Das verflixte zweite Jahr

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Bislang hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Amtszeit unerwartet gut überstanden, allerdings nicht zuletzt, weil er kontroverse Entscheidungen vermied. Nun wachsen die Pro­bleme…

Von Stefan Vogt
Jungle World v. 1. April 2010

Viele hatten ein frühes Ende der von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geführten Regierung prophezeit. Doch die heterogene Koalition hat Bestand. Wenn Netanjahu nun auf ein Jahr im Amt des israelischen Ministerpräsidenten zurückblickt, wird er dies vermutlich mit Wehmut tun. Denn während dieses erste Jahr erstaunlich einfach für ihn gewesen ist, dürfte er in Zukunft größere Probleme und härtere Konflikte zu bewältigen haben.

Der jüngste Streit mit der US-Regierung ist dafür paradigmatisch. Als die israelische Regierung den Ausbau eines jüdischen Viertels in Ostjerusalem ausgerechnet während eines Staatsbesuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden ankündigte, reagierte die US-Regierung ungewöhnlich scharf. Die Ankündigung sei nicht nur eine »Beleidigung«, sondern auch »ein zutiefst negatives Signal«, das »das Vertrauen und die Zuversicht in den Friedensprozess unterhöhlt«, sagte Außenministerin Hillary Clinton.

Sie forderte von Netanjahu die Zusicherung, dass in Ostjerusalem keine weitere Bautätigkeit stattfinden werde. Außerdem sollte er erklären, dass Israel bereit sei, über alle grundlegenden Fragen zu verhandeln, einschließlich der Zukunft von Jerusalem, und eine Reihe von Gesten des guten Willens gegenüber der palästinensischen Autonomieführung machen, etwa eine größere Zahl von Häftlingen aus den Reihen der Fatah freilassen. Es ist lange her, dass eine US-Regierung mit ähnlich deutlichen Forderungen an Israel herangetreten ist. Zuletzt hatten dies George H. W. Bush und sein Außenminister James Baker 1991 getan. Das Ergebnis war damals der Beginn des sogenannten Oslo-Prozesses.

Netanjahu wurde im Weißen Haus eher kühl empfangen, und was der israelische Ministerpräsident in den vergangenen Wochen zu hören bekam, ist vielleicht nur ein Vorgeschmack dessen, was ihn in seinem zweiten Amtsjahr erwartet. Zwar hat sich die Nahost-Politik von US-Präsident Barack Obama bisher eher durch Inkonsistenz ausgezeichnet und dadurch vermutlich mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht. Nach der Zustimmung des Repräsentantenhauses zur Gesundheitsreform aber hat es Netanjahu mit einem gestärkten amerikanischen Präsidenten zu tun. Obama kann dem Nahost-Konflikt nun mehr Aufmerksamkeit schenken.

Die außenpolitische Bilanz des ersten Regierungsjahrs Netanjahus ist bestenfalls zwiespältig. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat er es vermieden, Israel in einen weiteren Krieg zu verwickeln. Doch das Ansehen Israels hat durch den Goldstone-Bericht, der sowohl der Hamas als auch Israel vorwirft, im Gaza-Krieg gegen das interna­tionale Recht verstoßen zu haben, und den Verdacht, der Mossad habe den Hamas-Funktionär Mahmoud al-Mabhouh in Dubai ermordet, erheblich gelitten. Zuvor hatte Außenminister Avigdor Lieberman durch undiplomatische Äußerungen die ohnehin seit dem Gaza-Krieg gespannten Beziehungen zur Türkei, dem bis dahin wichtigsten Verbündeten Israels in der Region, auf einen Tiefpunkt gebracht. Immerhin war es Netanjahu gelungen, Lieberman ansonsten weitgehend aus der Außenpolitik herauszuhalten und damit weitere potentielle Schäden für das Image Israels zu vermeiden.

Dass die Beziehungen zu den USA nicht bereits früher in eine Krise geraten sind, ist vor allem der erfolgreichen Taktik Netanjahus geschuldet. Schon mehrfach hätten die amerikanischen Forderungen zum Bruch der Koalition und zur Spaltung von Netanjahus eigener Likud-Partei führen können. In der Koalition und in der Likud-Partei sitzt eine Reihe von Politikern, die sich explizit gegen eine Einigung mit den Palästinensern auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung stellt. Netanjahus Taktik war es bisher, diese Konflikte erst gar nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Als er sich im Juni 2009 grundsätzlich zur Zweistaatlichkeit bekannte und damit eine amerikanische Forderung erfüllte, machte er zugleich klar, dass seine konkrete Vorstellung über die Gestaltung der beiden Staaten sehr viel mehr mit den Ideen der Siedler zu tun hatte als mit denen der Palästinenser. Auf die Forderung der US-Regierung nach einem Siedlungsstopp reagierte er ebenfalls mit einer prinzipiellen Zustimmung, die in der Praxis durch eine Reihe von Einschränkungen unterhöhlt wurde.

Dem Prinzip, kontroverse Entscheidungen zu vermeiden, folgt Netanjahu in der gesamten Regierungsarbeit. Die wichtigsten Fragen werden in einem Kreis von sieben Kabinettsmitgliedern behandelt, dem Repräsentanten der drei wichtigsten Koalitionspartner sowie der linken und der rechten Fraktion des Likud angehören. Dies hat es Netanjahu erleichtert, potentielle Koalitionskonflikte zu lösen, bevor sie überhaupt entstehen, und damit eine Regierung zusammenzuhalten, der viele ein frühes Ende prophezeit haben. Dies ist keine geringe Leistung. Es hat aber auch dazu geführt, dass wichtige Entscheidungen von der Regierung systematisch vermieden wurden.

Das gilt in erster Linie für die Frage einer friedlichen Lösung des Konflikts mit den Palästinensern. Es gilt aber auch für eine Reihe innenpolitischer Probleme. Bisher hat Netanjahu davon profitieren können, dass Israel von der globalen Finanzkrise erstaunlich wenig betroffen wurde. Im letzten Quartal 2009 konnte die israelische Wirtschaft ein Wachstum von 4,4 Prozent verzeichnen. Die Zahl der Arbeitslosen sank weiter und lag am Ende des Jahres bei 7,4 Prozent. Auch sind Netanjahu im ersten Jahr seiner Amtszeit größere soziale Konflikte erspart geblieben. Dies hat sicherlich nicht zuletzt damit zu tun, dass Ofer Eini, der Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes Histadrut, maßgeblich dazu beigetragen hat, die Arbeitspartei und mit ihr auch die Gewerkschaften in die Koalition einzubinden.

Allerdings musste dafür auch Netanjahu seine eigenen wirtschaftspolitischen Pläne zurückstellen. Als Finanzminister unter Ariel Sharon hatte er sich vor allem als Vertreter eines konsequenten Wirtschaftsliberalismus präsentiert. Auch im letzten Wahlkampf hat er Steuersenkungen und eine Privatisierung des umfangreichen öffentlichen Grundbesitzes versprochen. Passiert ist in dieser Hinsicht bislang nicht viel, inzwischen aber wird Netanjahu wieder häufiger an seine Wahlversprechen erinnert. Die großen Auseinandersetzungen zwischen denjenigen, die die Reste des Sozialstaats erhalten wollen, und jenen, die dies für überflüssig halten, stehen in Israel noch bevor. Dabei gehört Israel bereits jetzt zu den westlichen Ländern mit der größten Diskrepanz zwischen den armen und den reichen Schichten der Bevölkerung. Soziale Konflikte sind für die Zukunft programmiert.

In einem Bereich war die Regierung Netanjahus allerdings aktiv: in der Migrationspolitik. Wie so viele andere rechte Regierungen bedient auch die israelische in Zeiten politischer Stagnation fremdenfeindlicher Affekte. Innenminister Eli Yishai etwa hatte im November erklärt, dass Hunderttausende Arbeitsmigranten, deren Zustrom angeblich bevorstehe, Krankheiten und Drogen nach Israel bringen würden. Netanjahu selbst bemühte die in diesem Zusammenhang auch anderswo gängige Behauptung, die Migranten würden den Arbeitsmarkt beeinträchtigen und die Sicherheit gefährden.

Die Regierung plant, die ohnehin bereits dürftigen Rechte der Migranten weiter zu beschneiden. Wegen der prekären Rechtslage hält sich fast die Hälfte der Arbeitsmigranten illegal in Israel auf, möglichst viele von ihnen sollen ausgewiesen werden, überdies ist geplant, eine Sperranlage an der ägyptischen Grenze zu errichten. Es ist zu erwarten, dass auf diesem Gebiet am schnellsten Entscheidungen fallen werden, denn hier sind die Meinungsverschiedenheiten unter den Koalitionsparteien ausgesprochen gering.

Immerhin ist die Frage der Migrationspolitik im Laufe von Netanjahus erstem Regierungsjahr ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Seit langem schon arbeitet in Israel eine große Zahl von flüchtlings- und migrationspolitischen Gruppen, aber erstmals wird über dieses Thema nun in den nationalen Medien diskutiert. Neben den Migranten trifft die diskriminierende Politik der Regierung vor allem die größte Minderheit, die ara­bischen Israelis. In der vergangenen Woche veröffentlichten Bürgerrechtsorganisationen einen Bericht, demzufolge die Zahl der Gesetze mit rassistischen Implikationen in dieser Legislatur­periode um 75 Prozent höher liegt als in den Jahren davor.

Diese Fragen gefährden den Bestand der Regierungskoalition jedoch nicht. Auch von Seiten der israelischen Wählerinnen und Wähler scheint Netanjahu keine unmittelbare Gefahr zu drohen. Während seine Popularität in den vergangenen Monaten abgenommen hat, unterstützt Umfragen zufolge weiterhin eine Mehrheit die rechten Parteien. Überdies hat es Netanjahu offenbar geschafft, die Linke endgültig bedeutungslos werden zu lassen. Die Arbeitspartei hatte bei den Wahlen im vergangenen Jahr noch 13 Sitze in der Knesset bekommen, dies war das mit Abstand schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte. Derzeit würde würde sie gerade noch auf neun Abgeordnete kommen, nachdem sie zwischenzeitlich sogar schon auf sechs abgesackt war. Eine ernst zu nehmende politische Kraft ist sie jedenfalls nicht mehr.

Wesentlich gefährlicher für den Bestand der Regierung ist der Druck, der in den kommenden Monaten von der US-Regierung ausgehen könnte. Die Amerikaner haben bereits erreicht, dass der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas seine Taktik geändert hat und nun zur Wiederaufnahme von Gesprächen bereit ist. In den Reihen der israelischen Regierungskoalition formiert sich unterdessen der Widerstand gegen jegliche Zugeständnisse an die Palästinenser. Helfen kann in dieser Situation eigentlich nur noch einer, Mah­moud Ahmadinejad. Je sturer der iranische Präsident an seinem Atombombenprogramm festhält und je radikaler seine antisemitischen Tiraden ausfallen, desto eher bietet sich Netanjahu die Möglichkeit, seine hinhaltende Politik fortzuführen. Bleibt zu hoffen, dass der Iraner nicht auf diesem Weg am Ende doch noch sein Ziel erreichen wird.

1 Kommentar

  1. Der Netanjahu ist eigentlich ein guter. Wundert mich dass er nix gegen die Siedlungspolitik unternimmt. Denn gerade diese Politik macht Israel derzeit unglaubwürdig.
    Und Liebermann sollte seinen Posten doch endlich schleunigst räumen. Dieser Mann ist eine Schande. Wenn der so weitermacht ist Israel bald auf sich alleine gestellt!

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