Über Griechenland nach Erez Israel

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David Heimann (geb. 1864), 1934: Tagebuch über meine Reise nach Erez Israel…


4.5.1934.

Auf hoher See. Strahlendes Wetter. lch sitze im Liegestuhl auf Deck und schreibe. Nachdem wir in der Nacht die Strasse von Messina passiert, fährt die Vulkania in voller Fahrt durch das Aegaische Meer, Richtung Piräus. Strahlender Himmel, heisse Sonne vermischt mit der Kühle des tiefblauen Meeres. Relativ ruhige Fahrt. Ich liege seit 7 ½ Uhr auf Deck bis fast 1 Uhr, schreibe an meinem Tagebuch und lese. Soeben stifte ich zwischen einer amerikanischen und einer deutschen Jüdin Frieden, welch letzterer bei der gestrigen Veranstaltung von der Amerikanerin ein Modewaschkleid mit Tinte begossen wurde. Ich veranlasse die Amerikanerin, Frau Jenny Shapiro, eine Entscheidung des Rebben herbeizuführen, welcher an Bord ist, womit sich die Parteien einverstanden erklären. Ich komme mir vor wie Schlaumo Hamelech. Gemeinsamer Freitagabendgottesdienst. Knüppelvoll. Ein amerikanischer Jude betet vor, nachdem eine Stunde vorher der Raw und mehrere Juden gelernt haben. Unter den Anwesenden befinden sich auch die Multimillionäre, die mich mit „Schabbat schalom“ begrüssen. Für unsere Begriffe turbulente Andacht, gemeinsamer Kaddisch mit gegenseitigem Ueberschreien. Opulentes Abendbrot. Im Speisesaal etwa 300 Juden. Ich mache nach deutscher Art Kaddisch. Von einem Tische läuft spontan eine junge Amerikanerin, Mirjam Travis, zu mir, um mir mit kräftigem Händedruck zu danken, und mit der Frage, ob ich aus Frankfurt sei, wo sie das Lyzeum bis zum Abitur besucht. Entzückendes Mädel, frisch, natürlich, blond, Scheitel in der Mitte, hübsches Gebiss, Charme. Sie macht mich, später mit den Eltern bekannt, anscheinend sehr reich, sieben Kinder, siedeln gänzlich nach Erez Israel über. Rabbi Grün kommt zu mir mit der Mitteilung, dass der Olam mit das Benschen mechabbed ist. Von dem Schir Hamaalot, bei welchem die deutschen Juden kräftig mitsangen, war man sehr befriedigt. Ueberall Shake-hands, Schabbat Schalom-Wünsche, Mittelpunkt. Diskussion auch über deutsche Juden.

 

5.5.34.

Piräus-Athen. Früh ½ 4 Uhr fuhren wir in den Piräus ein. lch schaue durch das Bullauge, Umrisse der Burg, oberer Band des Horizontes mit glutrotem Sonnenball. Um 5 ¾ Uhr bin ich auf Deck. Eintreffen im Hafen um 7 ½ Uhr. Ausbootung. Zu Fuss durch das Piräus-Viertel zur Schnellbahn. In Piräus schmierige Läden, Hafenverkehr, Geschrei und Gefeilsche, Schmutz. In Athen Besichtigung des Theseus-Tempel, dorischer Stil, 5. Jahrhundert v.Chr. gebaut, Akropolis mit Panthenon, Prophyleen von Perikles im 5. Jahrhundert v.Chr. erbaut, dorisch-jonischer Stil, kleiner Tempel der Nykäa Abderos – ohne Flügel – im jonischen Stil. Römisches Theater, im 2. Jahrhundert n.Chr. erbaut. Parthenon-Tempel mit dorischen Säulen, Siegesreliefs an den Kapitälen von Phidias gebildet. Von da Blick auf das Dionysos-Theater, 5. Jahrhundert v.Chr. erbaut. Im Innern dos Panthenon-Tempels steht die Statue der Athene in Gold und Elfenbein. Erechtheion mit Grab des Begründers der Akropolis. Museum der Akropolis. Rundblick von der Akropolis, die auf Felsen gebaut, über ganz Athen. Die Stadt Athen wirkt wie ein Steinmeer ohne Bäume. Nur um das königliche Schloss sind Parkanlagen. Das riesige Stadion aus Marmor, modern gebaut, enthält über 100.000 Sitzplätze. Die Stadt selbst ist staubig, heiss, halb orientalisches Gepräge, Luxus neben Schmutz. Im Kessel gelegen, rings umgeben von hohen karstigen Bergen ohne Wälder Meerenge von Salamis, wo die Schlacht stattfand. Griechen gerissene Geschäftsleute, Vorsicht!

6.5.34

Gegen früh 7 Uhr passieren wir die Insel Rhodos. Hoch oben auf einer Bergspitze eine grosse weisse Kirche. Strahlendes Wetter. Dunkel-blaues Meer. Ich liege von früh 7 Uhr bis ½ 1 Uhr mittags auf Deck. Vormittags 8-9 Uhr Besuch der Luxusklasse.. Dienstzimmer des 1. Offiziers, Erklärung der Steuer und Apparate, grossartige Einrichtung, freundlicher Empfang durch den Kapitän. Dr. Walter macht vom Kapitän und mir eine photographische Aufnahme. Um 11 Uhr Ansprache von Dr. Markus über politische und wirtschaftliche Verhältnisse in Erez Israel. Nachmittags Schläfchen auf Deck. Um 4 Uhr wird Tee mit Gebäck serviert. Nachmittags Konversation auf Deck mit Mirjam. Photographische Aufnahme durch Dr. Walter. Abends gegen 9 Uhr fahren wir an der Insel Cypern vorbei, wir sehen die Lichter. Klarer Sternenhimmel. Sodann nochmalige Ansprache des Dr. Walter über das bevorstehende Eintreffen in Erez Israel. Sammlung für Keren Kajemeth. Ich spende RM 4.50. Von den 640 Juden an Bord speisen 480 rituell. Essen nach wie vor reichhaltig und gut. Wein kostenlos in jedem Quantum.

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7.5.34.Früh 6 Uhr laufen wir Beyruth an. Der beabsichtigte Ausflug auf den Libanon bis abends 7 Uhr. Am andern Morgen um 5 Uhr sollen wir in Haifa eintreffen. Freudige Erwartung aller.

 

Beyruth. Um 5 Uhr früh Einfahrt in den Hafen. Um ¾ 6 Uhr auf Deck. Beobachtung. Die Stadt mit Moscheen und Minaretten, aber auch mit vielen modernen Bauten, liegt terassenförmig. Wir werden durch Tender der „Vulknia“ an Land gebracht. In Autos durchfahren wir die Stadt. Orientalischer Lärm, Trubel, Asien. In mehrstündiger Fahrt erreichen wir Baalbek. Die Autostraße windet sich serpentinenartig durch die Libanonberge bis 1500 m Höhe. Ringsum hohe, teile schneebedeckte Berge. Vulkanartiges Gestein. Wir sehen bis 1000 Meter Höhe Weinreben und Getreide. Herrliche Flora, Oliven- und Pinienbäume, schlanke Pappeln. Was man in der Jugend in Märchen gelesen, 1001 Nacht, erlebt man, Eseltreiber, bepackte Eselchen, Maultiere, Kamele, Karawanen mit mehreren hundert Beduinen, Männer, Weiber , Kinder, Zelte, buntes Treiben, Bakschisch, Zigaretten. Ueberall auf den Wegen Araber mit Tarbusch oder Kappije, vermummte Frauen, Schafherden, Ziegenherden, Hirten auf Eselchen, buntes Treiben.

In Baalbek die grösste Tempelruine der Welt, römischer Stil. Gewaltige Säulen von 1.30 – 2.20 m Durchmesser. Jupiter-Tempel mit Säulen, Reliefs an den Kapitälen; Venus- und Bacchus-Tempel. Altar für Opfer. Gewölbe gewaltige Quadern, im 5. Jahrhundert v.Chr. erbaut, im 2. Jahrhundert nach Chr. zerstört und später als Basilika benutzt, doch später durch die Araber erobert, welche für den Bau der Haggia Sophia in Konstantinopel Quadern verwendeten. Mittagessen in Baalbek. In rasender Fahrt nach Beyruth zurück, wobei wir nochmals in der Feme den schneebedeckten Hermon und die anderen Höhen sehen, aber auch das herrliche Panorama der tief zu unseren Füssen liegenden Stadt Beyruth mit Reede, auf welcher wir draussen unsere „Vulkania“ schaukeln sehen. In Beyruth ca. 4000 Juden, Sephardim, primitive Synagoge. Judenviertel unterscheidet sich bei den Geschäften nur durch hebräische Firmeninschriften von den Arabern. Um 5 Uhr wieder an Bord.

Nun geht es nach Erez Israel, wo wir morgen früh 6 Uhr anlaufen werden. loh glaube, von Schlaf wird nicht viel die Rede sein. Heute abend Abschiedsfeier an Bord. Verlosung einer goldenen Uhr zu Gunsten vom Keren Kajemeth, wobei ich in der Verlosungskommission bin.

–>> Fortsetzung folgt…
 

David Heimann, geboren am 12. März 1864 in Festenberg, Kreis Groß Wartenberg in Schlesien, war ein erfolgreicher Kaufmann für Lederwaren. Sein Geschäft eröffnete er zunächst in Pommern, wo er seine erste Frau Clara, geb. Amfeld ehelichte. Das Paar hatte drei Kinder: Theodor (geb. 1891), Thekla ( geb. 1895) und Else (geb. 1899). Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Oslo zog David Heimann 1904 mit seiner Familie nach Berlin, wo er sich in der jüdischen Gemeinde engagierte und eine Ausweitung des Synagogenbezirkes bis nach Oranienburg erwirkte. David Heimann war Vorsitzender der Synagogengemeinde sowie Kuratoriumsmitglied des Jugend-, Mädchen- und Altersheimes in Berlin-Hermsdorf. Nach dem Tod seiner Frau Clara 1924, heiratete er deren verwitwete Schwester Rosa.

David Heimann musste sein Haus Ende 1940 weit unter Wert verkaufen, nach damaliger Schreibweise “Entjudung”, und mit den noch verbliebenen Angehörigen in das s.g. Judenhaus nach Berlin-Hermsdorf umziehen. Seinen Kindern Thekla und Theodor konnte David Heimann die Ausreise nach England und die USA ermöglichen. David Heimanns eigener Versuch, nach Palästina auszuwandern, scheiterte. Das Palästina-Amt Berlin schrieb ihm: “Bei der Bearbeitung Ihres Fragebogens stellen wir fest, dass Sie bereits 75 Jahre alt sind. Da erfahrungsgemäss die Strapazen einer derartigenReise sehr gross sind, können wir es nicht verantworten, Menchen ihres Alters auf diesem Wege zur Alijah zu bringen.”

Rosa Heimann starb am 1. Januar 1942. David Heimann wurde 11. September verhaftet und drei Tage später mit dem 62. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert. Am 29. September 1942 wurde er weiter in Richtung Osten transportiert und galt als verschollen. David Heimann wurde vermutlich im KZ Minsk ermordet.

Im folgenden dokumentieren wir David Heimanns Tagebuch einer Reise nach Palästina im Jahr 1934.

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