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Westbankstory: Dutzende Überfälle an einem ganz normalen Tag

„Das Jahr 2009 war vom Standpunkt der Sicherheit für die Israelis das Ruhigste und für die Palästinenser das Gewalttätigste, hinsichtlich der Angriffe von Seiten der Siedler in der Westbank“, als er dies gerade gesagt hatte – als ein Beispiel für die Absurditäten, die die politische Situation charakterisieren – empfängt der palästinensische Landwirtschaftsminister Ismail Daiq einen Anruf aus dem Bezirk Jenin…

Dort seien am Morgen im Dorf Daan fünf artesische Brunnen zerstört worden. Ein Mann sei beschossen worden und am Unterleib verletzt worden, als er versuchte, die Pumpe zu heben, um sie vor Schaden zu bewahren. Dies war aber kein Angriff der Siedler, sondern ein Überfall der Armee.

Amira Hass, die einzige israelische Journalistin, die tatsächlich in den besetzten Gebieten, mit den Palästinensern lebt und darüber berichtet, beschreibt einen ganz normalen Tag im Jahre 2009: Übergriffe durch Armme und Siedler, Verhaftungen, Sperren, Kontrollen. Alles an einem einzigen, x-beliebigen Tag. Mit diesen Beobachtungen sollte sich jeder ernsthaft auseinandersetzen, der sich um die Zukunft der Region Gedanken macht, meint Hass, stattdessen wolle aber kaum jemand in Israel wissen, was wenige Kilometer vor seiner Haustür, im Namen Israels, geschieht.

Und dies war nicht das einzige Routineereignis am Mittwoch, den 24. Februar. Die Verhandlungsabteilung der PLO sammelt täglich aus allen Distrikten der besetzten oder abgeriegelten Gebiete (Gaza, Westbank und Ost-Jerusalem) Berichte und veröffentlicht sie in einer täglichen Zusammenfassung durch die Palästinensische Monitorgruppe. Um der Zweckmäßigkeit willen, werden die einzelnen Vorfälle kategorisiert und dann die Details zu jedem Distrikt aufgezeichnet.

An diesem Mittwoch sind es 212 Vorfälle, die mit der Besatzung zu tun haben und über die berichtet wird. Die Beispiele schließen ein:
vier gewalttätige Überfälle, die sich in der Westbank zutrugen und gegen Zivilisten richteten, die in Nablus und Jerusalem geschlagen wurden; einer wurde in Daan verletzt; es gab acht Angriffe mit Schusswaffenbeteiligung (2 in Gaza, sechs in der Westbank, einer davon durch einen militärischen Außenposten; 39 aller Übergriffe gingen direkt von der Armee aus (einer in Gaza), 28 Festnahmen und 12 Verhaftungen an Checkpoints und in Wohngebieten. Die Beispiele auf der Checkliste schließen Wohnungszerstörungen ein (keine an diesem Tag), Zerstören von landwirtschaftlich genütztem Land (eine im Gazastreifen) und der Weiterbau an der Sperranlagen (an 22 Stellen).
Der Bericht schließt auch Zerstörungen von Eigentum ein (sieben Fälle, einschließlich Zerstörung von Brunnen und Ernte); Checkpointschließung (acht Fälle an fünf Checkpoints, einschließlich von Behinderungen des Durchganges); mobile Checkpoints ( 23), vollkommene Absperrung von Zugangsstraßen zu Dörfern (7); Schließung von Hauptstraßen (40, einschließlich vier nach Bethlehem und 14 nach Hebron und das Dorf Jaba östlich von Ramallah); Schließung von Hauptkreuzungen (4, einschließlich der Dauerblockade von Gaza), Unterbrechungen des Schulunterrichts (3 Fälle, einschließlich des Werfens mit Tränengaskanistern; Gewalt von Seiten der Siedler (ein Fall in Sheik Jarrah; Demonstrationen (eine in Hebron); die Checkliste schließt auch palästinensische Angriffe ein (keine an diesem Tag).

Die Philosophie hinter dem Situationsbericht ist klar. Ein Vor/Unfall ist nicht nur ein Todesfall , ein Angriff/ Überfall, Schusswechsel oder Zerstörung. Es ist etwas, das ständig Schaden anrichtet, es ist die Politik der Absperrungen, des Mauerbaus, der ständigen Blockade des Gazastreifens. Aber selbst ohne diese auf die Besatzung bezogenen Probleme – der Großteil dieser alltäglichen Vorfälle ist der Mehrheit der Israelis vollkommen unbekannt. So unbekannt, dass viele es garnicht glauben würden.

Keine Statistik kann die emotionalen und sozialen Leiden ausdrücken, die jedes dieser Ereignisse begleiten, wie z.B. die Abriegelung von 1,5 Millionen Menschen innerhalb des Gazastreifens oder die Tatsache, dass Zehntausende bis heute nicht in der Lage waren, sich ihr Haus wieder aufzubauen, das während des israelischen Angriffes im Winter 2008/ 2009 zerstört wurde.

Auch ohne zu fragen, kennt man die Gründe für die Zerstörung der Brunnen im Jenin-Distrikt: sie wurden „ohne Genehmigung“ gegraben. Aber der Souverän, der zerstört, ist auch derjenige, der die Wasserressourcen kontrolliert, und der über die ungleiche Verteilung des Wassers zwischen Palästinensern und Israelis entscheidet. Die Statistiken schließen nicht die wirklichen Schwierigkeiten ein, die mit dieser Diskriminierung oder der permanenten Erniedrigung und Beleidigung einhergehen.

2009 zerstörte Israel 225 palästinensische Häuser in der Westbank und machte 515 Palästinenser obdachlos, berichtete das UN-Office für die Koordination humanitärer Angelegenheiten. Tausende mehr in der Zone C und in Jerusalem leben in ständiger Angst, dass ihr Haus zerstört werden wird und dass auch sie von ihrem Wohnort vertrieben werden.

Wie kann man Ängste zählen? Wie die Angst, die in den Häusern von 700 Minderjährigen empfunden wird, die die IDF 2009 verhaftet hat. Der palästinensische Ableger von „Defense for children International“ stellte 218 von diesen Minderjährigen vor. 40 wurden entlassen, 28 gegen Kaution und 12 ohne Bedingungen. Sieben Minderjährige wurden in Verwaltungshaft gehalten, also ohne Prozess. Im ganzen wurden 192 vor Gericht gebracht, 23 von ihnen waren 12 oder 13 Jahre alt; 46 waren 14 oder 15 Jahre alt; die Mehrheit – 123 Minderjährige – waren immerhin 16 oder 17 Jahre alt.

Zu weniger als sechs Monate Haft wurden 121 von diesen verurteilt – 63 % – während 31 von ihnen Haftstrafen zwischen 6 Monaten und einem Jahr und 32 Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren erhielten. Acht von den Minderjährigen bekamen mehr als drei Jahre Gefängnisstrafe.

Die Mehrheit (117) wurde wegen Steinewerfens verhaftet, 33 weil sie Molotov-Cocktails besaßen oder warfen, 11 waren Mitglieder in verbotenen Organisationen, acht hätten sich verabredet, zu töten, sieben besaßen oder versteckten Sprengstoff und 16 hätten Waffen versteckt oder fabriziert.

Im Augenblick wollen wir nicht über die Verhaftungen, die Prozesse des Militärsystems diskutieren, von dem gesagt wird, es würde Gesetz und Ordnung aufrecht erhalten, tatsächlich aber vor allem die Besatzung aufrecht erhält. Lassen wir auch jetzt die Tatsache beiseite, dass es in militärischen Tribunalen oft ratsam ist, die Anklagen zuzugeben, die der Angeklagte gar nicht begangen hat, da die Haftzeit während der Prozesszeit länger sein kann als die tatsächliche Haft wegen der angeblichen Straftat.

Aber wie kann man die persönliche und kollektive Wut in Zahlen ausdrücken? Vielleicht durch die Menge der geworfenen Steine? Wieviel dieser Wut wird erst durch Israels Militärtribunal geschaffen?

Alles, was wir berichten und was sich mit Israels Herrschaft über die Palästinenser befasst, führt in die Irre. Es erweckt den Eindruck, dass egal, was berichtet worden ist, dies alles sei, was auf palästinensischer Seite geschieht – dass sonst alles normal sei oder gar blüht und gedeiht. Jedes in israelischen Zeitungen veröffentlichte Problem ist nur ein Hinweis auf alles was fehlt und von dem niemend etwas wissen möchte.