Christbaum, Weihnachtsmann, Stollen, Lebkuchen und die schönen Weihnachtslieder sind liebgewonnene europäische Sitten und Gebräuche. Manche können bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden…
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 24. November 2009
Den 25. Dezember als Geburtstag des Christkindes versuchte Papst Hypolit um 217 festzulegen, um die asiatischen, ägyptischen und römischen Feste rund um die seit jeher gefeierte Sonnenwende abzuschaffen. Die orthodoxen Kirchen begehen die Geburt Jesu am 6. Januar und die Armenier sogar erst am 18. Januar.
Manche Forscher stellen in Frage, ob die Kleinstadt „Haus des Brotes“ (Beth Lehem) südlich von Jerusalem, wirklich der Geburtsort des Jesu von Nazareth war. Außer der Erwähnung im Lukas-Evangelium gibt es auch keinen anderen Beweis für die Volkszählung unter Kaiser Augustus. Der Kindermord des Herodes dürfte Teil einer zeitgenössischen Propagandakampagne gegen den verhassten König gewesen sein. Der israelische Professor Ehud Netzer, der 2007 am nördlichen Abhang des Herodions nahe Bethlehem den gewalttätig zertrümmerten Sarkophag des Herodes entdeckt hat, sagte, dass in der Zeit Jesu Bethlehem ein winziges „Kaff“ gewesen sei, in dem es höchstens 20 erstgeborene männliche Babys gegeben haben dürfte. Der Kindesmord könnte eine theologische Aussage sein, für jeden Juden sofort verständlich, um Jesus in das Werk Gottes einzugliedern, wie die Schöpfung der Erde und den Exodus aus Ägypten. Die Festlegung der Grotte als dem Ort der Krippe Jesu geschah erst nach 325, als Kaiser Konstantin und seine Mutter Helena die ersten Kirchenbauten errichteten.
Die Bauwerke allein und von Archäologen freigelegten Ruinen sagen noch nicht viel über Sitten und Gebräuche bei Weihnachtsfeiern in der damaligen Zeit aus. Auf halber Strecke zwischen Jerusalem und Bethlehem haben Archäologen die Grundmauern gewaltiger Basiliken aus der byzantinischen Periode entdeckt. Eine oktogone Kirche entsprach in ihren Maßen exakt dem Grundriss der konstantinischen Grabeskirche und des Felsendoms auf dem Tempelberg. In der Mitte der Kathisma ist noch zwischen den Säulensockeln und bunten Mosaiken mit griechischer Inschrift jener Fels erhalten, auf dem die schwangere Maria geruht haben soll. In dem Felsen der Kathisma sind die Rundungen eingeprägt, wo Maria gesessen habe.
Kathisma und der Stein, wo Maria „ruhte“
Nach Angaben der Archäologen sollten die Pilgerströme auf dem 10 Kilometer langen Weg nach Bethlehem mit Gebeten und Gottesdiensten aufgehalten werden, um in Bethlehem zu übernachten und dort ihr Geld für Essen und Andenken ausgeben zu müssen. Ähnliche „Tricks“ wenden bis heute die Andenkenhändler in Bethlehem an.
Die Kathisma, heute das Eliaskloster, spielt eine zentrale Rolle bei den Weihnachtsfeierlichkeiten. Hier machen die Jerusalemer Patriarchen vor ihrem feierlichen Einzug nach Bethlehem halt. Hier ist die Wachübergabe. Jüdische Polizisten, hoch zu Roß, eskortieren nun die christlichen Prozessionen. Als Bethlehem noch israelisch besetzt war, begleiteten sie die Patriarchen bis zum Krippenplatz vor der Geburtskirche. Als Bethlehem an Weihnachten 1995 unter palästinensische Verwaltung gestellt wurde, gab es eine weitere Wachübergabe am Grenzstein vor dem „Paradise“ Hotel. Palästinensische Pfadfinder, ebenso hoch zu Ross, führten nun die Wagenkolonne mit Patriarchen und Bischöfen in die Stadt hinein. Seit dem Bau der rund einen Kilometer langen Mauer zwischen Bethlehem und Jerusalem, findet die Übergabe am Grenzübergang nahe dem Grab der biblischen Erzmutter Rachel statt.
Der festliche Einzug der Patriarchen ist das zentrale Ereignis, an dem die ganze Bevölkerung teilnimmt. Die Pfadfinder trommeln und musizieren, während sie in bunten Uniformen Banner und Kreuze durch die Gassen Bethlehems tragen. Würdenträger der Stadt und Vertreter der Staatsmacht begrüßen den Patriarchen. Kawassen, Wächter in malerischer Uniform aus der Zeit der Osmanen gehen vor der Prozession und schlagen laut mit ihren Stäben auf den Boden, um den Weg frei zu machen. Vor der Geburtskirche stehen Priester und Mönche aller christlichen Konfessionen in voller Montur, um gemäß einem festgelegten alten Ritus den Patriarchen zu empfangen.
Kawassen, Wächter in alter türkischer Uniform gehen vor den Prozessionen der Patriarchen
Seit dem Einzug Arafats 1995 erlebt das Weihnachtsfest eine Politisierung. Zu Ehren des PLO Vorsitzenden hatte man ein Modell des Felsendoms auf das Dach der Geburtskirche gehievt. Nur die Ehrengäste und Journalisten auf dem Dach eines benachbarten hohen Hauses konnten dokumentieren, wie die Oberherrschaft des Islam symbolisch über der heiligsten christliche Stätte demonstriert wurde. Sehr wohl konnten die Pilger und Bürger vom Krippenplatz aus die riesige palästinensische Flagge an der Kirchenmauer sehen. Niemals zuvor hat an der Kirche eine nationale Flagge gehängt, weder unter den Türken, Briten, Jordaniern noch unter den Israelis. (Bild links zur Vergrößerung anklicken!)
Arafat-Ikone über dem Eingang der Geburtskirche
Für die Gläubigen stehen die Gottesdienste und Liturgien im Mittelpunkt. Die katholische Messe wird aus der 1881 errichteten Katharinenkirche neben der Geburtsbasilika per Fernsehen in alle Welt direkt übertragen.
Hinter den Kulissen ist eine generalstabsmäßige Vorbreitung notwendig, damit alles reibungslos – im wahrsten Sinne des Wortes – abläuft. Sechs Konfessionen teilen sich das älteste erhaltene Gotteshaus. Jeder Schritt und Tritt der „kleinen, mittleren und großen“ Prozessionen ist in einem schriftlich 1929 von den Briten festgehaltenen „status quo“ auf die Minute genau festgelegt. Das Eingangstor, dessen Schlüssel die griechisch-Orthodoxen halten, wird täglich nach dem Glockengeläut der Lateiner geöffnet und geschlossen. Der Teufel liegt im Detail. Der Nartex, ein Eingangsraum zwischen einer eisernen und einer hölzernen Tür, wird täglich von den Orthodoxen gefegt, „bis auf die zwei Stufen, die zum armenischen Konvent führen“. Jede Kerze, jede Ikone und jeder „Asbest-Teppich“ in der Geburtsgrotte sind im „status quo“ mitsamt Besitzer aufgezählt. Dennoch versuchen die Kirchen immer wieder weitere Quadratzentimeter Wände und Marmor für sich zu „erobern“. Dazu eignet sich der allgemeine „Hausputz“ in der Geburtskirche am 1. Januar, wenn die Westkirchen Sylvester feiern, während sich die Ostkirchen erst noch auf ihre Weihnachtsfeiern vorbereiten. Mit Besen an langen Metallstangen bewaffnet, wirbeln die Mönche den Staub der Jahrhunderte an den Wänden auf. Wenn die Orthodoxen meinen, dass eine an die armenische Kapelle angrenzende Wand in luftiger Höhe allein ihnen gehöre, kommt es zu Protesten. Dann muss die neutrale Staatsmacht ein salomonisches Urteil fällen. Früher war das der israelische Militärgouverneur, heute ist es ein Moslem. Bei dem Streit um eine hohe Mauer wurde vor einigen Jahren entschieden, dass sich der griechische Mönch mit einem Besen mit kurzem Stiel auf das Gesims stellen dürfe und von dort die weiß getünchte Mauer nur so weit putzen dürfe, wie sein Besen reichte. Bis heute ist dort ein weniger verstaubtes Halbrund an der Wand zu erkennen.
© Ulrich W. Sahm, haGalil.com