Nicht nur Neve Salom: Mein Istanbul

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Ich war erst acht Jahre alt, da wurde ich eingepackt und auf die größte unter den vor Istanbul liegenden Inseln gebracht. Auf dieses Ereignis ist es wohl zurückzuführen, dass der Pferdeäpfelgestank, der bei manchen so etwas auslöst wie Seekrankheit, auf mich eine ähnliche Wirkung hat wie Madeleines‘ auf Marcel Proust…

Vivet Kanetti, in Oksan Svastics „Jüdisches Istanbul

»In jenem Sommer verzichtete ich auf meine Insel-Fahrradtouren und nahm Abschied von meinen Shorts«, ergänzte meine Mutter stets. Dabei erwartete sie von mir Verständnis für den Verlust, den die Insel auf Grund meiner Geburt erlitten hatte, und bedauerte diesen mittlerweile insgeheim …

Auch wenn sie sich von Fahrrad und Shorts verabschiedet hatte, so nahmen wir doch häufig die Kutschen, die von zwei schönen Pferden mit ihren blauen Plastikauffangschürzen für die Apfel gezogen wurden.
Der Nachmittagssport meiner Mutter bestand aus Kartenspielen mit ihren Freundinnen, und mich nahm sie stets mit. Ihr Spiel verband die Regeln des Romme mit dem Nervenkitzel beim Poker … Rastlos angespannt wie die Mitglieder einer Geheimorganisation trafen sie sich dazu bei einer jeweils anderen Freundin, nachdem sie bis 15 Uhr Hunderte von Dingen erledigt hatten. Der Tag begann damit, ihre Gatten anzukleiden, zu speisen und sie in der Kühle des Morgens zu verabschieden. Zwischen zwei Träumen hörte ich das Knirschen der Lederschuhe Dutzender von Männern, die aufgeregt zur Anlegestelle rannten, um das Exodus-Schiff zu erreichen. Die spät dran waren und die Kutsche nehmen mussten, schrien »Kutscheeerü!« und flehten in sich hinein: »Nimm mich mit, lass mich nicht bei den Frauen zurück!«

Wenn auf den Straßen als Männerstimmen nur noch die Rufe der Gemüsehändler, der Fisch-, Eis- und Maisverkäufer zu hören wann, wurde zu Hause das zweite Frühstück für die Älteren vorbereitet, denn im Sommer weilten in jüdischen Häusern mindestens eine, wenn nicht, wie bei uns, drei ältere Herrschaften (die Eltern meiner Mutter und die verwitwete Mutter meines Vaters). Das letzte Frühstück gehörte den Kindern. Dann gingen die stillen Verhandlungen, Erpressungen, Nervenkriege unter den wie Englein schlafenden, wie Teufel aufwachenden Bälgern und den Alten los, welche versuchten, ihre wie japanisches Papier brüchig gewordenen Knochen vor ihnen zu schützen“…

So beschreibt Vivet Kanetti.die Schriftstellerin, die Vielfalt ihres jüdischen Istanbuls, oder auch so: „Neve Salom, die größte Synagoge Istanbuls, ist natürlich immer noch in Galata, aber ich kann nicht behaupten, dass sie nach meinem heutigen Geschmack auch die mit dem meisten Charakter wäre. Ebenfalls in der Umgebung von Galata gibt es Synagogen für die Aschkenasen und andere für die Juden aus Edirne. Später sollte ich erfahren, dass auch die Italiener ihre eigene Synagoge hatten. In der Umgebung des von den Genuesern erbauten Galata-Turms befand sich ein altes jüdisches Siedlungszentrum, aber zu keiner Zeit in der Geschichte wurde es zu einem nur von Juden bewohnten Viertel, also zu einem Ghetto … Die Synagoge am Bosporus-Ufer von Ortaköy sollte ich zum ersten Mal anlässlich des Besuchs von Maurice, dem Mann meiner Cousine Renée, sehen, als er aus Paris nach Istanbul kam, um die Spuren seiner Kindheit vor 30, 35 Jahren zu suchen.“

Dieser Reiseführer zeigt Ihnen die wenig bekannte jüdische Seite der vergangenen und gegenwärtigen Metropole Istanbul.

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Jüdisches Istanbul:
Abwanderung: Die Juden in der Türkei nach 1945

Siehe auch: G’ttesdienstzeiten in Istanbul | Liste der Synagogeen |Koscher in Istandbul