausamkeit, nachfühlbar zu machen. Der Zuschauer ist, eingesperrt vom Schnee, allen Figuren ausgeliefert. Und der schöne, flockige Schnee, den Ka anfangs noch poetisch einfangen konnte, wird zum bedrohlichen Weiß, dessen kalte Hand ihn auch im deutschen Exil noch erwischt.


V.l.: Ka (Frank Wiegard), Fazil (Natanaël Lienhard), © Markus Kaesler

SCHNEE

nach dem Roman von Orhan Pamuk
Deutsch von Christoph K. Neumann
Regie Martin Süß
Bühne & Kostüme Veronika Mund
Lichtberatung Stephanie Schuster
Musik Dominik Knapp
Dramaturgie Kerstin Grübmeyer
Mit Antonia Mohr, Natalie Mukherjee; Simon Bauer, Klaus Cofalka-Adami, Dominik Knapp, Natanaël Lienhard, Axel Sichrovsky, Frank Wiegard

nächste Vorstellung:
16. 2.2010, Zwinger Heidelberg, 20.00 Uhr
http://www.theaterheidelberg.de/servlet/PB/menu/1351126_l1/index.html