Ein kleiner Streifzug durch die blühenden Landschaften der christlichen Nächstenliebe zum Nahen Osten…
Von Ramona Ambs
Manchmal weiß ich nicht, was schlimmer ist: die mit Pace-Fahnen bewaffneten Gegner Israels oder die vermeintlichen Freunde, die mit Kippa verkleidet dreimal täglich ihr Israelfähnchen in den Wind halten.
Beide Gruppen lösen bei mir heftige allergische Reaktionen aus, die besonders schlimm werden, wenn sich Motivation und Sprache der Agierenden aus dem christlichen Glauben speist. Anders gesagt: Israelfeinde und Israelfreunde sind dann besonders schlimm, wenn sie besonders christlich sind und ihren Glauben als Grundlage und Werkzeug für ihre jeweiligen Bezeugungen benutzen.
Ein alt-bekanntes Beispiel für christlichen Israelhass ist die Webseite kreuz.net. Regelmäßig erscheinen dort die aktuellsten Verschwörungstheorien gegen Juden und insbesondere gegen Israel. Vor wenigen Tagen erst konnte man wieder lesen, wie schlimm es, außer den Palästinensern, auch den Christen in Israel ergeht. Unter der Überschrift „Der Holocaust an den Christen macht gute Fortschritte“ berichtet die Webseite von Christenverfolgung und zitiert Berthold Pelster, Menschenrechtsexperte des katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. Dabei interpretiert man ihn schon mal kreativ nach: „Den langsamen Holocaust des rechtsradikalen Regimes in Israel muß Pelster als Deutscher aus rassenpolitischen Gründen verschweigen.“
Die „Oikoumene“, ein ökumenischer Kirchenrat von 349 Kirchen, hingegen hat ein ganz anderes Image. Laut Selbstbeschreibung wollen diese „gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Das alleine klingt schon gruselig, aber wie fast immer, wenn sich religiöse Motivation und politisches Statement mischen, kommt es noch schlimmer. Ganz aktuell findet man dort das sogenannte Kairos Dokument, eine Erklärung, die wie folgt überschrieben ist: „Die Stunde der Wahrheit: Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“. Auf den knapp 19 Seiten findet sich das Wort LIEBE genau 48 mal, das Wort HOFFNUNG 29 mal und GOTT darf sogar 84 mal auftreten. Damit ist dann auch klar, dass das Papier eher als Kirchenpredigt taugt, denn als politisches Dokument. Und auch wenn die Anprangerung palästinensischen Leids ganz sicher seine volle Berechtigung hat, ist die Sicht auf den Konflikt reichlich einseitig, denn „Israel rechtfertigt seine Aktionen, einschließlich der Besetzung, der kollektiven Bestrafung und aller anderen Formen von Repressalien gegen die Palästinenser, als Selbstverteidigung. Unserer Auffassung nach stellt diese Vorstellung die Realität auf den Kopf. Ja, es gibt palästinensischen Widerstand gegen die Besetzung. Wenn es jedoch keine Besetzung gäbe, gäbe es auch keinen Widerstand, keine Angst und keine Unsicherheit. Das ist unsere Sicht der Dinge.“ So einfach ist die Welt. Und so klar der Schuldige: Israel. „Die klare israelische Antwort, die sich jeder Lösung verweigert, lässt keinen Raum für positive Erwartungen. Dennoch bleibt unsere Hoffnung stark, denn sie kommt von Gott. Gott allein ist gütig, allmächtig und voller Liebe, und Seine Güte wird eines Tages den Sieg über das Übel davontragen, dem wir jetzt ausgeliefert sind. Paulus sagt: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? (…) Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht, ‚Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag;‘ (…) Denn ich bin gewiss, dass (nichts in der ganzen Schöpfung) uns scheiden kann von der Liebe Gottes“ (Röm 8, 31; 35; 36; 39).“
Auch bei Pax Christi findet sich das Kairos Dokument auf der Webseite. Eingeleitet mit den schönen und salbungsvollen Worten: „Eine Gruppe palästinensischer Christen und Christinnen (…) veröffentlicht einen leidenschaftlichen und vom Gebet erfüllten Aufruf zur Beendigung der Besetzung Palästinas durch Israel.“ Das wundert nicht weiter, hat Pax Christi den Unrechtsfokus doch auch – entgegen eigener, anderslautender Beteuerungen – einseitig auf Israel. Die Deutsche Sektion der internationalen katholischen Friedensbewegung will „handeln aus dem Geist des Friedens und der Versöhnung“. Dabei organisiert man bisweilen höchst Zweifelhaftes. Nicht nur die Beteiligung an der auch von rechtsextremen türkischen Gruppen mit organisierten Gazaflotille, deren erklärtes Ziel es war, Israel als Unrechtsstaat darzustellen, ist -diplomatisch formuliert – problematisch. Jedenfalls war diese Aktion ganz sicher nicht dazu geeignet, zu versöhnen oder gar Frieden zu stiften.
Ganz aktuell hat Pax Christi eine Palästina-Solidaritätskonferenz mit organisiert, die wie folgt angekündigt wird: „Wer im Zuge des Oslo-Friedensprozesses während der 90er Jahre auf eine Zwei-Staaten-Lösung hoffte, machte die Erfahrung, dass keine der etablierten israelischen Parteien bereit war, einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu akzeptieren.(…) Als praktische Konsequenz wollen wir die Möglichkeiten diskutieren, von der Bundesrepublik aus den zivilen Widerstand der Palästinenser gegen Besatzung und Diskriminierung zu unterstützen.“ Aha. Schön und gut, aber glaubt man denn ernsthaft, dass derlei „Handeln im Geist der Versöhnung“ ist? Muss eine sehr eigene, christliche Interpretation dieser Handlungsmaxime sein…
Ein weiterer „Ruf zur Versöhnung“ ertönt aus einer anderen, quasi der gegenüberliegenden christlichen Ecke. Dort stehen Christen mit „einem Herz für Israel und die jüdischen Menschen“. Das Herz für Muslime muss irgendwie abhanden gekommen sein, zumindest kommt es innerhalb dieser christlichen Nächstenliebe nirgends vor. Dafür aber gibt’s „palästinensische Gewalttäter“ und ein bisserl Islamisierungsphantasien. Die „Christen an der Seite Israels“ sind wohl die Bekannteste dieser Gruppierungen, die sich regelmäßig durch israelsolidarische Aktionen profilieren wollen. Doch die Israeldemonstrationen und Kongresse der christlichen Brüder und Schwestern waren bereits im Jahr 2002 vielen Juden ein Ärgernis. Denn „die Demonstranten, die israelische Fahnen schwenkten“ und sich durch ihr Äußeres jüdisch gaben, „waren zumeist fundamentalistische Christen, die einen palästinensischen Staat ablehnen und glauben, dass die jüdische Kontrolle über das biblische Land Israel eine Voraussetzung für die Rückkehr Jesu ist.“
Der „Wächterruf“ nimmt offiziell weniger an Demonstrationen und Kongressen teil. Diese christliche Gruppe betet aber für diese Konferenzen (z.B. für den erfolgreichen 1. Deutschen Israelkongress in Frankfurt/Main unter dem Motto „Gemeinsam für Israel“ am 31. Oktober 2010) und natürlich auch für Israel. Denn: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht Euer Gott“ (Jes. 40,1). Nichtjüdische Menschen, die an den Gott Israels glauben, werden von Gott selbst ermutigt, Israel zu trösten. Für wen könnte diese Aufforderung mehr Gültigkeit haben, als für Christen aus Deutschland, nach dem Leid, das unser Volk dem jüdischen Volk zugefügt hat?“ Aber der Wächterruf will nicht nur trösten, er will auch über das Volk Israel wachen: „Die geistliche Verbundenheit dieser deutschen Gebetsbewegung mit Israel drückt sich nicht zuletzt im Namen aus. Der Name „Wächterruf“ ist angeregt durch die Bibelstelle aus Jesaja 62,6-7 :O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!“ Offenbar hat sich in diesen Kreisen noch nicht herumgesprochen, dass die realen Erfahrungen des Volkes Israels mit deutschen, christlichen Bewachern in der Vergangenheit- nun, sagen wir mal- nicht die Besten waren. Aber offenbar macht es Spaß, Bewacher von Juden zu sein. Und wenn man sogar noch ein Bibelzitat dazu parat hat!
Der November-Gebetsbrief des Wächterrufs stammt von Harald Eckert, dem Vorstandsvorsitzenden der „Christen an der Seite Israels“. Zu Beginn steht eine Wächter-Warnung : „Dieser Gebetsbrief ist vertraulich und dient ausschließlich als Hintergrundinformation zu Gebet und Fürbitte“. Klingt ja spannend. Christliche Gebete für Israel sind vertraulich und geheim? Warum nur? Betrachten wir also mal dieses „Gebet“: „Die Entwicklungen des Jahres 2010 zeigen im Rückblick: Der Druck auf Israel verstärkt sich. Die Gegner bzw. Feinde Israels rücken näher zusammen, zum Beispiel Türkei und Iran. Islamisten und Linke. Gerade die Flotilla-Ereignisse im Frühjahr haben dies gezeigt. Die einzige richtige Reaktion der Freunde Israels darauf muss sein: Auch wir rücken enger zusammen.“ Oha – solche Gebete kannte ich noch gar nicht. Aber es geht noch weiter: „Der größte Teil der Welt setzt die israelische Regierung unter erheblichen Druck, Land abzugeben und den Bau von Wohnungen in Jerusalem einzustellen. Lasst uns beten, dass Gott dieser Regierung – und besonders PM Netanyahu – Kraft, Weisheit, Entschlossenheit und den Schutz schenkt, immer wieder in Seinem Sinne für Sein Volk und Sein Land zu entscheiden.“ Prima, Christen beten für weiteren Siedlungsbau in Israel und nennen das dann Friedensgebet. Andererseits betet der Wächterruf ja für so manch seltsame Sache. Im einem anderen Brief beispielsweise dankt man Gott dafür, dass sich in den letzten „10 Jahren die Akzeptanz eines Nationalbewusstseins auch für Deutsche wieder eingestellt hat“ und man vor „diesem Hintergrund sich wieder traut von einer Leitkultur“ in diesem Land zu sprechen.
Aber es wird noch mehr gebetet. Die „christlichen Freunde Israels“ beten beispielsweise: „Lasst uns den Allmächtigen dafür preisen, dass Er die Kontrolle hat, und dass Er uns bereits durch die Propheten gesagt hat, wie der Ausgang sein wird (Sacharja 12,1–9; 10–13; 14,1–15). Lasst uns dafür beten, dass die Leiter Israels mit Weisheit handeln und von Gott hören, wie sie in den folgenden Tagen militärisch vorangehen sollen. Lasst uns dafür beten, dass Israel als Nation beginnt, den Höchsten Gott mehr und mehr um Führung und Antworten zu suchen, in mitten all diesen internationalen Drucks.“
Das militärische Vorgehen Israels in Gottes Hand? Die christliche Nächstenliebe treibt bisweilen seltsame Blüten. Aber nicht nur für die jüdischen Führer in Israel wird gebetet. (Nicht, dass da Neid aufkommt!) Man betet auch für unsereins: „Bitte beten Sie für die jüdischen Menschen des linken politischen Flügels, dass es unter ihnen ein Erwachen bezüglich des biblischen Mandates für Israel geben möge“.
Bei aller Absurdität darf man jedoch nicht vergessen, dass diese christlichen Gruppen nicht nur im stillen Kämmerlein vor sich hin beten, sondern mittlerweile verstärkt versuchen, mit jüdischen Institutionen zusammenzuarbeiten, Konferenzen zu organisieren und Demonstrationen durchzuführen – und leider lassen sich hin und wieder jüdische und deutsch-israelische Organisationen darauf ein, mit diesen vermeintlichen Freunden Israels zusammenzuarbeiten. Zum Glück aber noch immer eher selten. Deshalb fordern die christlichen Freunde ihre Glaubensbrüder und -schwestern dazu auf, diese Gebete zu intensivieren: „Bitte beten Sie für alle jüdischen religiösen Institutionen, damit sie Wege finden, wie sie zum Wohle aller zusammenarbeiten können.“
Der arme christliche Gott hält sich mittlerweile bestimmt alle Ohren zu, wenn er von seinen Schäfchen angerufen wird. So viele widersprüchliche Gebete könnten ja einen Tinnitus verursachen. Die einen Christen beten für die Befreiung Palästinas von den israelischen Besatzern, die andern beten für ein rein jüdisches Israel. Beide Lager veranstalten Konferenzen und betreiben Büros, Zeitungen und Webseiten. Sie organisieren Demonstrationen und Konferenzen, deren Aussagen widersprüchlicher nicht sein könnten.
Eins jedoch haben israelkritische und israelsolidarische Christen gemeinsam: sie missbrauchen biblische Verheißungen für ihre jeweils eigene Mission. Und schon allein deshalb sollte man diese Gruppen ausschließen. Solange diese christlichen Splittervereine auf Kirchentagen, Israelkonferenzen oder Palästinademonstrationen ein Forum bekommen oder man gar mit ihnen gemeinsam derlei vorbereitet, verschafft man ihnen eine Legitimität, derer sie nicht würdig sind. Und man verschafft ihnen die Möglichkeit, ihre abstrusen Ideen in Form von Flugblättern und Broschüren unters Volk tragen zu können. Dabei gehören diese Anliegen in religiöser Verkleidung nun wirklich in ein stilles, oder besser schalldichtes Kämmerlein, meinetwegen verpackt in ein einsames Gebet…
Mehr zum Thema:
http://juden.judentum.org/
https://www.hagalil.com/israel/fundamentalismus/nai.htm