Geburtshelfer in Galiläa

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Wie in Nazareth arabische Israelis zu Hightech-Unternehmern werden…

Von Ralf Balke

Auf den ersten Blick unterscheidet New Generation Technology (NGT) nichts von den übrigen zwei Dutzend Inkubatoren in Israel. In dem bei Nazareth gelegenen Industriepark setzen Forscher, Marketing- und Finanzexperten alles daran, um aus innovativen Ideen tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln. „Doch wir arbeiten hier in einem ganz einzigartigen Umfeld“, sagt Eyal Neria nicht ohne Stolz. Er selbst ist jüdischer Israeli und Geschäftsführer des Pharma-Startups Capsutech, einem Unternehmen, das Medikamente entwickelt, die in der Chemotherapie zum Einsatz kommen. „Die Idee dazu stammte von Jallal Gnaim, einem promovierten Chemiker. Genau wie er sind auch die meisten anderen in unserem Team ebenfalls arabische Israelis. Der unterschiedliche kulturelle Hintergrund der Mitarbeiter hat sich als äußerst stimulierend erwiesen“, beschreibt Neria die Arbeitsatmosphäre vor Ort in den Hügeln Galiläas.

Wie Capsutech sind fast alle der von NGT betreuten Unternehmen gemischt oder haben ein rein israelisch-arabisches Management. „Nur drei werden ausschließlich von Juden geleitet“, berichtet Ron Meitar. „Mal ist der CEO ein jüdischer Israeli, der Finanzchef dagegen ein Araber und der Leiter der Forschungsabeitlung ein Einwanderer aus der Ex-UdSSR“, so der Berater von NGT. „Und Dr. Sobhi Sauob, der Gründer des Arzneimittelherstellers D-Herb, stammte sogar aus einer Beduinenfamilie.“ Der im Jahr 2002 ins Leben gerufene >Brutkasten< verfolgt damit ein klares Ziel. „Wir richten uns vor allem an die arabisch-israelische Business-Community“, umreißt Meitar das Konzept. NGT ist damit einzigartig. Denn noch sind die arabischen Bürger Israels in der boomenden Hightech-Industrie des Landes wenig präsent und das, obwohl ihr Bevölkerungsanteil bei über zwanzig Prozent liegt. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: „Zum einen leben viele arabische Israelis abseits von den wirtschaftlichen Zentren, zum anderen haben sie eine andere Geschäftskultur.“ Und weil sie nicht der Wehrpflicht unterliegen, fehlt ihnen auch der Zugang zu den Netzwerken innerhalb der IT-Industrie, deren Ursprünge oft beim Militär zu finden sind.

In den Bereichen Medizintechnik und Pharmazie dagegen sind arabische Israelis überdurchschnittlich häufig vertreten. „Genau dieses Potenzial wollen wir anzapfen“, so Meitar. Zusammen mit fünf arabischen Unternehmern gründete der in den USA lebende israelische Investor David Gilo deshalb NGT. Wie die meisten anderen Inkubatoren handelt es sich dabei um eine Partnerschaft zwischen privaten Geldgebern und dem Staat. Aktuell werden von NGT vierzehn Unternehmen betreut. „Nach gründlicher Prüfung durch das Office of Chief Scientist erhält jedes davon 500.000 US$ an öffentlichen Geldern“, erläutert Meitar die Vorgehensweise. „Weitere 100.000 US$ stammen von privaten Investoren.“ Im Gegenzug bekommt der Staat Anteile an den Unternehmen, die dann von NGT treuhänderisch verwaltet werden. Erweist sich eine Geschäftsidee als erfolgreich, hat NGT die Möglichkeit, diese Anteile mit einem Zinszuschlag aufzukaufen. Floppt das Ganze, bleiben sie im Besitz des Staates und die privaten Verluste überschaubar. „Nach zwei Jahren müssen die Unternehmen auf eigenen Füßen stehen können“, so Meitar.

Im Unterschied zu den meisten anderen Inkubatoren in Israel liegt der Schwerpunkt von NGT auf dem Bereich Life Sciences. Fluorinex Active ist ein Beispiel dafür, dass das Konzept der Geburtshelfer in Nazareth aufgeht. 2004 von Kamal Khawaled gegründet, ist die Firma seit 2006 mit Produkten in Sachen Dentalhygiene und Zahnweißern auf dem israelischen Markt vertreten. Dank weiterer Investoren wagte man bereits den Sprung nach Lateinamerika und der Türkei.

Inkubatoren sind in Israel aus der Not heraus geboren. Denn in den neunziger Jahren kamen aus der kollabierenden UdSSR hunderttausende oftmals sehr gut ausgebildeter Juden nach Israel. Bald belegte der jüdische Staat mit 135 Ingenieuren auf 10.000 Arbeitnehmern weltweit den Spitzenplatz. Um diesen Beschäftigung zu bieten und der IT-Industrie auf die Sprünge zu helfen, entwickelte man diese ganz besondere Form der Gründungszentren. Und was bei den jüdischen Israelis klappte, soll nun auch bei arabischen Israelis funktionieren. „Unsere Investoren betrachten die multikulturelle Atmosphäre ebenfalls als ein Plus“, resümiert Meitar. NGT ist deshalb nicht nur ein Brutkasten für zündende Geschäftsideen, sondern ebenfalls für das Konzept einer erfolgreichen Koexistenz der unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen.

Eine redaktionell bearbeitete Fassung erschien im Handelsblatt v. 16.12.2009.