„Wir wollen kein Rätsel mehr sein“

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Selbstbewusster und offen gegenüber nicht-jüdischen Bundesbürgern: Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden, stellt in Tutzing einen Mentalitätswandel in den jüdischen Gemeinden fest. Scharf kritisiert sie modernen Antisemitismus, der Juden mit Israelis gleichsetze…

Das Leben der Juden in Deutschland steht vor einem grundlegenden Wandel, hat Charlotte Knobloch auf einer Tagung in Tutzing festgestellt. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden sprach am Sonntag im Rahmen des Seminars „Vernunft, Staat und Gesellschaft im Judentum“.

Verweil-Mentalität statt „Koffer-Existenz“

Jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion hätten die Idee der „Koffer-Existenz“ in den Gemeinden abgelöst: „Sie etablierten jüdisches Leben in der Bundesrepublik auf Dauer“, sagte Knobloch. Das deutsche Judentum zeige sich selbstbewusster, die Gemeinden würden sich verstärkt gegenüber den nicht-jüdischen Bundesbürgern öffnen. Die Zuwanderer sieht Knobloch als Stärkung für die jüdische Gemeinde. Die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft hänge „entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, die neuen Gemeindemitglieder im jüdischen Erbe zu verwurzeln“.

Das neue Selbstbewusstsein der Juden in Deutschland komme zum Ausdruck in der Gründung neuer Synagogen wie unter anderem in Berlin, Dresden, Schwerin, Limburg oder Chemnitz. „Wir wollen kein Rätsel mehr sein“ – unter dieses Motto stellte Knobloch ihren Vortrag. Beim Publikum stieß sie damit auf Zustimmung.

Gemeinsames Erbe hervorheben

Die Öffnung der jüdischen Gemeinden nach außen sei zudem nötig, da es in wenigen Jahren „keine Opfer oder Täter“ mehr geben werde: „Spätestens dann wird hoffentlich der letzte Ignorant einsehen, dass wir uns nicht mehr über Schuld und Schmach unterhalten müssen, dafür umso mehr um Verantwortung.“ Im deutsch-jüdischen Miteinander sei es wichtig, das gemeinsame Erbe stärker hervorzuheben.

Doch auch nach innen hin müssten sich die jüdischen Gemeinden öffnen, sagte Knobloch. Für die Zukunft sei es entscheidend, dass „es uns gelingt, die noch bestehenden Gräben zwischen den verschiedenen Strömungen des Judentums in Deutschland zuzuschütten“. Und weiter: „Wir Juden dürfen es nicht zulassen, dass wir gespalten sind, dafür sind wir zu wenige.“

Es ist eine aktuelle Diskussion, auf die Knobloch hier anspielte – und zwar auf die Debatte um den Bau einer Synagoge für die liberale Gemeinde Beth Shalom in München. „Ich hoffe, dass die liberale Gemeinde einen Ort findet, an dem sie beten kann“, sagte Knobloch dazu in Tutzing. Das gelte auch für Muslime: Jeder solle einen geeigneten Ort zum Beten finden. „Bei uns muss auch der Frömmste die Möglichkeit haben, seine Religion auszuüben. Das ist meine Orthodoxie.“

Judenfeindliche Ressentiments unter jungen Muslimen

Große Wissensdefizite sieht Knobloch nach wie vor bei der nicht-jüdischen Bevölkerung: „Wir können davon ausgehen, dass eine Muslima mit Burka in der Münchner Fußgängerzone für weniger Fragezeichen sorgen würde als ein chassidischer Jude oder auch nur ein Mann mit Kippa“, sagte Knobloch. Besorgt äußerte sie sich zudem über den „immensen Anstieg judenfeindlicher Ressentiments“ auch unter den in Deutschland lebenden Muslimen.

Scharf kritisierte die Präsidentin des Zentralrats der Juden in ihrer Rede den Antisemitismus „moderner Prägung“, der in der Politik Israels einen Vorwand finde, um Ressentiments gegenüber Juden zu legitimieren: „Der Antisemit moderner Prägung, ohne Glatze oder Springerstiefel, ist mitunter Akademiker. Dennoch sind für ihn Juden und Israelis einerlei.“ Es gehe ihr vor allem um unsachliche und vereinfachte Kritik an Israel: „Ich persönlich und viele andere werden dauernd dafür beschimpft, was wir in Israel anstellen.“

Die Beschäftigung mit dem Judentum hat an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing bereits Tradition: Immer wieder bietet die Akademie Wissenschaftlern und Rabbinern ein Forum für den Austausch. So hat im vergangenen Jahr eine Konferenz mit Rabbinern aus aller Welt zum Thema „Das deutsche Rabbinat und sein Einfluss im Ausland“ stattgefunden.

Weitere Informationen: www.apb-tutzing.de