Gefallene Engel

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Sie sind beide charismatische Persönlichkeiten. Beide haben einen großen Kreis von Verehrern, die sich wie ein Schwarm um sie bilden, die ihnen jedes Wort von den Lippen ablesen. Beide sind Meister der Rhetorik, sowohl in Schrift als auch im Redestil. Ansonsten hat der renommierte Dichter Yitzhak Laor wenig mit dem einflußreichen Rabbiner Moti Elon gemeinsam. Bis auf diese Woche: Beiden wird vorgeworfen, ihre Machtposition für sexuelle Belästigung ausgenutzt zu haben. Zwei Sterne sinken…

Von Benjamin Rosendahl

Wenn es so etwas wie einen Admor, einen rabbinischen Mentor, unter den Nationalreligiösen gab, dann ist das der Rabbiner Moti Elon. Der Sohn eines Richters am Obersten Gerichtshofs und Bruder eines ehemaligen Knessetmitglieds ist einer der einflußreichsten und respektiertesten Rabbiner der „gehäkelten Kippot“. Er leitete u.a. die Jeshiwa an der Kottel, hatte eine wöchentliche Fernsehsendung über die „Parashat Ha-Shavua“ und schrieb Bücher sowie Kommentare zu religiösen Fragen unserer Zeit. Jedoch ist Moti Elon mehr als nur ein Rabbiner: Sein Charisma ist unbestritten – er ist für viele eine Vaterfigur, bei der man sich Rat holen kann, bei der man seine Seele ausschütten kann.

Yitzhak Laor war – im Gegensatz zu Elon – nie Teil des Konsensus, sondern immer das „Enfant Terrible“: Zwar gewann der Autor und Poet den „Premierminister-Preis für Literatur“ (2001), war aber alles andere als beliebt in Regierungszirkeln. Er war einer der ersten Wehrdienstverweigerer (Refuseniks) im Libanonkrieg, schrieb ein Theaterstück gegen den israelischen Militarismus („Ephraim hozer la-Zava“), das kurzzeitig von der Militärbehörde zensiert wurde und nutzte seine Kunst immer als Bollwerk gegen das Establishment. Seiner Popularität tat das keinen Abbruch. In Israel unterrichtete er u.a. bei der Tel-Aviv University und der renommierten Filmschule „Sam Spiegel“ in Jerusalem. Zudem schrieb und schreibt er Literaturkritik für die israelische Tageszeitung „Haaretz“, gibt ein politisches Poesie- und Kurzgeschichtenmagazin heraus („Mat´am“) und arbeitete ständig an Poesie, Theaterstücken und anderen Büchern, die in unzähligen Sprachen übersetzt wurden. Der Poet, der auch für die „London Review of Books“ schreibt, ist – ebenso wie der Rabbiner – ständig von Verehrer und Verehrerinnen umgeben, die ihn anhimmeln.

Und dann kamen die Skandale: Zuerst veröffentlichte das „Takana“-Forum (ein Forum gegen sexuelle Belästigung in der national-religiösen Gesellschaft), dass Rabbi Elon seit Jahren seine Schüler sexuell belästigt hat. Ironischerweise handelte es sich bei den Opfern des als homophob bekannten Rabbiner um männliche Jugendliche, die den Rat des Rabbiners aufgesucht hatten – und etwas ganz anderes dafür bekamen. „Takana“ hatte den Rabbiner jahrelang gewarnt und ihm geraten, sich leise von der Öffentlichkeit l zurückzuziehen – was er nicht tat. Nur zwei Tage später kam der nächste Skandal: Yitzhak Laor soll jahrelang seine (diesmal weibliche) Studenten verbal und tätlich belästigt haben. Eine Studentin warf ihm sogar Vergewaltigung vor. Es ist dies eine weitere Ironie, dass der Poet, der sich so für Menschenrechte einsetzt, diese wohl nur als Männerrechte empfindet – Frauen scheinen lediglich Sexobjekte für ihn gewesen zu sein.

Die Wahrheit über die Skandale werden wohl in den nächsten paar Wochen herauskommen. Der Stern der beiden Idole ist aber bereits jetzt gefallen.

6 Kommentare

  1. Es lässt sich leicht ein guter Grund für den status quo gesellschaftlicher Ächtung aufgeklärter Hochkulturen gegenüber Sexualpraktiken mit Minderjährigen und Abhängigen finden:
    Das Wohl des Nächsten.
    Auf der einen Seite steht der Mensch, der tun und lassen kann was er will,
    (mit entsprechenden Konsequenzen), über dessen Freiheit, wollen zu können was er will zu schreiben Philosophen und Naturwissenschaftler viel Tinte und Papier verbraucht haben, ein Mensch mit dem Neandertaler im Gebälk, hier und da ein unter Druck stehender, pfeifender Dampfkessel, letzteres ist allerdings kein verlässliches Symptom bzw. Indiz für vorhandenen Überdruck, manchmal pfeift er auch nicht.
    Auf der anderen Seite sollte ein Mensch mit voll entwickelter Geschlechts- und geistiger Reife stehen. Man kann und sollte durchaus hinterfragen, ob eine formale, äußerliche Abhängigkeit jeweils den tatsächlichen Umständen entspricht, Gegenteiliges nicht ausschließen. Was den Menschen u.a vom Tier unterscheidet ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Damit ist er in der Lage abzuwägen zwischen dem „Ich“ und dem Wohl des „Gegenüber“ in Fällen, in denen sich beides widerspricht. E i n, ich denke, d e r gravierende „Sündenfall“ innerhalb der Sexualität ist berechnendes Verhalten gegenüber triebgesteuertem. (neben purem egoistischen Handeln wider besseres Wissen)

    Die ratio und die libido…

    „Das darf nicht sein“, sprach der Pfarrer zur Nonne…

    …aber es ist so.“

  2. Ich habe an einer anderen Stelle auch etwas über Orthodoxenbashing gelesen. Eine Abtrünnige wurde im Spiegel gross rausgebracht, natürlich mit dem üblichen Gejammer. Dann noch Bilder mit schrecklichem Suggestivcharakter. So nach dem Motte der Orthodoxe gibt seinen Mädchen nicht mal ein Handy. Das ist schon gefährlich was die da bringen.

  3. Die Kontroverse um die Vorfälle sind Gesprächsthema. Angegriffen wird vor allem von der national-orthodoxenen Bevölkerung, speziell in den Siedlungen, dass das Moralkommitee den Fall des prominenten Rabbiners bekannt gegeben habe.
    Der Rabbiner war stets ein strenger Gegner jeder Liberalisierung. Man habe drei Jahre schon von den Vorwürfen gewusst und habe geschwiegen, dann hätte man es also auch weiterhin geheimhalten können.
    Es ist unverantwortlich, solche Vorwürfe zu machen, da ein Schaden für das hohe Ansehen der national-religiösen Bewegung entstehe. Eine Emanzipation für Schwule und Lesben sei selbstverständlich auch weiterhin entschieden abzulehnen.

    Zahlreiche Berichte über den Einfluss des Rabbiners, die charismatische Persönlichkeit, seine Liebe zu Land und Staat und sein ungebeugter Stolz auf Aufbauleistung der national-religiösen Bewegung seien beispielhaft und Vorbild für die Jugend.

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