Strategische Revolution im Nahen Osten?

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Im Libanon gehen die Gemüter hoch. Im kommenden September will der kanadische Vorsitzende einer UNO-Untersuchungskommission, Richter Daniel Belmar, seine Erkenntnisse zur Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik el Hariri präsentieren. Nicht der syrische Geheimdienst, sondern die schiitische Miliz Hisbollah sei in den Mord im Februar 2005 verwickelt…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 1. August 2010

Ausgerechnet der erste Kanal des israelischen Fernsehens veröffentlichte am Donnerstag exklusiv, dass Mustafa Badr Aldin, ein Cousin des in Damaskus ermordeten Militärchefs der Hisbollah, Imad Murgnijeh, von der Untersuchungskommission als Hauptverdächtiger des Mordes an Hariri gesehen wird. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah erklärte ungehalten, dass kein Verlass auf eine Kommission sei, an der Amerikaner teilnehmen, die Kontakte zum Mossad hätten.

Am Wochenende fand nun in Beirut ein historischer „Beruhigungsgipfel“ statt. Im gleichen Flugzeug kamen aus Damaskus der syrische Präsident Baschar Assad, sowie der saudische und jordanische König angeflogen, um den heutigen libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri zu treffen, Sohn des ermordeten Rafik Hariri.

Sollte sich die in Israel veröffentlichte Information als richtig erweisen, könnte das den Libanon in einen neuen Bürgerkrieg stürzen und den Nahen Osten zur Explosion bringen. Der ungewöhnliche Gipfel in Beirut, die erste Visite eines saudischen Königs nach 50 Jahren und der Besuch von Präsident Assad fünf Jahre nachdem die Syrer ihre Truppen mit Schimpf und Schande aus dem Libanon abziehen mussten, deutet auf den Ernst der Lage hin.

Parallel zum Gipfel erklärten führende Hisbollah-Leute dem syrischen Außenminister Walid Muallem ihre Planungen zur „Operation Libanon durchschütteln“. Sollte die UNO ihren Report mit einer namentlichen Beschuldigung führender Hisbollah-Befehlshaber veröffentlichen, würde die Hisbollah die Regierung verlassen, Hariri stürzen und den Libanon ins Chaos stürzen. Gleichzeitig würde Syrien ein Ultimatum gestellt, dass nur ein verschwommener UNO-Bericht ohne Namensnennungen den Libanon vor dem Untergang bewahren könne.

Denn die Hisbollah geriete innenpolitisch in eine Zwickmühle, sich einerseits als Beschützer der Libanon aufzuspielen, indem sie dem israelischen Feind die Stirn bietet, und andererseits für die Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Verantwortung trägt.

Saad Hariri stünde vor einem anderen Dilemma: Gemäß der arabischen Mentalität müsste er den Mord an seinem Vater rächen. Doch dessen mutmaßliche Mörder sitzen mit ihm am Regierungstisch. Gleichzeitig hat Hariri als Regierungschef eine moralische Pflicht, die Ruhe in seinem aufblühenden Land zu wahren.

Syriens Präsident Assad, selber nun die Hände in Unschuld waschend, warnte in Beirut davor, Befehlshaber der Hisbollah vor den internationalen Gerichtshof zu zerren. „Bis vor zwei Jahren galt Syrien als Hauptverdächtiger und Dutzende Syrer wurde von Libanesen aus Rache ermordet“, sagte Assad. Der syrische Präsident forderte von der UNO ganz einfach, die Untersuchung des Hariri-Mordes umgehend einzustellen und nichts zu veröffentlichen, weil sie „eine Bürde für den Libanon darstellt und die Stabilität des Landes gefährdet.“ Syrien steht vor einem mehrfachen Dilemma.

Die Aufrüstung der Hisbollah mit über 40.000 Raketen aus dem Iran ist nur mit logistischer Hilfe Syriens möglich. Gleichzeitig vermuten arabische wie israelische Experten, dass Syrien eine Intention habe, „den Libanon wieder zu übernehmen“. Der Iran will seine Kontrolle über die Hisbollah nicht verlieren, um die mit Raketen ausgestattete Miliz im gegebenen Fall zu benutzen, „jeden Punkt in Israel gezielt zu treffen“, wie Israelis befürchten. Irans UNO Botschafter, Mohammed Khazaee, drohte am Wochenende bei einer Pressekonferenz für den Fall einer Attacke auf iranische Atomanlagen: „Teheran wird Tel Aviv niederbrennen“. Das könnte Iran am besten durch einen konzertierten Raketenbeschuss Israels aus Libanon und dem Gazastreifen bewerkstelligen.

Saudi Arabien hat wegen umfangreichen Investitionen im Libanon ein eigenes Interesse an Ruhe im Land der Zedern. Der jordanische König Abdullah wiederum ist mit Saad Hariri befreundet. Zusammen mit dem syrischen Präsidenten besprachen sie mögliche Kompromisse. Gemäß arabischen Pressemeldungen wurden die allerdings von der Hisbollah zurückgewiesen. So wurde vorgeschlagen, dass Libanons Präsident Michal Suleiman sich an die UNO mit der Bitte wenden sollte, die Arbeit der Kommission zu bremsen und vorläufig nichts zu veröffentlichen. Dann kam die Idee, nicht Befehlshaber der Hisbollah namentlich zu nennen, sondern nur „undisziplinierte Elemente innerhalb der Organisation“ zu erwähnen. Doch das reicht der Hisbollah nicht. Denn in jedem Fall würde behauptet, dass die Ermordung Hariris nicht ohne Wissen des Chefs, Hassan Nasrallah, passieren konnte. Nasrallah könnte wegen des Verbrechens in Den Haag angeklagt werden. Das freilich würde das gesamte Machtgefüge im Libanon aufwühlen und Schockwellen bis nach Tel Aviv, Teheran und in zahlreiche arabische Hauptstädte in der Region ausstrahlen.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

2 Kommentare

  1. Egal von welcher Perspektive man die Situation auch betrachtet. Durch das unentschlossene Verhalten von Präsident Barack Obama gewinnt das Regime in Theran immer mehr Zeit, sein Kernwaffenprogramm zum Abschluß zu bringen. Die löchrigen Sanktionen, die von der UN verabschiedet wurden, werden den Iran kaum davon abhalten, in sehr naher Zukunft die Region vor vollendeten Tatsache zu stellen.

    Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wäre es reine Zeitverschwendung, einen Befehlshaber der Hisbollah vor den internationalen Gerichtshof zu zerren. Es würde ganz im Gegenteil den Iran nur weiter dazu ermuntern, den Libanon als quasi Exit-Strategie in Geiselhaft durch die Hisbollah zu halten. Die ökonomischen Intentionen der Saudis im Libanon sind in der Tat zumindest für die nächste Zeit ein Garant, dass es nicht wieder zu einem überflüssigen Krieg kommt. Eine bewußt provosierte Blutfehde wäre fatal für die Region.

    Von den Europäern ist ohnehin nicht viel zu erwarten. Die peinliche Intervention von Tony Blair, hat Israel ja dazu genötigt, die Blockade zumindest zu lockern. In der Quintessenz wird das aber weiter destabilisierend wirken. Syriens Ministerpräsident Assad versucht wie immer durch seine Ränkespielchen sich als zweiter Partner des Irans zu manisfestieren. Israel muss zwingend die Amerikaner davon überzeugen, welchen taktischen Zeitgewinn diese Nebenschauplätze für den Iran bedeuten. Die Atomanlagen im Iran müssen unter allen Umständen weg, bevor es noch schwieriger wird, überhaupt noch zu verhandeln.

    Laila tov, virgil

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