Gemeinsam mit Robert Danneberg im Konzentrationslager

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Robert Danneberg, ein Freund Ernst Federns, gehörte zu den führenden sozialistischen Politikern Österreichs Anfang bis Mitte des vorigen Jahrhunderts…

Von Roland Kaufhold

Er war gemeinsam mit Ernst Federn im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt und verstarb im Dezember 1942 im Konzentrationslager Auschwitz. 1973, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus den USA nach Österreich (vgl. Kaufhold, 2001),  veröffentlichte Ernst Federn diesen Erinnerungsaufsatz an seinen 29 Jahre älteren Freund Robert Danneberg in der österreichischen Zeitschrift „Zukunft“. Ernst Federn beschreibt die Persönlichkeit und das Wirken dieses außergewöhnlichen österreichischen Politiker in persönlicher, berührender Weise – so wie er ihn in Buchenwald kennengelernt hat. (Foto: Robert Danneberg um 1905)
 

Gemeinsam mit Robert Danneberg im Konzentrationslager (1973)

Von Ernst Federn

Wahrscheinlich am 12. Dezember 1942 starb Robert Danneberg im Lager Auschwitz-Birkenau. Ob er in den Gaskammern vergiftet worden war oder im Spital durch eine Injektion ermordet wurde, ist nicht mehr feststellbar und wohl auch unwichtig. Er war im Oktober 1942 mit tausend anderen jüdischen Häftlingen, unter ihnen viele österreichische Sozialisten, von Buchenwald abtransportiert worden, wo nur zweihundert, die sich als Maurerlehrlinge gemeldet hatten, zurückgeblieben waren.

Er war 57 Jahre alt, als er starb, und hatte viereinhalb Jahre Konzentrationslager hinter sich. Seiner zu gedenken, scheint mir um so berechtigter, da seine historische Bedeutung für die Sozialistische Partei Österreichs immer hinter der von Karl Renner und Otto Bauer hatte zurückstehen müssen. Die mit der Geschichte des Austromarxismus Vertrauten wissen aber, dass Robert Danneberg der eigentliche Architekt des österreichischen Sozialismus zwischen den beiden Weltkriegen war.

Es war seine Idee gewesen, Wien als eigenes Bundesland von Niederösterreich abzutrennen, und er hat das auch durchzusetzen gewusst. Die Rolle des Roten Wien wurde dadurch erst möglich gemacht. Robert Helmer sagte von ihm in seiner Gedenkrede vom 7. Dezember 1952: „Er war der Schöpfer der neuen Wiener Gemeindeverfassung, er führte die Neuordnung der Verwaltung des Wiener Magistrats durch, er schuf die Institution der amtsführenden Stadträte und begründete schließlich, dies war seine größte soziale Ruhmestat, die Wiener Wohnbausteuer.”

Eine kurze Zusammenfassung von Dannebergs Wirken sei mir hier gestattet: Geboren am 23. Juli 1985 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes, wurde er Jurist. Mit 22 Jahren wandte er sich ganz der politischen Arbeit zu, wurde Sekretär der Jugendinternationale und gehörte zum linken Flügel der II. Internationale, die gegen die Unterstützung der Kriegspolitik im Ersten Weltkrieg kämpfte. Nach der österreichischen Revolution wird Danneberg Mitglied des Parteivorstandes, 1922 Parteisekretär und Präsident des Wiener Landtages. Er ist einer der Wenigen, der zugleich Abgeordneter zum Wiener Landtag und zum Parlament ist. 1932 übernimmt er das Amt des Stadtrates für Finanzen als Nachfolger Hugo Breitners.

Nach den Februarkämpfen 1934, die er zu verhindert versuchte, wird er acht Monate in Untersuchungshaft gehalten, bleibt dann als Mittelsmann zwischen Otto Bauer und den illegalen Revolutionären Sozialisten politisch tätig. Seine letzte Tätigkeit war es, am 7. März 1938 bei der ersten öffentlichen Versammlung der Illegalen sozialistischen Bewegung Karl Hans Sailer als Leiter einer neuen sozialistischen Partei vorzuschlagen.

In Dachau und Buchenwald

Vier Tage später marschierten die Nazitruppen ein. Danneberg wurde beim Grenzübergang in die Tschechoslowakei Opfer eines unglücklichen Zufalls – die genauen Ereignisse wurden verschieden dargestellt – und fiel in die Hände der Gestapo. Anfang Mai kam er mit dem ersten Transport politischer Häftlinge nach Dachau.

Ich folgte ihm dorthin am 24. Mai. Erst in Dachau und dann sehr eng in Buchenwald, wohin wir am 24. September überstellt worden waren, lernte ich Robert Danneberg persönlich kennen. Wir waren demselben Block und in diesem demselben Tisch zugeteilt worden. Von diesem Tage an bis zu seinem Abtransport nach Auschwitz war ich mit ihm ständig beisammen gewesen.

Nun muss mir der Leser für einen Augenblick erlauben, über mich selber zu schreiben, obwohl ich nicht der Gegenstand dieses Artikels bin. Um aber zu verstehen, warum ich mit vielen meiner Mitgefangenen, und darunter auch Robert Danneberg, sehr vertraut werden konnte, muss berichtet werden, dass ich vom September 1939, also vom Kriegsbeginn, bis in die ersten Monate des Jahres 1943 Nachtwächter war. Dieser Posten war wegen der Verdunkelung des Lagers von der SS angeordnet worden, und es war mir gelungen, diesen natürlich sehr begehrten Arbeitsplatz zu bekommen und zu halten. Ich begann meinen Dienst gewöhnlich um 11 Uhr nachts, nachdem der Blockälteste schlafen gegangen war, und wachte dann bis zum Wecken um 4.30 Uhr. Um Mitternacht herum kamen einige der Häftlinge aus dem Schlafsaal, um zur Toilette zu gehen, und auf dem Rückweg blieben sie dann gerne bei mir stehen. Man traute sich nicht niederzusetzen, um im Falle einer Kontrolle durch die SS sofort als wie auf dem Wege zum Schlafsaal erscheinen zu können. Wir standen daher um den Ofen herum, auf dem wir Kartoffeln zu braten pflegten, die, mit Senf genossen, für uns eine Delikatesse waren. So wurde auch Robert Danneberg beinahe täglich mein Gesprächspartner.

Ohne diese Abweichung in ein Detail des Buchenwalder Alltags würde mein Bericht über eine enge Freundschaft mit Robert Danneberg kaum glaublich erscheinen. Ich hätte den Jahren nach sein Kind sein können. Im Lager standen viele seiner engsten Parteifreunde ihm dem Alter nach viel näher. Die kurzen Zeiten am Tisch hätten auch nicht ausgereicht, die Beziehung zu mir so enge zu gestalten. Aber in diesen nächtlichen Gesprächen wurden Freundschaften geschlossen, die mir unauslöschlich in Erinnerung blieben.

Zu Robert Danneberg empfand ich sehr bald die Gefühle eines Sohnes, was ja weiter keiner Erklärung bedarf. Auch er selber sprach zu mir mit demselben Gefühl, wenn er manchmal ausrief: „Ernstl, Ernstl, dir ist immer alles klar. Nichts ist klar.” Hier lag wohl der Unterschied in unseren Temperamenten, aber es fällt mir oft ein, wenn ich nun selber im Alter von Danneberg dasselbe manchmal einem jüngeren Kollegen oder Freund sagen möchte.

Freilich wusste Danneberg von mir durch Therese Schlesinger, mit der er seit Jugend befreundet war. Ich wiederum war der jüngste in einem Kreis von Genossen, die für Therese Schlesinger die größte Bewunderung hegten. Zu ihnen zählten Otto Bauer und Fritz Adler sowie Käthe Leichter, Julius Brauntal, Marianne und Oscar Pollak und andere mehr. Ich hatte also die beste Empfehlung zu Danneberg, und er fühlte sich ganz unbenommen, wenn er mit mir sprach. Es war selbstverständlich, dass in den langen Gesprächen der Nacht die Politik der österreichischen Sozialdemokratie immer wieder durchdiskutiert wurde.

Danneberg war überzeugt gewesen, dass das Schicksal Österreichs von der Außenpolitik bestimmt worden war. Ich hatte eine viel zu große Verehrung für ihn, als dass ich ihm widersprochen hätte. Nichts lag mir ferner, als über etwas zu streiten, was vorüber war, und mich darum zu bringen, von Danneberg etwas lernen zu können. Für den Sieg des Nationalismus hielt er sich nicht verantwortlich und war es auch nicht.

Der Verhandler

Über seine eigene politische Rolle dachte er sehr nüchtern. Ich kann nicht umhin, einen Satz von ihm zu zitieren, der mir in diesen 30 Jahren unauslöschlich im Gedächtnis geblieben ist. Es steht jedem frei, dieses anzuzweifeln. Danneberg sagte: „Weißt du, Ernstl, es war halt so, dass Otto Bauer die revolutionären Reden gehalten hat, und ich habe verhandeln müssen.” Er meinte dann auch, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn Otto Bauer dieses „Janusgesicht” der Partei, das ja längst Gegenstand langer historischer Abhandlungen geworden ist, vermieden hätte. Er wusste freilich auch, warum Otto Bauer diese Politik machte.

Danneberg war im Grund kein Kompromissler gewesen, er war eher der sachlich ungemein geschickte Ausführende der ihm aufgetragenen politischen Aufgabe. Selbständige Ideen hatte er nur für die sozialistische Stadtverwaltung entwickelt. Seine Leistung auf diesem Gebiet war für ihn bis zum Ende eine Genugtuung.

Danneberg war sicher ein Meister sozialistischer Verwaltungspolitik gewesen. Mit einer immer stärker werdenden Bedeutung dieser Aufgabe sozialistischer Politik gewinnt eine Erinnerung an Robert Danneberg vielleicht mehr als bloß sentimentale Bedeutung. Ein Gedenkartikel kann nicht dazu dienen, solche Probleme zu behandeln, doch soll es erlaubt sein, die Rolle Robert Dannebergs in eine historische Perspektive zu stellen, die zwar seinen Tod in Auschwitz zur tragischen Episode in der Geschichte des Sozialismus macht, doch seinen Platz in dieser Geschichte auch für die Zukunft sicherstellt.

Danneberg beherrschte beide Budgets, das des Bundes, gegen welches er die Opposition führte, und das des Wiener Landes, welches er vertreten musste, was auch die Bewunderung seiner Gegner erweckte. Seine unerschütterliche Ruhe und Sachlichkeit waren nicht weniger erstaunlich. Er brachte immer alles fertig, was von ihm verlangt worden war. Die vielen Ämter, die er ausfüllte! Noch heute weiß ich nicht, wie er es machte. Im wahren Sinne des Wortes war Robert Danneberg das Idealbild des sozialistischen Vertrauensmannes auf der höchsten Stufe der „Parteiorganisation”.

Victor Adler als Vorbild

Robert Danneberg besaß alle Eigenschaften, die man gewöhnlich Akademikern zuschreibt, aber er wirkte nie professoral, war nie arrogant und war wie alle, die Victor Adler als ihr Vorbild hatten, davon überzeugt, dass, wenn man schon gegen jemanden grob sein muss, dann nur gegen einen Höher- oder Gleichgestellten.

Danneberg war, was seine theoretische Überzeugung betrifft, ein Austromarxist, der die Meinung vertrat, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung niemals aus eigenem durch langsame Entwicklung in eine sozialistische umgeformt werden könnte. Er war auch nie ein Opportunist im Sinne mancher sozialdemokratischer Führer der II. Internationale, die bürgerliche Minister geworden sind. An Dannebergs sozialistischer Gesinnung war nicht zu rütteln, und er war einer derjenigen, die sie auch lebten, selbst im Konzentrationslager.

Sozialistische Moral

Für Danneberg war, wie für uns alle, der Faschismus nur eine historische Episode. Aber es war, wenn man einmal im Lager eingesperrt war, eine Episode, die viele nicht glaubten überleben zu können. Das Gefühl, für die zu sterben, die einmal nach uns kommen werden, war ein Trost, aber auch nicht mehr. Ganz primitiv versuchten die meisten, in irgendeiner Form zu überleben. Danneberg war da keine Ausnahme, aber in der Form, in der er zu überleben suchte, zeigte sich die Stärke seiner sozialistischen Moral. Man konnte nur an sich denken, oder man konnte sich auch im Lager als Teil der sozialistischen Bewegung fühlen und sich auch so benehmen. So zu handeln, zu leben und auch zu sterben war für Danneberg Teil seines ganzen Wesens.

Danneberg hatte zuerst in Dachau eine harte Zeit. Glücklicherweise war der Bruderkampf zwischen Kommunisten und Sozialisten, der die Arbeiterbewegung der Zwischenkriegszeit zerfleischt und dem Faschismus zum Sieg verholfen hatte, in Dachau nur noch in leichten Formen zu bemerken. Danneberg wurde von vornherein als politischer Kämpfer gegen den Faschismus, der er ja war, aufgenommen, und die Häftlingsorganisation tat, was sie konnte, um ihm zu helfen. Zweimal mussten wir ihn aus bösen Kommandos herausholen, einmal brachte ich ihn ins Spital und half ihm, die geeignete Behandlung zu bekommen, denn er konnte nicht mehr weiter.

Das Lager Buchenwald erlebte er mit allen seinen Schrecken, aber arbeitsmäßig kam er schließlich in ein leichtes Kommando von Holzträgern, und dann wurde er für drei Jahre Strumpfstopfer. Er wurde auch dort bald zum Verantwortlichen für einen Tisch und dann für alle jüdischen Strumpfstopfer gemacht.

Im Block war er Tischältester und verwaltete die Ausgabe der Brot-, Wurst-, Käse- und der Siruprationen mit der Genauigkeit, mit der er einst über den Wiener Landtag präsidierte. Ich lernte von ihm damals Prinzipien guter Administration, die mir später sehr zu Nutzen kamen. Wurst und Brot kamen zugeschnitten auf den Tisch, und da gab es natürlich immer ein Eckstück. Aus Gründen der Physik sind diese Eckstücke oft um ein bisschen größer als ein Mittelstück. Nun hätte das vermieden werden können, wenn die Portionen gewogen worden wären, aber das hätte wiederum zur Folge gehabt, dass manche Häftlinge um ihre Vorteile gekommen wären, und es war in der Tat nur unter den politischen Blockältesten, dass die Portionen gewogen wurden. Solange aber Ungleichheit bei den Portionen herrschte, war es immer zu Streitigkeiten zwischen den Häftlingen gekommen. Danneberg löste dieses Problem, indem er genau Buch führte. Er erklärte mir das so: „Behalte immer eine Aufzeichnung von allem, was einmal bestritten werden könnte.”

Diese von R. Kaufhold für haGalil gekürzte Erinnerung Ernst Federns an seinen Freund und Mithäftling Robert Danneberg ist dem Buch: Roland Kaufhold (Hg.) (1998): Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen, S. 98-104 entnommen. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Psychosozial-Verlages und seines Inhabers Prof. Hans-Jürgen Wirth

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Roland Kaufhold (Hg.) (1998): Ernst Federn – Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag)
Inhaltsverzeichnis:
Inhalt

Vorwort (Ernst Federn)

TEIL 1: VERSUCHE ZUR PSYCHOLOGIE DES TERRORS
Ernst Federn: Versuch einer Psychologie des Terrors (1946/1989)
Ernst Federn: Einige klinische Bemerkungen zur Psychopathologie des Völkermords (1960/1969)
Ernst Federn: Mechanismen des Terrors (1996)

TEIL 2: ERNST FEDERNS ERINNERUNGEN AN MITHÄFTLINGE
Ernst Federn: Fritz Grünbaums 60. Geburtstag im Konzentrationslager (1945)
Ernst Federn: Gemeinsam mit Robert Danneberg im KZ (1973)
Ernst Federn: Bruno Bettelheim und das Überleben im Konzentrationslager (1994)

TEIL 3: STUDIEN ÜBER ERNST FEDERNS VERSUCHE ZUR PSYCHOLOGIE DES TERRORS
Bernhard Kuschey: Das Leben Ernst Federns im absoluten Terror des nationalsozialistischen Lagersystems
Wilhelm Rösing/Maritha Barthel-Rösing: Überleben im Terror – Ernst Federns Geschichte.
Zur Entstehung des Filmes mit Ernst Federn und Hilde Federn
Roland Kaufhold: Material zur Geschichte der Psychoanalyse und der Psychoanalytischen Pädagogik: Zum Briefwechsel zwischen Bruno Bettelheim und Ernst Federn

ANHANG
Ernst Federn: Der Terror als System: Das Konzentrationslager (1945) (Mit einer Einführung von W. Rösing)
Dokumentation des Briefwechsels Bruno Bettelheim – Ernst Federn

Literatur:
Kaufhold, R. (2001):
Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung, Psychosozial-Verlag, Gießen.
Kaufhold, R. (Mthg.) (2003a):
“So können sie nicht leben” – Bruno Bettelheim (1903 – 1990). Zeitschrift für Politische Psychologie 1-3/2003.