Furcht vor den Rieger-Akten

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Nach dem Tod des Jürgen Rieger bangen Neonazis um Datenschutz, denn die Hamburger Anwaltskammer hat einen der Szene unbekannten Anwalt als Nachlassverwalter der Rieger-Kanzlei bestellt. Die Hamburger NPD wird nun von einem lang gedienten Neonazi angeführt. Die rechtsextreme Partei will am 14. November einen „Gedenkmarsch“ für Rieger im oberfränkischen Wunsiedel abhalten…

redok v. 01.11.2009

Nach dem Tod des Alt-Neonazis Jürgen Rieger machte sich Unruhe in der rechtsextremen Szene breit. Nicht nur das Vermögen des Nazi-Anwalts stand für die Szene auf dem Spiel, sondern auch die als Veranstaltungsorte und Stüptzpunkte genutzten Rieger-Immobilien werden wohl den Besitzer wechseln.

Ein weiterer Alarm wurde jetzt von Riegers rassistischer Haustruppe, der „Artgemeinschaft“, ausgegeben. Während die Zukunft von Riegers Privatvermögen noch ungewiss ist, hat die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg bereits Schritte eingeleitet, um den Nachlass der Rieger’schen Anwaltskanzlei zu regeln. Dazu hat sie laut „Artgemeinschaft“ einen „nicht näher bekannten, jedenfalls nicht-nationalen“ Anwalt als Nachlassverwalter eingesetzt. „Nationale Anwälte“ seien abgelehnt worden.

Der Nachlassverwalter hat damit Zugriff auf sämtliche Akten der Kanzlei. Weil Rieger viele rechtsextreme Klienten vor Gericht vertreten hatte, wird jetzt in der Szene befürchtet, dass „auch staatlichen Organen Zugriff dazu gestattet wird“. Den Rieger-Klienten von Rechtsaußen wird geraten, sich schnellstens „einen vertrauenswürdigen Anwalt ihrer Wahl zu suchen“ und den neuen Anwalt „um sofortige Übergabe der betreffenden Prozessakten“ bitten zu lassen.

Darüber hinaus könnten auch einige Geldgeber der NPD um ihre Anonymität fürchten. In den vergangenen Jahren hatte Rieger der NPD nicht nur aus seinem eigenen Vermögen Darlehen gegeben, sondern angeblich auch als Mittelsmann für NPD-Geldgeber gedient, die nicht mit eigenem Namen als solche erscheinen wollten. Möglicherweise sind solche Unterlagen auch in den Akten der Rieger-Kanzlei vorhanden.

Hamburger Führer-Stellvertreter

Im von Rieger geführten NPD-Landesverband Hamburg hat mittlerweile sein Stellvertreter Torben Klebe das Kommando übernommen. Klebe kann auf einige Erfahrung in der Neonazi-Szene zurückblicken. Er gehörte zum verbotenen Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“, zum verbotenen „Hamburger Sturm“, zur verbotenen „Nationalen Liste“ und zum regionalen Neonazi-Netzwerk „Aktionsbüro Nord“. In Hamburg hatte Klebe sich um die Nazi-Subkultur durch die Organisierung von Nazirock-Konzerten verdient gemacht.

Klebe war gemeinsam mit Rieger und einer Reihe anderer Hamburger Neonazis etwa 2006 in die NPD eingetreten, deren Hamburger Landesverband nach einer wüsten Schlammschlacht bald von der Rieger-Truppe übernommen wurde. Zuletzt war er als zeitweiliger Inhaber des Rostocker Nazi-Shops „East Coast Corner“ (ECC) aufgefallen, der heute unter der Leitung des NPD-Landtagsabgeordeten Birger Lüssow als „Dickkoepp“ firmiert.

Rieger-Huldigung in Wunsiedel

Schon bald nach dem Bekanntwerden des Todes von Jürgen Rieger hatten seine Angehörigen klar gemacht, dass sie keinerlei braune Pilgerstätte an einem Rieger-Grab wollten. Daher zogen sie eine See- oder Feuerbestattung in Betracht, die auf jeden Fall im engsten Familienkreise stattfinden sollte.

Dermaßen von einem möglichen Heldenkult-Event ausgesperrt, will die NPD nun ein Ersatzritual in Form eines „Gedenkmarsches“ vollziehen. Dafür hat sich die Berliner Parteizentrale ausgerechnet das oberfränkische Wunsiedel ausgesucht, wo der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben liegt und Neonazis seit etwa 20 Jahren in jährlich steigender Zahl aufmarschierten. Rieger hatte dort schon weit im voraus bis 2010 den jährlich Aufzug angemeldet. Nach einer Gesetzesänderung waren die Heß-Huldigungen seit dem Jahr 2005 allerdings verboten.

Mit dem Motto „Ewig lebt der Toten Tatenruhm“ will nun die NPD am 14. November den Ort erneut heimsuchen. Ein Verbotsgrund ist nicht in Sicht, denn bei Rieger handelte es sich im Gegensatz zu Heß nicht um einen führenden Funktionär der „nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“, wie es im Gesetzestext des Strafrechtsparagraphen heißt, der für die Heß-Aufmarsch-Verbote maßgebend war. Einzelheiten will die NPD in dieser Woche bekannt geben. Beobachter wollen nicht ausschließen, dass die Rieger-Huldigung sogar zum jährlichen Spektakel geraten könnte – damit stünde für die Neonazi-Szene zugleich ein komfortabler Weg zur Wiedereinführung des verbotenen Heß-Marsches unter anderem Markenzeichen offen.

© redok

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